Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 07.07.2005
Sachsen-SPD schielt nach links
Dresden. Das Papier hat 43 Seiten, und am liebsten hätten die Beteiligten nur darüber referiert. Gestern präsentierten die sächsischen SPD-Spitzen ihr so genanntes Wahlmanifest. Das stammt aus der Berliner SPD-Zentrale und kursiert seit Tagen unter dem Titel "Vertrauen in Deutschland". Darauf setzte Thomas Jurk auch gestern in Dresden. Das Papier sei "eine gelungene Mischung", sagte der Landeschef, es führe Bewährtes fort und schärfe gleichzeitig das "SPD-Profil" im Lande. Fazit: Das Programm sei eine gute Grundlage, auch die Sachsen-SPD könne damit "erhobenen Hauptes in den Wahlkampf ziehen".
Das klang siegessicher, aktuelle Umfragewerte allerdings legen eine andere Lesart nahe. Laut Meinungsforschungsinstitut Emnid hat im Osten nicht die SPD die Nase vorn, sondern die neue Linkspartei aus PDS und WASG. Bei rund 30 Prozent liegt das Bündnis derzeit in den neuen Ländern und damit nahezu gleichauf mit der CDU. Folge für die SPD in Sachsen: Die 33,3 Prozent, die die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2002 im Freistaat holten, dürften in weite Ferne rücken.
Von solchen Negativ-Prognosen aber wollten weder Jurk noch der SPD-Staatsminister im Kanzleramt, Rolf Schwanitz, oder Leipzigs SPD-Bundestagsabgeordneter Gunter Weißgerber etwas wissen. "Wir wollen diese Bundestagswahl gewinnen", meinte Jurk, und Weißgerber sekundierte: "Die Dinge werden sich normalisieren." Bis zum Wahltag sei noch alles möglich. Vorsorglich aber gingen sie das neue Linksbündnis an. Von einem "Überangebot an Populismus" sprach Jurk mit Blick nach links außen, von der "klaren Erkennbarkeit der SPD zu den politischen Gegnern" redete Schwanitz.
Dahinter aber steht die Angst der SPD, im Wahlkampf zwischen die Fronten zu geraten. Auf der einen Seite steht die CDU, die bundesweit von der Anti-Schröder-Stimmung profitiert, auf der anderen die Linkspartei, die mit Hartz-IV- und anderen Parolen punkten kann. Hinzu kommen prominente Köpfe bei PDS und WASG wie Gysi und Lafontaine. Erkennbar waren hier die Sorgenfalten bei der SPD. "Das Vorstellen von Personen scheint wichtiger als politische Inhalte", meinte Jurk. Noch härter ging die Dresdner SPD-Bundestagsabgeordnete Marlies Volkmer das Bündnis an. Vor allem Lafontaine versuche - Stichwort "Fremdarbeiter" - dort "zu fischen", wo es problematisch werde: bei rechtsextremen Wählerschichten.
Im Gegensatz dazu will die SPD auf Programmatik setzen. Der Aufbau Ost, meinte Jurk, stehe ganz vorne auf der Wahlkampfagenda. Darüber hinaus solle die Investitionszulage fortgesetzt und in die Förderung der regionalen Wirtschaft integriert werden. Hinzu kommen der Solidarpakt II als Schwerpunkt sowie die Themen Forschung und Bildung.
Unterdessen sorgt der Höhenflug der neuen Linkspartei auch in Sachsens CDU für Aufsehen. Sollte das Bündnis am Wahltag punkten, so die Spekulation in der Union, könnte es in Berlin doch nur für eine Große Koalition mit der SPD reichen - und nicht für das angepeilte Zusammengehen von CDU und FDP. Dann aber könnte der eine oder andere Ministerposten im Kabinett von CDU-Chefin Angela Merkel womöglich ganz anders besetzt werden. Der des Bundesfinanzministers zum Beispiel. Und am Ende käme dann möglicherweise ein Sachse ins Spiel, der beim Personalpoker an der Spree nur selten genannt wurde: CDU-Regierungschef Georg Milbradt. Der war schließlich lange Zeit Finanzminister im Freistaat.
Jürgen Kochinke