Karl Nolle, MdL

MDR Magazin FAKT, 26.09.2005

Macht mit aller Macht

Manuskript des Beitrages von Inga Klöver, Frank Wolfgang Sonntag
 
Das Hickhack um den Führungsanspruch nimmt immer skurrilere Züge an. Kanzler Schröder will offensichtlich mit aller Macht an der Macht bleiben. Aber erste kritische Stimmen werden laut

Nachwahl in Dresden

Dresden am Samstagvormittag. Noch sind die einheimischen Wahlkämpfer unter sich. Doch in den nächsten Tagen werden hier noch einmal die Politpromis der großen Parteien antreten, denn am 2. Oktober wird im Wahlkreis 160 nach gewählt.


O-Ton: Marlies Volkmer, SPD, MdB
"Ich nehm immer nur das, da kann ich nämlich schön aufklappen und mich zeigen."

Das Direktmandat für die SPD will die Bundestagsabgeordnete Marlies Volkmer holen. Keine leichte Aufgabe. Und während hier noch um jede Stimme gekämpft wird, diskutiert die Republik bereits wer unter welcher Konstellation Kanzler werden wird

O-Ton: Marlies Volkmer, SPD, MdB
"An den Ständen wollen eben viele eine große Koalition, weil sie sich davon versprechen mehr Stabilität, mehr Zusammenarbeit in Deutschland und das ist das, was sozusagen immer so an mich so herangetragen wird."

Eine große Koalition wollen inzwischen auch Gerhard Schröder und Parteichef Müntefering, inklusive Anspruch auf das Kanzleramt. Und der wird von der Kandidatin vor Ort noch tapfer verteidigt.


O-Ton: Marlies Volkmer, SPD, MdB
"Für mich ist es entscheidend, es kann ja nur der Kanzler werden, der die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag bei der Wahl hinter sich hat. Und das sehe ich bei Frau Merkel nicht."

Frage: "Aber bei Herrn Schröder?"

"Das sehe ich bei Frau Merkel nicht."

Frage: "D.h. sie können oder wollen nichts dazu sagen, die Partei rechnet sich das doch im Moment schön oder?"

"Nee. Es ist ganz eindeutig so. Es gibt im Bundestag keine schwarz-gelbe Mehrheit."

Aber auch keine für Gerhard Schröder. Und dessen Fernsehauftritt am Wahlabend hat die Genossen vor Ort schwer verärgert und die Siegeschancen in Dresden nicht gerade erhöht.

O-Töne: Basis
"Die Elefantenrunde hat ihm wahrscheinlich sehr geschadet."

"Und wie er sich insbesondere also gegenüber einer Frau verhalten hat diese herablassende Art und Weise, das ist insbesondere bei uns älteren Sozialdemokraten nicht gut angekommen."

Der Auftritt am Wahlabend ist das eine, der anschließende Machtpoker der SPD-Spitze das andere. Auch wenn gebetsmühlenartig wiederholt wird, dass die SPD die stärkste Partei im Bundestag sei, wenn man die Mandate zählt, ist sie aber nicht die stärkste Fraktion. Doch von den SPD- Bundestagsabgeordneten wollte das bislang keiner offen zugeben. Jetzt wird erste Kritik laut:

O-Ton: Jelena Hoffmann, SPD, MdB
"Ich hatte die Stimmen von der Basis gehört, dass auch die Parteibasis nicht besonders glücklich darüber ist, welche Spielchen jetzt ausgespielt werden. Und ich denke in der Partei sind viele, die die Meinung haben, na ja es wäre vielleicht besser klipp und klar zu sagen wir haben verloren, wir sind abgewählt worden."

Die Frage ist, wie lange für die SPD die fixe Idee vom Wahlsieg und der Anspruch auf das Kanzleramt noch durchzuhalten sind. Ein ehemaliger Weggefährte von Gerhard Schröder mutmaßt wie lange das noch so weitergeht.

O-Ton: Karl Nolle, SPD, MdL Sachsen
"Solange man dem Kaiser nicht sagt, dass er doch nackt da steht und keine Kleider anhat. Aber ich sehe keinen, der den Mut hat ihm das zu sagen. Das liegt auch daran, dass in der Zeit von Schröder tatsächlich wenig getan wurde, dass Leute nachkommen die politisch potent und glaubwürdig sind. Insofern ist das auch ein Personalproblem. Wer kann denn nach Schröder kommen?"

Wolfgang Nowak war bis vor drei Jahren einer der wichtigsten Strategen im Kanzleramt unter Gerhard Schröder. Er spricht ganz offen einen noch viel banaleren Grund für den Machtpoker an.

O-Ton: Wolfgang Nowak, ehemaliger Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeskanzleramt
"Die Partei ist nur zu retten, wenn sie an der Regierung bleibt, wenn sie ein paar Fleischtöpfe zu verteilen. Und natürlich sind die großen Parteien, wenn sie länger an der Regierung waren, Mitläuferparteien und sie haben Scharen von Mitläufern um sich herum, von denen sie leben und denen sie Posten versorgen können. Wenn das entfällt, entfällt die Daseinsberechtigung einer großen Partei möglicherweise."

Zurück nach Dresden. Hier geht es noch um die Vergabe von Posten: nämlich Bundestagsmandate. Die werden zwar das Ergebnis der Wahl nicht mehr grundsätzlich verändern, gelten aber als wichtiger Stimmungstest.

O-Ton: Passant
"Wir sind die stärkste Partei, wir sind die größten."

O-Ton: Marlies Volkmer, SPD, MdB
"Stärkste Partei stimmt ja auch."

O-Ton: Passant
"Aber sie haben keine absolute Mehrheit, das ist ja das Problem."

O-Ton: Marlies Volkmer, SPD, MdB
"Das ist richtig."

O-Ton: Passant
"Aber warum tun sie dann so darstellen ganz anders als wären sie die Größten?"

Gestern verkündete Gerhard Schröder, er wolle alles für das Zustandekommen einer großen Koalition tun. "Alles" heißt aber offensichtlich nicht, dass er Angela Merkel als Kanzlerin akzeptieren will, doch der parteiinterne Druck wird wachsen.

O-Ton: Professor Peter Lösche, Universität Göttingen
"Innerhalb der Fraktion gibt es ein kaum zu überhörendes Grummeln. Seit dem 22. Mai ist man enttäuscht über den Kanzler, aber auch über den Parteivorsitzenden. Dass man in einer Situation, in der man in den Umfragen bei 24 Prozent lag, in Neuwahlen hineingegangen ist und man versteht das Verhalten des Kanzlers in der Berliner Runde auch nicht recht. Es gibt Kritik, Opposition in der Fraktion, aber auch in der Partei."

Und genau das haben einige prominente SPD-Politiker in der letzten Woche versucht, aber nur ganz vorsichtig:

O-Ton: Wolfgang Nowak, ehemaliger Leiter der Grundsatzabteilung im Bundeskanzleramt
"Der erste, der jetzt aufsteht und sagt, Schröder muss weg, der ist als erster weg."

Frage: "Warum?"
"Weil kein anderer sich zu ihm stellen wird. Es muss dann ganz langsam kommen, und dann die Dementis werden immer dünner, immer dünner bis es dann ein großes Gemurmel und ein Chor ist. Und dann ist es Schröders Kunst rechtzeitig zu erkennen, dass er gehen muss."

Doch noch ist es nicht soweit. Die Hoffnung auf eine geteilte Amtszeit oder darauf, Angela Merkel mit in den Strudel des eigenen Untergangs zu ziehen, wird wohl nicht so einfach in Erfüllung gehen.

O-Ton: Jürgen Leinemann
"Sie ist zäh, die kann kämpfen und sie ist in ihrem internen Durchsetzungsvermögen viel stärker als offenbar in ihrer äußeren Wirkung. Und die Tatsache, dass sie sich sofort als Fraktionsvorsitzende hat wieder wählen lassen und ist das geworden mit so einer riesigen Mehrheit, heißt, sie ist keineswegs bereit, jetzt zur Seite zu treten."

In Dresden wird derweil noch gekämpft. An der Parteibasis wird manchem auch immer deutlicher: Wenn es zu einer großen Koalition kommt, wird Gerhard Schröder das Feld wohl räumen müssen.

O-Töne: Passanten
"Ich räume ein, dass eine Situation entstehen kann, wo man aus Staatsräson sagen sollte und wahrscheinlich auch dann sagen muss, wir werden eine andere Zusammensetzung dieser neuen Regierung hinkriegen müssen und dann wird das möglicherweise ohne Gerhard Schröder sein. Was ich sehr bedauern würde, aber die Verhältnisse können so sein, natürlich."

"Er hätte eigentlich einen anständigen Abgang verdient, wie es jetzt auch Joschka Fischer macht. Man muss immer merken wenn es irgendwie Zeit ist zu gehen. Das stimmt nicht nur für Politiker, das stimmt auch in anderen Zusammenhängen, aber für Politiker insbesonders."

Frage: "Sollte Schröder jetzt gehen?"
"Ich würde denken ja."

Doch so lange die Wahl in Dresden noch nicht entschieden ist, wird Gerhard Schröder in Berlin wohl kaum abtreten.