Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 19.12.2005
„NPD hat Ziele von vorgestern“
Austritt. Der ehemalige rechte Multifunktionär Mirko Schmidt hält seiner Ex-Partei Wahlbetrug und Nazi-Verherrlichung vor.
Seit 1997 haben Sie sich als maßgebliches NPD-Mitglied für diese Partei engagiert. Warum kam es jetzt zur radikalen Trennung?
Die NPD hat die demokratischen Grundsätze verlassen. Und sie setzt sich im Dresdner Landtag nicht mehr für die Sachsen ein. Wir sind einst gewählt worden, um etwas gegen Hartz IV zu tun. Um die sozialen Themen hat sich im Landtag aber meist nur die PDS gekümmert, während wir ständig versucht haben, im Parlament unsere nationalsozialistische Schiene durchzuziehen. Statt für die Interessen der Bürger setzt sich die NPD-Fraktion lieber für ein viertes Reich ein.
Das Wahlkampfthema Hartz IV war demnach nur ein Köder, um Protestwähler zu gewinnen?
Genau so ist das. Nach dem Einzug in den Landtag hat die NPD nicht mehr nationaldemokratisch, sondern nationalsozialistisch agiert.
Wer war und ist für diesen Kurswechsel verantwortlich?
Die Bundesspitze um NPD-Chef Udo Voigt sowie der sächsische NPD-Fraktionschef Holger Apfel und der Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx. Sie fordern, dass sich die NPD klar zum Nationalsozialismus bekennt. Gleichzeitig halten sie alle Fäden in der Hand und bestimmen allein, was in der Fraktion und im Landesverband vor sich geht. Sie steuern die Partei wie kleine Monarchen und grenzen die Mitglieder gezielt von allen wichtigen Entscheidungen aus.
Die Mitglieder der NPD-Landtagsfraktion sind frei gewählte Abgeordnete, zumindest sie hätten gegensteuern können.
Es gab einige Versuche in diese Richtung. Doch letztlich waren wir zu wenige. Uns sind als Abgeordnete nicht nur die kompletten Redetexte im Landtag vorgegeben worden, man hat uns auch jeglichen Einblick in die Finanzen der Fraktion verwehrt. Welches Personal eingestellt wird und wie viel Geld Mitarbeiter erhalten, darüber konnten wir nicht entscheiden. Herr Apfel erklärte immer, diese Dinge würden uns nichts angehen. Dass sich der parlamentarische Geschäftsführer Uwe Leichsenring jeden Monat eine halbe Grunddiät zusätzlich aus der Fraktionskasse nimmt, haben wir NPD-Abgeordneten auch nur aus der Zeitung erfahren.
Wie gefährlich für Deutschland ist der rechtsextremistische Kurs der NPD?
Die Partei hat ein Programm, das in vielen Punkten nicht zeitgemäß ist. Allein die antiamerikanischen Thesen, die man vertritt, können so nicht funktionieren. Deutschland ist ein Exportland, die USA sind der wichtigste Handelspartner. Wenn die Bundesrepublik wirklich einen Kurs fahren würde, wie ihn die NPD vorgibt, hätten wir fünf Millionen Arbeitslose mehr und würden uns weltweit isolieren. Die NPD hat viele Ziele von vorgestern. Es gibt aber immer noch genug Leute, die den Parolen auf den Leim gehen.
Ex-Regierungschef Kurt Biedenkopf hatte mal erklärt, die Sachsen seien immun gegen rechts.
Man hat sich halt lange in Wahlerfolgen gesonnt und nicht gemerkt, was hinter den Kulissen läuft. Während alle anderen Parteien geschlafen haben, hat die sächsische NPD einfach eine gute Arbeit gemacht.
Die aktuellen Meinungsmonopolisten in der NPD stammen nun aber alle aus den alten Ländern. Gibt es in Ihrer Ex-Partei auch einen Ost-West-Konflikt?
Als die NPD-Liste zur Landtagswahl aufgestellt wurde, hat keiner an einen Erfolg geglaubt. Deshalb hat es auch kaum interessiert, wer nominiert wird. Als klar wurde, dass es etwas werden könnte, haben Marx und Apfel begonnen, die Plätze gezielt zu verteilen. So hat man uns davon überzeugt, Apfel zum Fraktionschef zu machen und ihm alle Vollmachten zu geben. Wir waren damals sehr naiv, genauer gesagt sogar äußerst dumm. Es gab zwar auch Bewerbungen von Sachsen, die wurden aber gar nicht erst diskutiert. Stattdessen begann nun die Bundes-NPD, ihr Intelligenz-Potenzial in Sachsen zusammenzuziehen. Die Möglichkeiten, die sich für Marx und Co. hier boten, hat man einfach schamlos ausgenutzt.
Sie wollen Ihr Abgeordnetenmandat auch als Parteiloser behalten. Warum?
Weil ich meinen sächsischen Wählern verpflichtet bin. Der größte Triumph für die NPD wäre doch, wenn ich mich jetzt irgendwo in ein Mäuseloch zurückziehe. Ich werde die Öffentlichkeit nicht scheuen .
Haben Sie Angst um sich oder Ihre Familie?
Eigentlich nicht, eventuelle Übergriffe würden nur bestätigen, was ich hier über die NPD erzähle.
Rechnen Sie damit, dass künftig andere NPD-Landtagsabgeordnete Ihrem Beispiel folgen?
Wer mit offenen Augen durchs Leben geht und zwischen den Zeilen lesen kann, wird so handeln wie ich. Ich rechne fest mit weiteren NPD-Aussteigern, allerdings nicht unter den Abgeordneten.
Sie wollen Politiker bleiben. Denken Sie dabei auch an die Gründung einer neuen Partei?
Das ist zurzeit kein Thema für mich. Auch ein Übertritt zu einer anderen Partei steht momentan nicht zur Debatte.
Sie waren jahrelang einer der wichtigsten NPD-Funktionäre in Sachsen. Gibt es etwas, wofür Sie sich im Nachhinein schämen?
Dass ich nicht früher ausgetreten bin. Ich hatte lange gedacht, dass ein Gegensteuern möglich ist. Da dies aber nicht geklappt hat, ist der heutige Zeitpunkt für einen Rückzug eigentlich schon viel zu spät.
Das Gespräch führte Gunnar Saft