Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 11.10.2005
Landes-SPD steuert auf Führungsdebatte zu
Fehleranalyse. Offene Kritik an Parteichef Jurk ist nicht mehr länger tabu.
Zwölf Monate schützte sich die sächsische SPD durch eine Mauer des Schweigens. Öffentliche Kritik in eigener Sache galt als tabu, solange man sich in die neue und schwierige Rolle als Koalitionspartner der CDU finden musste.
Nach der Bundestagswahl, die den Sozialdemokraten in Sachsen ein Wählerminus von neun Prozentpunkten bescherte, mehren sich aber kritische Stimmen, die eine Fehleranalyse und Kurskorrekturen einfordern. Dabei steht Parteichef Thomas Jurk im Mittelpunkt, der auch Wirtschaftsminister und Vizeministerpräsident ist. Diese Ämterüberlastung, so der immer lautere Vorwurf, verhindere, dass er sich ausreichend um den Landesverband kümmere. Dort fehle es an politischem Profil und klaren Zielen. Statt der sächsischen SPD entscheide heute nur eine kleine Führungsgruppe um Jurks Berater Raimund Grafe und Vizeregierungssprecher Andreas Beese über den politischen Kurs der Partei.
In einem internen Brief, der der SZ vorliegt, greift jetzt sogar die bisherige Bundestagsabgeordnete und SPD-Landesvize Barbara Wittig die miserable Stimmung an der Basis auf. Die Partei werde öffentlich zu sehr als „willfähriger Erfüllungsgehilfe der CDU“ wahrgenommen, beklagt sie und macht dafür auch den Landesvorsitzenden verantwortlich. Bei Thomas Jurk würden „fehlender Mut und Unfähigkeit zur Kommunikation“ leider einhergehen mit „Führungsschwäche“.
Mögen die klaren Worte neu sein, die Kritik selber ist es nicht. In einem Papier des SPD-Landtagsabgeordneten Stefan Brangs finden sich dieselben Punkte, nur ohne die Namen von Verantwortlichen. Im Text ist zurückhaltend von „fehlender Strategie“ und „organisationspolitischen Defiziten“ die Rede.
Ruf nach einem neuen General
Offen sprechen das bisher nur zwei Sozialdemokraten aus: So attackiert der Leipziger Gunter Weißgerber, der sich als Direktbewerber erneut einen Bundestagswahlkreis sicherte, vor allem Jurks „Entourage“. Das Gefolge des SPD-Chefs nehme diesen zum Schaden der Partei viel zu stark für sich ein. „Der Landesverband bedarf hier dringend eines Heilungsprozesses, den der Vorstand in Gang bringen muss.“
Wie Weißgerber fordert auch der Landtagsabgeordnete Karl Nolle, Lasten breiter zu verteilen. Mit einem eigenen Generalsekretär könne die SPD ihre Politik nach außen viel offensiver vertreten als am Kabinettstisch unter Koalitionszwang. „Thomas muss seine Angst, etwas aus der Hand zu geben, überwinden.“ Kritiker Nolle, der oft Prügel aus den eigenen Reihe bezieht, formuliert es diesmal positiv: Er traue Jurk die nötige Kehrtwende durchaus zu.
Von Gunnar Saft