Karl Nolle, MdL
Agenturen, ddp-lsc, 14:56 Uhr, 08.11.2005
Hinterbänkler mit Freiräumen - Der einstige AMD-Manager und Wirtschaftsminister Gillo ist seit einem Jahr einfacher Abgeordneter
Dresden (ddp-lsc). Vor einem Jahr hatte Martin Gillo sein Schicksal bereits erahnen können: Anfang November 2004 hatten sich die Unterhändler von CDU und SPD zum Schluss ihrer Koalitionsverhandlungen auf die Verteilung der Ministerien geeinigt. Demnach musste die Union unter anderem das Wirtschaftsministerium räumen. Am 11. November wurde die neue Kabinettsriege mit SPD-Chef Thomas Jurk als Gillos Nachfolger vereidigt. Für den langjährigen Manager beim US-amerikanischen Chiphersteller AMD begann damit ein neuer Lebensabschnitt. Gern hätte er den Platz im Kabinett, den er im Frühjahr 2002 nur zehn Tage nach einem Anruf von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) mit seinem Posten als Dresdner AMD-Geschäftsführer getauscht hatte, länger als zweieinhalb Jahre behalten.
Ein Jahr später ist der inzwischen 60-Jährige zum Erstaunen der meisten politischen Beobachter immer noch einfacher Landtagsabgeordneter - kein Wechsel zurück in die Wirtschaft, keine Einbindung des Prominenten etwa als Chef einer Expertenkommission. Im Plenum mied er bislang das Rednerpult und sagt: «Ich habe mich bewusst für eine Rolle als Hinterbänkler entschieden.»
Als solcher fand Gillo in den vergangenen Monaten genug Zeit, seine Stationen als Manager und Minister noch einmal Revue passieren zu lassen. Nun hat der gebürtige Leipziger mit deutscher und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft sein Buch «Go Deutschland Go» (Murmann Verlag) vorgelegt. Darin warnt er Menschen und Unternehmen davor, vergeblich auf «große Reformen» zu warten. Seine Hauptbotschaft: «Es gibt in Deutschland jede Menge Freiräume, wenn man den Mut hat, sich nicht in der Mitte des Stromes treiben zu lassen, sondern am Rand seinen eigenen Weg sucht und findet.»
Gillo selbst gehört mit Sicherheit nicht zu denjenigen, die sich »in der Mitte des Stromes treiben« lassen. Erst am vergangenen Samstag stellte er dies wieder unter Beweis, als er auf dem CDU-Parteitag ein von der Führungsspitze vorgelegtes Patriotismus-Papier kritisierte. Das Thema sei noch längst nicht »entscheidungsreif«, die Basis solle lieber noch einmal diskutieren - doch die Delegierten nahmen den Leitantrag an.
Auch mit einem anderen Vorstoß hatte der erst Anfang 2003 in die CDU-Eingetretene kein Glück: Nach der herben Schlappe der Union zur Landtagswahl vor einem Jahr machte er sich vergeblich für eine personelle Trennung von Parteivorsitz und dem Amt des Ministerpräsidenten stark. So könne sich die CDU noch besser profilieren, sagte der Stratege damals - und zog sich Milbradts Zorn zu.
Im Buch lässt Gillo nicht unerwähnt, dass er Mitte der 90er Jahre eine gehörige Aktie an der Ansiedlung von AMD in Dresden hatte und dem Kontrollgremium des Konzerns eine Analyse über Vor- und Nachteile des Standorts vorlegen musste. Freimütig bekennt der Ex-Manager, dass die Investition in Sachsen »auch der (oft gescholtenen) europäischen Subventionspolitik zu verdanken« gewesen sei.
Gillo nennt sich selbst einen »praktizierenden Optimisten«. Den Wechsel in die Politik habe er nicht bedauert. Allerdings habe er »lernen müssen, dass dort ein anderer Zeitbegriff herrscht als in der Wirtschaft«. In der Wirtschaft gelte es, schneller als andere zu handeln: »In der Politik dagegen ist ein richtiger Vorschlag zur falschen Zeit vergebene Liebesmüh."
--Von ddp-Korrespondent Tino Moritz--
ddp/tmo/muc
081456 Nov 05