Karl Nolle, MdL
Neues Deutschland ND, 13.05.2006
Landtags-Rauswurf per Hammelsprung
Chef der sächsischen Linksfraktion soll per Klage sein Mandat verlieren
Peter Porsch soll sein Mandat entzogen werden, weil eine Mehrheit in Sachsens Landtag dem Chef der Linksfraktion MfS-Kontakte vorwirft. Das Parlament stritt hart um die Klage, deren Erfolg unwahrscheinlich ist.
Am Ende musste die Abstimmung sogar wiederholt werden. Nach einem Zählfehler wurde erstmals in der Geschichte des sächsischen Landtags der »Hammelsprung« praktiziert. Dabei votierten 83 Politiker per Gang durch die »Ja«-Tür dafür, Peter Porsch beim Verfassungsgericht auf Entzug des Mandats zu verklagen. Die 31 Mitglieder der Linksfraktion waren dagegen, fünf Abgeordnete enthielten sich. Donnerstag kurz vor 22 Uhr war klar: Die Zweidrittelmehrheit steht.
Drei Stunden lang hatten Sachsens Abgeordnete zuvor emotional über das bundesweit beispiellose Vorhaben gestritten, gegen den prominenten Linkspolitiker eine Abgeordnetenklage anzustrengen, wie sie Artikel 118 der Landesverfassung bei MfS-Kontakten zulässt. Porsch wird vorgeworfen, der Stasi in den 70er Jahren über eine private Lesung in der Wohnung seiner heutigen Frau berichtet zu haben.
Porsch, der eine wissentliche IM-Tätigkeit seit Auftauchen der Vorwürfe im Sommer 2004 bestritt, sprach als letzter Redner und nannte es »absurd«, auf »Basis von Aktenhinterlassenschaften« über sein Leben zu urteilen. Er beklagte, das Urteil habe lange festgestanden. »Ihr Wille sei nun ihr demokratisches Himmelreich«, erklärte Porsch, der mit dem Gerichtsverfahren »Hoffnung auf einen Ausweg aus der Absurdität« verbindet. Im Rechtsstaat sollten »nicht Historiker Recht sprechen«.
Zuvor waren die Ansichten aufeinander geprallt. Der Bündnisgrüne Karl-Heinz Gestenberg erklärte, Porsch habe »wissentlich und willentlich« für das MfS gearbeitet, seine »Abschöpfungstheorie« sei widerlegt. Nach ähnlichen Aussagen hatten dessen Anwälte kürzlich Unterlassung verlangt. Johannes Gerlach (SPD) bedauerte Porschs Weigerung, sich zu den Vorwürfen zu äußern: »Wer seine eigenen Probleme nicht lösen kann, weil er sie verdrängt, ist nicht geeignet, Probleme anderer zu lösen.« Eine Fortsetzung des Mandats sei unzumutbar.
Klaus Bartl, Rechtspolitiker der Linken, sagte im Gegenzug, Artikel 118 sei verfassungswidrig. Deshalb habe man das Verfahren nicht legitimieren wollen. André Hahn, der parlamentarische Geschäftsführer, ergänzte, es gehe nicht um »ergebnisoffene Auseinandersetzung«, sondern um »Abrechnung« und einen »Frontalangriff auf die Linkspartei«.
Unterstützung für Porsch gab es von Karl Nolle (SPD). Nachdem die Bundesrepublik bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen »jämmerlich versagt« habe, sei auch DDR-Vergangenheitsbewältigung ausgeblieben. In Sachsen seien MfS-Hauptamtliche Beamte geworden, während IM-Tätigkeit zu Mandatsverlust führen könne: »Da stimmt was nicht.« Nolle enthielt sich ebenso wie Martin Gillo (CDU). Der Ex-Wirtschaftsminister verwies darauf, dass von Porsch »Einsicht und Bedauern« verlangt werde, aber keine Möglichkeit bestehe, im Gegenzug den Antrag zurückzuziehen.
Besonders hoch schlugen die Emotionen angesichts der Beteiligung der NPD. Während SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss sich trotz vermeintlich »klarer Beweislage« enthielt, weil er »kein Ziel an der Seite geistiger Ziehkinder von NS-Schergen erreichen« wolle, nannte es Cornelia Ernst, Landesvorsitzende der Linkspartei, ein »alarmierendes Zeichen politischer Skrupellosigkeit«, dass NPD-Zustimmung einkalkuliert werde. Ob diese für die Zweidrittelmehrheit nötig war, blieb strittig. Wenn, wie von Landtagspräsident Erich Iltgen vorgegeben, die Enthaltungen ausgeklammert und zudem alle NPD-Stimmen vernachlässigt würden, gäbe es 70 Prozent Ja-Stimmen, sonst nur 63 Prozent.
Über die juristischen Aussichten der Klage, die nun vorbereitet wird, geben sich auch Befürworter kaum Illusionen hin. Der FDP-Abgeordnete Sven Morlok sagte, er stimme zu – aber nur, weil das Parlament Ankläger, nicht Richter sei. Eigentlich spreche viel dafür, dass Artikel 118 verfassungswidrig sei. Der Leipziger Verfassungsrechtler Christoph Enders sagte der »Sächsischen Zeitung«, letztlich werde mit dem Verfahren »das Wahlvolk bevormundet«.
Von Hendrik Lasch, Dresden