Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 07.09.2005
Fader Beigeschmack
Wirtschaft. Margon in Burkhardtswalde soll schließen. Die Region schäumt vor Zorn.
Der Betriebsparkplatz ist voll, Selbstabholer klappern mit ihren Wasserkästen, und ein Sattelschlepper hupt dem Pförtner freundlich zu, als er voll beladen die Schranke passiert. Betriebsalltag bei Margon in Burkhardtswalde bei Pirna. Unter dem großen Freidach stapeln sich die Wasserkisten in Grün und Braun zu einer bunt gemusterten Steilwand. An ihnen hängen Transparente. „Helft uns!“ schreit ein Plakat hinunter ins Müglitztal, „Rettet Margon“ bittet eins daneben und „Kämpft mit uns“ fordert ein drittes. Im Herbst, wenn die Bäume kahl werden, sind die Transparente besser zu lesen. Aber dann ist die Zeit für die Margon-Werker fast abgelaufen. Zum Jahresende soll ihr Betrieb geschlossen werden. So hat es der neue Eigentümer verfügt. Am 1. August wurde Margon von der Hassia-Firmengruppe übernommen, am 18. August wurde das Aus verkündet. Viel Sentimentalität war da wohl nicht im Spiel.
In der Region haben sich die Menschen ihre Meinung gebildet. Margon, so sehen es viele, wird platt gemacht. Eiskalt und berechnend. Die Volksseele prickelt nicht einfach, sie kocht. „Eine bodenlose Sauerei“, konstatiert ein Mann. „Fix und alle“ sei die Belegschaft, „die wissen gar nicht, was gehauen und gestochen ist. Das ist doch der einzige Betrieb, den wir hier haben“, sagt der Burkhardtswalder. „Stinksauer“ sind die Leute, sagt eine Frau im Einkaufsmarkt des Dorfes. Sie presst die Lippen aufeinander und sagt in hartem Ton: „So gehen die im Westen nicht mit den Menschen um.“
Den Orkan überstanden
Im Osten schon, soll das heißen. Die Wut, die viele empfinden, ist nicht nur entstanden, weil ein Betrieb geschlossen werden soll. Das Aus für den Margon-Standort erscheint vielen offenbar als Abbild des modernen Kapitalismus. Kalt und herzlos, ohne Moral. Im Osten platt machen zu Gunsten von Profiten im Westen. Fragt man, wer „die“ sind, die da schließen, erntet man im ersten Moment sogar Erstaunen. „Die Wessis“, heißt es dann oder „die Großen“, „ausländische Investoren“ oder gar „die Politik“. Dass Margon bei Pirna schließt, bei Chemnitz aber weiter abgefüllt werden soll, beruhigt keinen wirklich. Auf die Schließung, so scheint es, werden Enttäuschung und Wut aus 15 Jahren projeziert. Als die Industrie im Elbtal zwischen Dresden und Pirna damals reihenweise von der Treuhand geschlossen wurde, da war das ein Orkan der industriellen Veränderung, der über den Osten fegte. Hören und Sehen verging den Leuten. Das Traditionsunternehmen Margon überlebte den Sturm. Aber nun scheint dieser letzte Leuchtturm fällig. Und der Zorn entzündet sich auch an der eigenen Ohnmacht. 100 Beschäftigte hat Margon – ein Großunternehmen im Müglitztal in Ermangelung anderer Unternehmen. Während draußen der Ton harsch wird bei vielen Leuten, wenn sie über die angekündigte Schließung reden, wirken viele der Margon-Beschäftigten eher niedergeschlagen. Er wolle lieber gar nichts sagen, sondern „Ruhe reinbringen“, sagt der Betriebsrat und klingt verzweifelt und dünnhäutig. Die Nerven liegen offenbar blank. Dann flüchtet er regelrecht. „Es war für jeden ein Schock. Es kam über Nacht, und wir haben alle noch damit zu tun“, sagt ein älterer Arbeitnehmer. Er selbst habe es ja nicht mehr weit bis zur Rente, „aber die Kollegen“. Sie klammerten sich an Hoffnung, „aber wir glauben nicht dran“, sagt eine ältere Frau, die im weißen Kittel über den Betriebsparkplatz eilt. Er glaube jedenfalls an kein Wunder, sagt ein Mann. „Ich hab so eine Schließung schon mal mitgemacht“, sagt er bitter. „Da gibt es nichts mehr zu retten. Das wollen die so – Konkurrenz platt machen, um was anderes geht es gar nicht. Margon war mal Marktführer in Sachsen.“
Zu DDR-Zeiten konnte der Betrieb gar nicht so viel herstellen, wie getrunken wurde. Da war Margon noch in aller Munde, wenn Wasser und Brause an heißen Sommertagen in der Kaufhalle nicht sogar ausgegangen waren. Nach der Wende wurde die Produktion erweitert, neue Sorten, neue Brunnen, neue Abfüllanlage. Aber auch die Eigentümer wechselten gleich mehrfach, und egal ob Brau und Brunnen oder Gerolsteiner – die Aufmerksamkeit für das Ost-Traditionsunternehmen hielt sich in Grenzen ebenso wie die Modernisierung des Standortes.
Nun also Hassia. Der Standort Burkhardtswalde soll stillgelegt werden ebenso wie die Brunnen. Die Marke Margon soll weiter exis trieren – aber abgefüllt werden soll kein Wasser mehr aus dem Müg litztal, sondern aus einer Quelle bei Lichtenau, zwischen Dresden und Chemnitz gelegen. Aber eine eigene Quelle soll es sein, kein Lichtenauer, das Hassia ebenfalls abfüllen lässt. Sie wollen einen neuen Investor für den Standort Burkhardtswalde finden, wenn auch keinen Getränkeabfüller mehr, versichert Hassia-Geschäftsführer Dirk Hinkel. Für etwa 30 der Burkhardtswalder Arbeiter will Hassia in Lichtenau Jobs anbieten.
Mit dem Rücken zur Wand
„Manche überlegen, nach Lichtenau zu gehen“, sagt eine junge Frau aus dem Margonwerk. „Ich kann nicht dauernd pendeln wegen meiner zwei Kinder.“ Wie trüb die Aussichten aber sind, das weiß sie. Das Arbeitsamt hat letzte Woche im Betrieb mal die Situation vorgestellt – „es gibt nichts“, fasst sie die Aussagen zusammen. Da tröstet auch kaum die Solidarität, die der Standort in der Region erfährt. Unterschriftenlisten liegen aus in vielen Geschäften, großen wie kleinen. Im Einkaufsmarkt Burkhardtswalde wie im Supercenter Wal Mart Heidenau. Andere boykottieren sogar schon Margonwasser. „Margon drauf, was anderes drin – das ist Etikettenschwindel“, schimpft ein 58-Jähriger. „Das schmeckt überhaupt nicht“, sagt ein Rentner über Lichtenauer Wasser empört. Das hat er gehört, getrunken hat er das Wasser freilich noch nicht.
Es kommen auch nachdenklichere Töne. „Na ja, der Kasten Margon war halt 1,20 Euro teurer als anderes Wasser“, sagt ein Getränkemarkt-Inhaber. „Da haben viele Leute zum billigeren Wasser gegriffen, egal woher.“ „Schon die Vorbesitzer hätten Leute abbauen müssen“, sagt ein Margon-Mitarbeiter. „Aber es hat sich doch keiner gekümmert“, winkt er enttäuscht ab. Seinen Namen will aucher nicht nennen – so wie all die anderen.
„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Hassia-Geschäftsführer Günter Hinkel. Hassia hat Brau und Brunnen als Paket gekauft – Margon war da nur ein Bestandteil. Dass der Burkhardtswalder Standort Millionenverluste macht, das sei in diesem Paket halt untergegangen – nun ärgere man sich selbst, sagt der Geschäftsführer. Als gefräßige Heuschrecken-Kapitalisten sieht sich das Familienunternehmen überhaupt nicht. Schließlich hat der Seniorchef nach der Wende den Betrieb in Lichtenau mit heute 180 Beschäftigten aus dem sächsischen Boden gestampft. Und Margon wolle man nicht platt machen – die Marke solle erhalten und sogar gestärkt werden. 80 Kilometer weiter westlich. Aber der Standort Burkhardtswalde sei nicht zu retten: „Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt. Jedoch rechneten sich alle Varianten nicht“, sagt Dirk Hinkel.
Doch viele in der Region wollen gar keine Erklärung – so wie der Mann, der vor einem Haus in Burkhardtswalde in der Sonne sitzt und Bier trinkt. „Ich hab jetzt seit 19 Jahren bei Margon gearbeitet. Wie die schon kommen, gucken und sagen: Alles Schrott. Die nehmen uns doch nur aus,“ sagt er. Wieder die. So weit ist es nach 15 Jahren.
Von Frank Tausch