Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 31.08.2006

„Selbstgefällig und skrupellos“

Prozess. Ein Jahr und sechs Monate zur Bewährung fordert der Staatsanwalt als Strafe für Dresdens OB.
 
Ingolf Roßberg nimmt die rechte Hand vors Gesicht, dreht dem Publikum den Rücken zu, mahlt mit den Unterkiefern, sieht fragend seinen Verteidiger an. Staatsanwalt Till Pietzcker hat es wirklich gesagt, alle haben es gehört: „Ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung.“ Pietzcker sieht bei Dresdens OB die Untreue, die Vorteilsnahme und die Beihilfe zum Bankrott im Zusammenhang mit der Privatinsolvenz Rainer Sehms als erwiesen an. Roßberg ist fassungslos. Seit der Ankläger sein Plädoyer verliest, verkrampft er sich immer mehr. Dabei hat er all das mehrfach gehört. Es gibt keine Überraschungen mehr. 23 Zeugen sind aufmarschiert, der Befreiungsschlag ist ausgeblieben. Trotzdem glaubt Roßberg offenbar immer noch an einen glatten Freispruch für sich – weil er nur das Beste wollte. Für Dresden.

Klassischer Korruptionsfall

Nun fasst Pietzcker zusammen: Roßberg habe Sehm als Vize-OB mit Insignien eines hohen Amtsträgers installiert, und dessen Bestechungspläne aktiv unterstützt. Roßberg bestreite dies zwar in mittlerweile sechs Versionen. Doch sein Ex-Anwalt Stefan Heinemann habe zugegeben, dass es Gespräche über lukrative Beraterverträge für Sehm mit den Firmen Bovis Lend Lease (BLL) und GVZ Nord Plant gab. „Roßberg handelte vorsätzlich und konspirativ“, so Pietzcker. Er habe später Sehms Gehalt auf Kosten der Stadtkasse vervierfacht. Das habe Dresden über 100 000 Euro gekostet. Simone Heine als Strohfrau habe es dem Ex-Flutkoordinator ermöglicht, dieses Geld an seinen Gläubigern vorbeizuschleusen. „Roßberg handelte entgegen aller Grundsätze zur sparsamen Haushaltsführung. Er hat sich für die Alimentierung Sehms entschieden“, so der Staatsanwalt. Die Erklärungen, die Roßberg zu einzelnen Sachverhalten abgegeben habe, seien oft „nicht nachvollziehbar“. Er habe Mitarbeiter in konkrete Gefahr der Strafverfolgung gebracht wie etwa den Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU), und dem Ruf der Verwaltung geschadet durch sein Verhalten.

Bis hierhin verfolgt Roßberg die Rede des Anklägers mit hängenden Mundwinkeln. Sein Gesicht wird aschgrau und versteinert, als Pietzcker deutlicher wird: „Es geht hier um einen klassischen Fall von Korruption, bei dem eine Person mit ihrem Amt verschmilzt.“ Roßberg habe sich wie ein Gutsherr aufgeführt und vergessen, dass ihm die Geschäfte nur auf Zeit und zu treuen Händen übertragen worden seien. Nur das Beste für Dresden?

Stattdessen habe Roßberg „Unterlagen frisiert, Verträge rückdatiert, sein Rechtsamt ignoriert und einen Anwalt bestellt, den die Stadt bezahlen musste, Informationen zurückgehalten. Oftmals habe Roßberg schlicht gelogen. Seinen Mitarbeitern gegenüber sei er skrupellos und illoyal gewesen, er habe ihnen Zwangs-Zeugenbeistände verordnet, sie unter Druck gesetzt. Roßbergs Interessen und diejenigen der Stadt seien nicht deckungsgleich. „Durch korruptives Verhalten wurde das Vertrauen der Bevölkerung nachhaltig verletzt.“

Roßberg habe sich nie mit seiner Schuld auseinandergesetzt, sondern „selbstgefällig nur einen einzigen Fehler gestanden, das Vertrauen in Rainer Sehm“. Roßberg habe es sich in der Rolle des Opfers von Intrigen bequem gemacht. Roßberg zieht die Augenbrauen zusammen, sein Kiefer mahlt heftiger, doch es ist noch lange nicht vorbei. Sein Verteidiger Peter Manthey ist damit gescheitert, die Verhandlung für 24 Stunden auszusetzen.

Hohe kriminelle Energie

Nun folgt das zweistündige Plädoyer des Sehm-Verteidigers. Für Sehm beantragte Pietzcker eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren wegen Bankrott und Bestechlichkeit. Sehm habe „erhebliche kriminelle Energie gezeigt“. Täuschungen in diesem Ausmaß, mit einem Geflecht aus Scheinfirmen und Scheinwohnsitzen habe er selten erlebt. Positiv rechnete Pietzcker Sehm dessen Einsatz bei der Flutschadensbeseitigung an sowie sein Teilgeständnis. Überdies habe Sehm im Februar 2005 unter seiner Untersuchungshaft sehr gelitten.

Wilhelm sagte, das Verfahren sei fair und kein politischer Prozess gewesen. Roßbergs Verteidigung sei aber „eine Katastrophe, weil es keine Aussagenkontinuität gibt, Aussagen widersprüchlich sind, und es für die Widersprüche keine Erklärung gibt“. Den Bankrott Sehms ließ Wilhelm nur für zwei anstatt elf Fälle gelten. Ob die Vorwürfe der Bestechlichkeit nachweisbar seien, sei fraglich. Er plädierte für eine Geldstrafe von maximal 9 000 Euro für beides, da Sehm wirtschaftlich ruiniert sei, und keine Perspektive mehr habe. „Er wird nur noch ein Nischendasein führen können“, so Wilhelm. Damit dasselbe nicht auch seinem Mandanten passiert, will der Roßberg-Verteidiger ungefähr drei Stunden plädieren. Weil die Zeit dafür gestern nicht reichte, geht die Verhandlung am Freitag um 16 Uhr weiter.
Von Petra-Alexandra Buhl