Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 27.05.2006
"Selbstverwaltung mit Selbstbedienung verwechselt"
Dresden/Leipzig. Nach neuen Vorwürfen in der Affäre um die ehemalige Landesversicherungsanstalt (LVA) hat die sächsische FDP Konsequenzen gefordert. Der langjährige Vorstandsvorsitzende des Rententrägers, DGB-Landeschef Hanjo Lucassen, müsse von seinen Ämtern bei der LVA-Nachfolgerin Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV-MD) zurücktreten, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Landtagsfraktion, Torsten Herbst, gestern in Dresden.
"Lucassen verwechselt Selbstverwaltung mit Selbstbedienung", so Herbst. Nach Ansicht des FDP-Politikers hat der DGB-Chef nicht nur seine Kontrollpflichten ungenügend wahrgenommen, hinzu kämen neue Hinweise auf dubiose Praktiken in Chemnitz. "Wenn die Vorwürfe jetzt auch durch interne Prüfungen erhärtet werden, ist der Rücktritt eine Frage der politischen Hygiene", sagte Herbst. Dabei bezog er sich auf einen Bericht einer DRV-Prüfgruppe, nach dem Lucassen in Unregelmäßigkeiten um die LVA-Geschäftsstelle Chemnitz verwickelt sein soll. So habe der Rententräger 2002 Räume einer städtischen Gesellschaft gemietet, obwohl ein deutlich günstigeres Angebot vorgelegen habe. Dadurch sei ein Schaden in Höhe von 86 700 Euro entstanden.
In der Sache ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden wegen des Verdachts der Untreue. Gleichzeitig regen die Prüfer ein Amtsenthebungsverfahren gegen Lucassen an. Der DGB-Chef ist derzeit Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Personalausschusses der DRV-MD in Leipzig. Kritik kam auch von der Linkspartei. "Das Fall riecht nach SPD-Lobbyismus", sagte der Landtagsabgeordnete und OB-Kandidat in Chemnitz, Karl-Friedrich Zais. "Von einem DGB-Chef darf man etwas anderes erwarten." In dem Bericht hatten die Prüfer nicht ausgeschlossen, dass bei der Anmietung der LVA-Geschäftsstelle "sachfremde Gesichtspunkte" eine Rolle gespielt haben. Sie verweisen darauf, dass der Chemnitzer OB Peter Seifert wie Lucassen Mitglied der SPD ist.
Auch das Sozialministerium hat sich eingeschaltet. Die DRV sei zur Stellungsnahme aufgefordert worden, sagte Sprecher Ralph Schreiber gestern auf Anfrage. Darüber hinaus werde geprüft, ob die ehemaligen LVA-Vorstandsmitglieder für eventuell entstandenen Schaden haftbar gemacht werden könnten. DRV-Chef Wolfgang Kohl, auf dessen Initiative die interne Prüfgruppe tätig wurde, hat sich für mehr Transparenz bei dem Rententräger ausgesprochen. Gleichzeitig verwies er darauf, dass "von einem Skandal oder gar einem Korruptionssumpf bei der ehemaligen LVA Sachsen keine Rede sein" könne.
Jürgen Kochinke