Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 01.12.2006

CDU-Mann fischt erneut am rechten Rand

Skandal. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche provoziert wieder einmal mit Hetzparolen – doch die Union reagiert hilflos.
 
Dresden. Die sächsische CDU kämpft wieder einmal mit einer klaren Abgrenzung gegen Rechts. Und wieder einmal tanzt ihr dabei der ostsächsische Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche auf der Nase herum – ungestraft.

Man brauche den Patriotismus, „um endlich vom Schuldkult runterzukommen“ und damit „Deutschland nie wieder von Multikulti-Schwuchteln in Berlin regiert wird“. Das hatte Nitzsche bereits im Juni auf einer Diskussionsveranstaltung in Lieske bei Kamenz erklärt. Bekannt wurde der Skandal jetzt erst, als der Vorsitzende des CDU-Stadtverbandes Wittichenau, Staatsanwalt Ludwig Altenkamp, am Montag deswegen zurücktrat. Er brandmarkte Nitzsches Sätze, die in Anwesenheit von Ex-Kultusminister Mathias Rößler (CDU) gefallen waren, als rechtsextrem.

Kritik von Generalsekretär

Der CDU-Landesvorsitzende, Ministerpräsident Georg Milbradt, äußerte sich gestern mit keiner Silbe zu den Ausfälligkeiten seines Parteifreundes, sondern ließ auf seinen Generalsekretär verweisen. Der wiederum hatte alle Mühe, die Wogen zu glätten. Nitzsches Äußerungen seien „dumm, unanständig und völlig inakzeptabel“, sagte Michael Kretschmer. „Solche Stammtischparolen schaden der CDU und ihrem Image.“ Das würde „nicht hingenommen“. Der Zentralrat der Juden spricht unterdessen bereits von einem „zweiten Fall Hohmann“. Der Hesse war wegen antisemitischer Äußerungen aus der Partei ausgeschlossen worden.

Völlig frei von jeglicher Einsicht in ein mögliches Fehlverhalten zeigte sich dagegen Nitzsche auch gestern. Kritik an seinen Äußerungen qualifizierte er als „nachwachsenden Unsinn“ ab. Telefonisch war er zwar nicht erreichbar, dafür stellte der 47-Jährige auf seiner Internet-Seite seine Sicht der Dinge dar. Er habe bei der Veranstaltung im Sommer „absichtlich deftig formuliert“. Dies sollte „zur Diskussion anregen, was auch hervorragend gelang“, so Nitzsche. Altenkamp habe mit seiner Kritik völlig allein gestanden, prahlte der Ostsachse weiter und warf ihm vor, eine „regelrechte Privatfehde“ zu führen. „Ich wehre mich gegen den Abbau demokratischer Grundrechte, vor allem gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit, und ich werde das auch weiterhin tun“, so Nitzsche weiter. Am Abend war der Text ausgetauscht. Nun war von „Bedauern“ und Distanzierung die Rede.

Empörte Reaktionen

Mehrfach hatte der Betriebswirt bereits mit rechtslastigen Äußerungen für Schlagzeilen gesorgt. Ende 2003 hatte Nitzsche erklärt, eher werde einem Moslem „die Hand abfaulen“, als dass er CDU wähle. Nitzsche sei „Wiederholungstäter“, kritisierte denn auch PDS-Landeschefin Cornelia Ernst. Sowohl Nitzsche als auch Rößler müssten ihr Mandate niederlegen. Der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Brangs sagte, es sei nicht hinnehmbar, dass Nitzsche „mit dem Hintern ständig umwirft, was die Koalitionen im Bund und im Land mühsam mit den Händen aufbauen“. FDP-Rechtsexperte Jürgen Martens warnte die CDU vor „Beifall von der falschen Seite“. Der Grünen-Bundespolitiker Volker Beck warf Nitzsche vor, er habe mit dem Begriff „Schuldkult“ alle Opfer des Nationalsozialismus verhöhnt.

Auch in der Union mehren sich die Rufe nach Konsequenzen. „Die Grenze des Erträglichen ist schon lange überschritten“, sagte Ex-Innenminister Heinz Eggert der SZ. „Das wäre ein Fall für die Parteiführung.“ Doch dort denkt man offenbar weiterhin nicht an ein Partei-Ausschlussverfahren – die Chance, dass Nitzsche sich einklage, sei zu groß, heißt es in Unionskreisen. Die NPD hat unterdessen aus dem Unionsdilemma vergnügt ihre eigenen Schlüsse gezogen: Sie schickte Nitzsche einen Aufnahmeantrag.
Von Annette Binninger