Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, Seite 4, 25.06.2005
Spitzensport in der SPD
Dresden. Es sind einige Dutzend Nachrichten, und der Ton ist alles andere als fein. "Nirgends sieht man was von der SPD", schreibt ein enttäuschter Sozialdemokrat aus Leipzig an seine Genossen im Lande. Und ein anderer pflichtet ihm bei: "In der sächsischen SPD scheint's ja drunter und drüber zu gehen." Seit Wochen kursieren interne E-Mails in sozialdemokratischen Zirkeln rund um die Messestadt, und die, die dies schreiben, verbindet ein Anliegen: Kritik am inneren Zustand, Ausdruck für den Unmut an der Basis.
Das trifft vor allem Thomas Jurk. Der ist nicht nur Wirtschaftsminister und Stellvertreter von Regierungschef Georg Milbradt (CDU), sondern auch Parteichef der SPD. Ihm gibt die Basis die Schuld am schlechten Zustand der Partei, bis hin zu Angriffen unter der Gürtellinie. Entsprechend wimmelt es in den E-Mails von Begriffen wie "Lethargie" und "Stillstand". Fazit der SPD-internen Kritiker: "Die meisten aus der sächsischen SPD-Führung sind mit ihren Aufgaben völlig überfordert."
Das ist für die Sozialdemokraten bitter derzeit. Den nahenden Wahlkampf vor Augen laborieren sie an dem Problem, als Partei erkennbar sein zu müssen - und nicht nur als Erfüllungsgehilfe der Sachsen-CDU im Kabinett. Der schwierige Spagat lautet: Einerseits muss die SPD Koalitionsdisziplin gegenüber der CDU üben, andererseits auf Profilgewinn setzen.
Zum Dauerzankapfel dabei wird SPD-Aufklärer Karl Nolle. Immer wieder ärgert der schwergewichtige Abgeordnete mit kessen Sprüchen nicht nur die CDU, sondern auch die SPD-Spitze. Ob bei der Affäre um die SachsenLB, bei der Kapitalismusdebatte oder auch sonst im Landtag - Nolle ist ein Reizthema auf beiden Seiten. Vor wenigen Tagen hatte er SPD-intern Redeverbot bei der Debatte um Ungereimtheiten im ehemals CDU-geführten Wirtschaftsressort, und auch im Kabinett war er mehrfach Thema. Erst vor kurzem, berichtet ein Kabinettsmitglied, habe Milbradt darauf verwiesen, dass Nolle beim Thema Landesbank "alles andere" vertrete, nur keine sächsischen Interessen. Jurk sowie SPD-Ministerin Barbara Ludwig hätten nichts gesagt, nur geschwiegen.
Für die SPD ist das eine heikle Situation. "Es gibt Defizite", räumt Jürgen Lommatzsch von der Landesgeschäftsstelle ein, vor allem habe die SPD keinen Generalsekretär wie die CDU mit Michael Kretschmer. Dessen Vorteil sei, dass er frei von Koalitionszwängen agiere. Die kritischen Stimmen aus Leipzig und anderswo aber sind für Lommatzsch eher "Rundumschläge" und "Frustreaktionen".
Das dürfte auch den Landesparteitag in zwei Wochen in Chemnitz prägen. Nicht wenige Sozialdemokraten erwarten dort von Jurk eine klare Ansage über eine Strategie im Wahlkampf. Laut Lommatzsch arbeitet die Parteispitze derzeit an einem entsprechenden Konzept. Doch ebenso klar ist: Es wird keinen Generalsekretär geben, und Nolle, der diese Rolle heimlich spielt, wird immer wieder zurückgepfiffen - auch weil er zuweilen zu weit geht.
Das sorgt für Unruhe. Erst kürzlich schmiss Rainer Maus, der SPD-Unterbezirkschef in Pirna, sein Parteiamt hin und würzte das mit Attacken auf Jurk. Dieser, so der Vorwurf, lasse den Landesverband links liegen. Ähnlich lesen sich die Emails der frustrierten Genossen aus Leipzig: Nach "15 Jahren in Parteigremien", schreibt ein SPD-interner Kritiker, sei der Spitze "jegliche Innovationskraft abhanden gekommen".
Jürgen Kochinke