Karl Nolle, MdL
DIE WELT, 09.05.2006
Sächsischer Sumpf
Belastende Dokumente, dubiose Reisen, zweifelhafte Aussagen: Die Staatsanwaltschaft hat neue Anhaltspunkte für kriminelle Machenschaften im Fall SachsenLB
Am 4. April dieses Jahres, einem Dienstag, bekam eine Tochterfirma der Landesbank Sachsen unangemeldeten Besuch: Kurz vor dreizehn Uhr betraten Dresdner Staatsanwälte die Geschäftsräume der Mitteldeutschen Leasing AG (MDL), die im Zentralgebäude der Leipziger Muttergesellschaft untergebracht sind. Die Fahnder vernahmen Mitarbeiter, inspizierten Computer, konfiszierten Unterlagen. Warum das geschah, wird bis heute wie ein Staatsgeheimnis behandelt. "Aus ermittlungstaktischen Gründen", sagt Justizsprecher Christian Avenarius: "Nicht einmal die Anwälte der Beschuldigten dürfen Akten einsehen."
Das Verfahren (Az.: 216.Js.15021/06) ist heikel. Und politisch äußerst brisant. Eine Führungskraft der staatseigenen Bank steht unter Verdacht, einen Zeugen zur Falschaussage vor einem Landtagsausschuß angestiftet und anschließend belastende Unterlagen vernichtet zu haben. Sollte dies zutreffen, wären die Parlamentarier von dem Institut in eklatanter Weise hintergangen worden.
Die Durchsuchung reiht sich ein in eine Skandalserie, die Deutschlands jüngste Landesbank seit anderthalb Jahren erschüttert. Im Monatsrhythmus kommen neue Ungereimtheiten ans Tageslicht. Nichts scheint unmöglich, das Sündenregister umfaßt mittlerweile Amigoaffären in der Chefetage, die mutmaßliche Fälschung einer Besitzurkunde oder aber die Bespitzelung mißliebiger Angestellter. Jüngst versicherte ein Detektiv sogar, eine frühere Bankenmanagerin habe ihn einst damit beauftragen wollen, Kurt Biedenkopf mögliche Kontakte zu NPD-Funktionären nachzuweisen. Der ehemalige Regierungschef hatte Fehlentwicklungen in der SachsenLB gerügt, dem Freistaat sei "erheblicher Schaden" entstanden.
Vier Vorstände wurden wegen abgelöst, darunter Bankenchef Michael Weiss. Sein Nachfolger ist seit einem Jahr der aus dem Rentnerdasein zurückgeholte Sparkassendirektor Herbert Süß, der Ruhe in das Institut bringen sollte. Doch auch unter seiner Ägide gibt es fragwürdige Vorgänge, wie die Beschlagnahmung bei der Leasingtochter MDL zeigt. Diese Gesellschaft, vor sechs Jahren mit dem bayerischen Unternehmer Ludwig Hausbacher gegründet, spielt eine Schlüsselrolle beim sächsischen Bankendesaster.
Der Ärger begann, als die SachsenLB versuchte, Minderheitsaktionär Hausbacher aus der gemeinsamen Firma zu drängen. Als dieser sich sträubte, wurde zu unfeinen Mitteln gegriffen. So versuchte man, den lästig gewordenen Partner mit "Kontakten zur russischen Mafia" zu verleumden. Doch Hausbacher, ebenfalls nicht zimperlich, hielt dagegen und stellte astronomische Schadenersatzforderungen. Längst haben die Streitigkeiten zwischen den MDL-Eignern eine Lawine zivil- und strafrechtlicher Verfahren ausgelöst.
Die erbitterte Fehde führte nicht zuletzt dazu, daß das bizarre Innenleben der Bank vor aller Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Dabei zeigte sich rasch, daß zwei Christdemokraten die dubiosen Machenschaften leichtfertig ignorierten: Ministerpräsident Georg Milbradt, der nach der Wende den Aufbau der einzigen Landesbank im Osten vorantrieb, und sein Finanzminister Horst Metz, zugleich Verwaltungsratschef, hatten sich fast bedingungslos auf die Seite der zwischenzeitlich abberufenen Führungsriege gestellt. Die Politiker agierten wie Schutzpatrone des Leipziger Sumpfbiotops.
Das Geldhaus mit 62,4 Mrd. Euro Bilanzsumme und 650 Mitarbeitern ist unterdessen in eine bedenkliche Schieflage gerutscht. Es verfügt unter allen Landesbanken über das schlechteste Rating - die Agentur Standing & Poor's verleiht nur "BBB+". Auch eine Kapitalspritze von 300 Mio. Euro, Mitte 2005 vom Freistaat Sachsen änderte nichts daran. Ohne Partner gilt die SachsenLB als nicht konkurrenzfähig, mit Partner würde sie wohl zur Filiale degradiert.
Die WestLB als einziger Kaufinteressent zeigt sich reserviert, nachdem der Gewinn eingebrochen ist. Das Betriebsergebnis vor Steuern stürzte 2005 um 70 Prozent auf gut 18 Mio. Euro ab, die Eigenkapitalrendite sank von 10,4 Prozent auf lausige vier Prozent. Das ist hohen Wertberichtigungen geschuldet, die früher unterblieben waren - vermutlich aus politischen Gründen: Konnten die Regierenden in Dresden dadurch doch mit hohen Gewinnen prahlen und den Unmut über das skandalöse Gebaren etwas dämpfen.
Trotzdem beschäftigt sich seit Juli 2005 ein Untersuchungsausschuß des Landtages mit "Versäumnissen und Fehlentscheidungen der Staatsregierung und ihrer Mitglieder". Als erste hatte ausgerechnet die NPD die parlamentarische Aufklärung gefordert, erst dann folgten andere Parteien - was die SachsenLB öffentlich "mit Bedauern zur Kenntnis" nahm.
Der Ausschuß wird wohl bis zum Ende der Legislatur arbeiten - noch gut drei Jahre. Bislang tagte man 15 Mal, befragte drei Sachverständige und 13 Zeugen. "Was dabei ans Tageslicht kam, ist haarsträubend", sagt ein Teilnehmer. Der Vorstandsvizechef wurde vom Gremium mit einem Protokoll konfrontiert, das auf grobe Illoyalität schließen läßt. Der Zeuge mußte einräumen, einstige Vorstandskollegen gegenüber einem Bankenkritiker übel beschimpft ("Der ist ein Aas") zu haben - und verlor deshalb sein Amt.
Denkwürdiger war der folgenreiche Auftritt des Notars Georg Schildge vor dem Ausschuß. In Begleitung von Minister Metz soll der Jurist am Rande des Dresdner Presseballs der Gegenseite um Hausbacher ein lukratives Vergleichsangebot unterbreitet haben, um den Dauerstreit bei der MDL außergerichtlich beizulegen. Dazu von den Abgeordneten befragt, verwickelte sich der Minister-Vertraute, am Montag nicht für eine Stellungnahme erreichbar, in heillose Widersprüche. Nun wird gegen ihn wegen uneidlicher Falschaussage ermittelt.
Für die Staatsanwälte scheint die Sache klar. Schildge habe "Falschaussagen getätigt", heißt es in einem internen Bericht. An diesem Dienstag wollen die Ermittler Metz dazu vernehmen, nachdem dieser zuvor mehrere Termine hatte platzen lassen. Auf Anfrage bestreitet der Minister Vorwürfe, er habe die Ermittlungen zu dem Fall ganz bewußt verzögert. Zu Details will er sich "aus Respekt vor der Justiz" nicht äußern.
Wie diese Zeitung erfahren hat, fand am vergangenen Freitag auch bei Schildge eine Durchsuchung statt - es ist ein weiterer Höhepunkt in der unendlichen Affäre. Ein entsprechender Beschluß wurde bereits am 13. März beim Amtsgericht Dresden erwirkt, aber erst jetzt vollstreckt. Bei der Durchsuchung der Bankentochter MDL fackelten die Ermittler nicht so lange. Es war Gefahr im Verzug - das jedenfalls ergibt sich aus internen Unterlagen zum Verfahren, die der WELT vorliegen. Die Dokumente lesen sich wie ein Wirtschaftskrimi.
Der aktenkundige Verdacht hat politische Sprengkraft. Wiederum geht es um eine Falschaussage vor dem U-Ausschuß. Vorgeworfen wird sie Horst Meurer, der 2002 ein halbes Jahr MDL-Finanzvorstand war und offiziell als Zeuge der CDU auftrat. Tatsächlich war es eher ein Zeuge der Bank. Mitarbeiter berichten, man habe den heute bei Köln wohnenden Manager mühsam ausfindig gemacht und zur Aussage überredet. Um diese vorzubereiten, traf sich Meurer an zwei März-Wochenenden mit dem MDL-Chef Rainer Born - ihm wirft die Staatsanwaltschaft Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage, Untreue und versuchte Strafvereitelung vor. "Sämtliche gegen mich erhobenen Vorwürfe sind unbegründet", teilt der Beschuldigte Born dagegen mit.
Zu einer der beiden Begegnungen im Dresdner Luxushotel Schloß Eckberg jedenfalls brachte Meurer Frau und beide Kinder mit. Von den Treffen hatte der Ausschuß zufällig erfahren und nahm daraufhin Meurer ins Kreuzverhör. Der verhielt sich wie ein ertappter Dieb, der ständig neue Versionen auftischt. Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle wollte wissen, ob er die Flugkosten für seine Familie "verauslagt oder bezahlt" habe. Als Antwort vermerkt das Protokoll: "Ich habe sie bezahlt." Das aber trifft nicht zu, wie die Staatsanwälte seit der Durchsuchung wissen. Dabei wurde ein als "vertraulich" deklariertes Schreiben Meurers gefunden, das zwei Wochen vor seiner Zeugenaussage am 20. März an MDL-Chef Born ging. Darin wurden die Reisekosten in Rechnung gestellt. Die Zahlung hat die MDL prompt am 9. März auch angewiesen.
Meurer, der eine Stellungnahme ablehnt, will nun das Protokoll an der entsprechenden Stelle - und in 44 weiteren Punkten - korrigieren. Doch im nachhinein sind inhaltliche Änderungen unzulässig.
Nach dem Befragungsdesaster bemühte sich auch Born um Schadensbegrenzung und telefonierte tags darauf mit Meurer. Die schon erstatteten Reisekosten wurden an die MDL zurücktransferiert. Trotz der hektischen Transaktion besteht gegen Born der Verdacht der Untreue. Ferner wird ihm vorgeworfen, er habe Mitarbeiter angewiesen, "Unterlagen zu den durchgeführten Besprechungen ... zu vernichten." Auch dafür gibt es Indizien. Jetzt wackelt der Stuhl des MDL-Chefs - es wäre die fünfte Vorstandsabberufung im Rahmen der Skandalserie.
Noch zeigt sich die Bank zuversichtlich. Das Verfahren, in dem es doch nur um Petitessen gehe, werde bald eingestellt, heißt es. Justizkreise verwundert diese Einschätzung: "Das ist kein Spaß, was wir da machen."
von Uwe Müller