Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 29.05.2006

„Sind Sie noch in der richtigen Partei?"

Der sächsische Landtagsabgeordnete Karl Nolle über seine umstrittene Rolle in der SPD und der Koalition
 
Dresden. In seiner SPD ist Karl Nolle gefürchtet. Bei etlichen Genossen gilt er als unberechenbar, anpassungsunfähig und schlagzeilensüchtig. Die CDU sieht in dem Landtagsabgeordneten ein Koalitionsrisiko. Hubert Kernper sprach mit ihm über dessen Verhältnis zu Partei und Staat.

Freie Presse: Ihre Nähe zu PDS-Interessen irritiert in der SPD. Sind Sie noch in der richtigen Partei?

Karl Nolle: Mal langsam. Unter Schröder hat die SPD hunderttausende Mitglieder und Millionen Wähler verloren. Wir sollten wieder zur Partei August Bebels und Willy Brandts zurückfinden, denn in die bin ich 1963 aus voller Überzeugung eingetreten. Dann hätten, wir Chancen, die Führungsposition einer sozialen Volkspartei im Osten einzunehmen. Davon sind wir heute weiter entfernt denn je. Wer die Interessen von Rentnern, Arbeitnehmern und Arbeitslosen in Ostdeutschland vertreten will, kommt an der PDS nicht vorbei. Sie ist ein ernstzunehmender politischer Gegner.

Freie Presse:... und Ihre künftige politische Heimat?

Nolle: Wenn die SPD wieder zur Rolle der Schutzmacht der kleinen Leute" zurückfindet, wie es Johannes Rau einmal sagte, halte ich das für ausgeschlossen. Stellen kann sich eine Alternative für mich als ein sozialdemokratisches Urgestein nur, wenn die Verwüstungen, die Schröder in der Partei angerichtet hat, nicht konsequent geheilt werden. Aber die Frage der Rückbesinnung der SPD auf ihre Wurzeln ist ebenso unbeantwortet wie die Zukunft der PDS: Gelingt es ihr, sich zu einer wirklich freiheitlich-demokratischen Partei ohne kommunistische Denkmuster zu entwickeln?

Freie Presse: Sie kritisieren den Schmusekurs der SPD in der Koalition mit der CDU. Warum?

Nolle: In einer Koalition hat jeder seinen Job zu machen. Sie ist keine Harmonieveranstaltung oder Liebesheirat. Sie ist ein Zweckbündnis. Koalitionen sind Konsensveranstaltungen. Dabei ist Selbstbewusstsein angesagt. Gegenseitiger Respekt ja, Unterwürfigkeit nein. Wir müssen als die soziale Kraft für den Wähler deutlich erkennbar bleiben.

Freie Presse: Koalitionen sind auf Kompromisse angewiesen. Lehnen Sie Kompromisse ab?

Nolle: Es gibt kein Leben ohne Kompromisse. Die Frage ist jedoch: Ist es Kompromiss oder fauler Zauber? Wenn der Kompromiss zwischen den i6 Prozent der SPD und den i8 Prozent Mehrwertsteuer der CDU nun r9 Prozent sein soll, ist das kein Kompromiss, sondern riecht unanständig. Und es ist die völlig falsche Antwort auf die Binnenmarktschwäche und die mangelnde Kaufkraft in Deutschland.

Freie Presse: Was würde eine Regierung unter Ihrer Führung ändern?

Nolle: Ich würde mich bemühen, verloren gegangene Glaubwürdigkeit wiederzustellen. Politiker dienen auf Zeit und sollten zeitgerechte Verträge erhalten, das heißt so viel verdienen, wie es ihrer Verantwortung entspricht. Das könnte unabhängige Spitzenkräfte in die Politik locken. Weder die Ochsentour durch die Parteien noch vergleichsweise schlechte Dotierung animieren dazu. Abstellen würde ich Luxuspensionen, für die ein Facharbeiter über ioo Jahre arbeiten müsste.

Freie Presse: Wie denken Sie über die „politische Klasse" in Sachsen?

Nolle: Solange es bei der Auswahl von Mandatsträgern nicht danach geht, was einer kann und weiß, sondern mehr nach innerparteilichem und regionalem Machtproporz, werden Spitzenkräfte nur zufällig nach oben kommen. Manche Abgeordnete und Amtsträger kommen ohne Hilfe ihres Referenten oder eines ganzen Stabes nicht allein über die Straße. Wer regiert, muss zügig entscheiden können, Fehler einräumen und korrigieren können. Was uns fehlt, wie anderswo auch, sind Politiker mit Kreuz - und eine ehrliche Politikerbewertung.
Karl Nolle.

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Anmerkung von Karl Nolle: leider hat die Endredaktion der FP wg. "Platzmangel" zwei Fragen und Antworten des obenstehenden Interviews rausgekürzt. Der Vollständigkeit halber füge ich diese hier an:

Freie Presse: Sie bekämpfen seit Jahren Filz und Vetternwirtschaft. Ist Sachsen "sauberer" geworden?

Nolle: Ein Stück schon, nachdem Köpfe gerollt sind. Die Skandale um die SachsenLB und die Arbeit des Untersuchungsausschusses zeigen das. Der gesamte Vorstand und weitere leitende Angestellte der SachsenLB und der MDL wurden nur durch öffentlichen Druck, nicht durch kluge Politik, in die Wüste geschickt. Das spricht eine deutliche Sprache. Die politisch erzwungene Kapitalerhöhung von 300 Millionen bei der SLB kaschiert nur katastrophale Mißwirtschaft, aufgeschobene Rückstellungen und Verlustabschreibungen der letzten Jahre und konnte das Räting trotzdem nicht verbessern. Und es kommt noch dicker. Sauber ist etwas anderes. Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht.

Freie Presse: Was ist Ihnen wichtiger: Staats- und Koalitionsräson oder Aufklärung?

Nolle: Das sind keine Alternativen. Vom Bürger werden Korrektheit und Gesetzestreue erwartet. Das muss selbstverständlich auch für die Regierenden gelten. Wer diesen hohen moralischen Anforderungen nicht entsprechen kann oder will, sollte nicht Politiker werden, erst recht nicht Amtsträger, wie man leidvoll in Dresden sehen kann. Es muß gerecht, rechtstaatlich korrekt und ohne auch nur einen Hauch von Korruption zugehen. Das ist in einer freiheitlichen Demokratie wichtiger als Räson. Unsere Gesellschaft funktioniert nicht ohne Zivilcourage und öffentliche Aufklärung durch die Medien.