Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.09.2005

Minus-Koalition im Streit

Vertrauensschwund. Die eigenen Verluste lassen zwischen CDU und SPD tiefe Gräben aufbrechen.
 
Früh in Berlin, mittags in Dresden. Sachsens SPD-Chef Thomas Jurk pendelte gestern zwischen zwei politischen Brandherden, von denen sich am Ende des Tages jener in der sächsischen Landeshauptstadt als der größere erweisen sollte. Das Patt auf Bundesebene hat jetzt nämlich für unübersehbare Risse in der Dresdner Koalitionsregierung gesorgt.

Ausgelöst hat den Grundsatzstreit Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU), der am Wahlabend süffisant resümierte, eine große Koalition in Berlin wäre nichts Schlimmes. Beim vergleichbaren Bündnis in Sachsen werde bis heute „weiter CDU-Politik gemacht“.

Jurk: CDU auf dem Tiefpunkt

Jurk, der für die SPD als Wirtschaftsminister am Kabinettstisch sitzt, nahm den Fehdehandschuh gestern auf. „Die versteckten Fouls müssen sofort aufhören“, fordert er und will die verbale Attacke nun sogar zum Kabinettsthema machen. In der Sache gibt er zudem nicht klein bei. „Die 30,4 Prozent sind das schlechteste Ergebnis, das die CDU bei einer Bundestagswahl erreicht hat. Bei uns ist das nicht der Fall“, bohrt Jurk tief in den Wunden von Regierungschef Milbradt, der als CDU-Landesvorsitzender im Vorfeld angekündigt hatte, die alten Werte 33,6 Prozent zu toppen und alle Direktwahlkreise zu erobern – beides aber misslang. Milbradt und Co. droht nun die Erklärungsnot.

Dass die SPD in Sachsen selbst ein Minus von neun Prozent (!) hinnehmen musste, ist für Jurk zwar ärgerlich, aber im Vergleich zu anderen Ost-Ländern nur ein durchschnittliches Defizit. Kritikern in den eigenen Reihen, die ihm zusätzlich den Verlust von einem der vier SPD-Wahlkreise als Ergebnis eines vermeintlichen Schmusekurses mit dem Koalitionspartner CDU vorhalten könnten, will Jurk mit Fakten entgegentreten. „Wer meckern will, soll sich zuvor anschauen, was wir bisher alles per SPD-Ticket durchgesetzt haben.“ Das klingt voll nach Drohung und nur halb nach einem Angebot.

Der Hinweis richtete sich vor allem gegen Genossen wie den SPD-Abgeordneten Karl Nolle, der im Gegensatz zu vielen anderen auch diesmal nicht schweigt. „Wenn das gestrige Ergebnis ein Grund zum Siegesrausch gewesen sein soll, so werden wir uns weiter zu Tode siegen“, lautet sein bitteres Fazit.

Mit in Richtung Koalitionspartner CDU schoss jedoch SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss. „Wir sind gemeinsam abgewatscht worden“, erklärte er die Sachsen-Union definitiv zum Verlierer. Über Milbradts Satz habe er sich deshalb geärgert. „Aber vielleicht musste er damit nur die eigenen Leute beruhigen“, drehte Weiss kühl den Spieß um.

„Monarchische Züge“

Und damit trifft er den Nerv etlicher Unionspolitiker. Sie hatten ihre Kritik am Landeschef nach der Ankündigung von Neuwahlen bis zum erhofften Wahlsieg in Berlin zurückgestellt. Milbradt war damit für Monate heraus aus der parteiinternen Schusslinie. Und bis die Koalitionsverhandlungen in Berlin abgeschlossen sind und ein neuer Kanzler fest im Sattel sitzt, könnte auch Milbradt den gefürchteten CDU-Landesparteitag im November überstanden haben.

„Wir haben ein großes Interesse an einer stabilen SPD – auch mit Herrn Jurk“, meint CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer drum in Gönner-Laune. Die Sozialdemokraten hätten ein „desaströses Ergebnis hingelegt“, und der Bundeskanzler habe „leicht monarchische Züge angenommen“. Und Kretschmer pflegte gleich wieder das verbale Fingerhakeln zwischen Sachsens Koalitionären. Die CDU sei unzufrieden, wie der von der SPD gestellte Vize-Regierungssprecher das Programm „Weltoffenes Sachsen“ händelt, kritisierte er scharf und ohne Not. Das Zwei-Millionen-Euro-Programm soll Thema für den Koalitionsausschuss werden.

Nach dem kollektiven Wundenlecken müsse es jetzt wieder sachorientiert weitergehen, mahnen dagegen andere. „Beide sollten sich auf das besinnen, womit sie der Wähler beauftragt hat: verantwortlich für Sachsen zu arbeiten“, so Ex-Innenminister Heinz Eggert. S.4
Von Gunnar Saft und Annette Binninger