Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 16.09.2005
Ein Jahr große Koalition Schwarz-Rot ohne Charme für Berlin
Dresden. Karl Nolle hat es neuerdings mit der Männlichkeit. Wegen der staatsanwaltlichen Schnüffelei in den Telefonlisten eines Journalisten riet der SPD-Abgeordnete aus Dresden gestern Justizminister Geert Mackenroth (CDU) den Rückzug: "Minister, die Mumm haben, sind schon bei weniger gravierenden Verletzungen von Fürsorgepflicht und bewusster Irreführung der Öffentlichkeit zurückgetreten." Rumms.
Ein neuer Frontalangriff auf die CDU, mit der zusammen Nolles SPD eigentlich eine Regierung bildet. Verdrossen von der Union und frustriert über die eigenen Genossen, hat sich der Sozialdemokrat jedoch in die Rolle als Oppositioneller in der Regierung zurückgezogen. Dort sorgt er mit schöner Regelmäßigkeit für Blitz und Donner in der CDU-SPD-Koalition, die aus der Landtagswahl am 19. September 2004 hervorgegangen ist.
Wie die heimliche Zwischenbilanz der Koalition der Wahlverlierer ausfällt, illustriert die Debatte über eine Große Koalition in Berlin, die passend zum sächsischen Jahrestag geführt wurde. Getreu ihres Nichtangriffspaktes betonten die Protagonisten zwar die Machbarkeit des Modells, von einer Regierungsvariante mit Charme kann aber keine Rede sein. Zugleich können die Protagonisten das Sticheln nicht lassen. In einer CDU-geführten großen Koalition, so betonte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), könne gute Politik gemacht werden. Ein schwarz-rotes Bündnis sei allerdings nur die zweitbeste Lösung. Sein Stellvertreter und SPD-Chef Thomas Jurk beschied zuvor, die Koalition sei Ausdruck des Wählerwillens, aber eben nicht gerade "der Wunschtraum".
Lauscht man den Strippenziehern auf beiden Seiten, wird man den Eindruck nicht los, es mit einem alten, zänkischen Ehepaar zu tun zu haben. Genervt von den Zicken des anderen, aber zu vorsichtig, um eine Scheidung zu riskieren. Undiszipliniert und sprunghaft seien die schwächelnden Sozis, klagen führende Christdemokraten. Arrogant und nicht in der neuen Wirklichkeit angekommen sei die CDU, schimpfen Sozialdemokraten.
"Die tanzen uns auf der Nase rum", hört man beiderseits der Vernunftehe, und in CDU wie SPD gibt es allerhand Parteifreunde, die am liebsten eine Trennung wollten - aus Sorge, ihre Parteispitze verscherbele das Tafelsilber. Gerade vor der Bundestagswahl gab es mehrfach Krach um Pendlerpauschale, Arbeitslosengeld-Anhebung, Bildungspolitik und Innere Sicherheit. Bedrohlich ist der Streit bislang noch nicht geworden.
"Nach anfänglichen Startschwierigkeiten ruckelt die Maschine einigermaßen gleichmäßig", beschreibt einer aus der Leitungsebene den Regierungsalltag. Tatsächlich scheinen sich zumindest die frühen Hahnenkämpfe um Posten und Personen zu legen, die ersten Großprojekte wie der Doppelhaushalt und der Abbau im Schulbereich sind beschlossen. Dabei schluckte die CDU die Kröte einer höheren Neuverschuldung, die SPD musste sich hingegen mit harten Einschnitten in der Schullandschaft abfinden. "Zur Macht gewordener Stillstand" sei die Koalition, klagt FDP-Chef Holger Zastrow. "Der Freistaat ist führungslos." Die Partner blockierten sich - wie in der Wirtschaftspolitik - gegenseitig und setzten den Vorsprung Sachsens aufs Spiel. "Wer im Bund eine Große Koalition will", so Zastrow, "der sieht in Sachsen, dass das ein Albtraum ist."
Schlechte Noten gibt's auch von den Grünen: "Die SPD-Minister agieren unauffällig, die CDU-Minister sind mit Affären und Skandalen beschäftigt", kritisiert Fraktionschefin Antje Hermenau. Bei Themen wie Bildung und erneuerbaren Energien verschenke die schwarz-rote Landesregierung die Zukunft des Landes.
Sven Heitkamp