Karl Nolle, MdL

SUPER-ILLU Nr. 15, 05.04.2001

Für einen Job in den Westen

Politiker beklagen die Abwanderung Ost, Arbeitsämter fördern sie
 
Beispiel Bautzen-Freising: Wie aus Sachsen Bayern werden

Panik! Der Osten blutet aus, mahnen Politiker in den neuen Ländern. Ständig steigt die Abwanderung. 50.000 mehr Ab- als Zuwanderer sollen es 2000 gewesen sein. Noch liegen die Statistiken nicht vor. Fest steht: Mehr als 1,7 Mio. Ostdeutsche haben seit der Wende die neuen Länder verlassen (1,2 Mio. kamen aus der Gegenrichtung). Vor allem die Jungen und Qualifizierten, darunter viele Frauen, lassen ihre Heimat hinter sich, ziehen für Lehre oder Job gen Westen. Bevorzugt in den Süden, nach Baden-Württemberg und Bayern. Dort blüht die Wirtschaft, sind Arbeitskräfte Mangelware – und die Ostdeutschen werden heftig umworben.

Beispiel Freising. 45.000 Einwohner zählt die Kreisstadt in idyllischer Lage an der Isar. Seit neuestem ist außer sattem Bayerisch immer mehr sächsischer Dialekt zu hören – beim Bäcker, in Hotels und am Flughafen München-Freising, dem größten Arbeitgeber der Region. Hier arbeiten seit Anfang 2001 Sachsen in der Gepäckabfertigung. Aber auch arbeitslose Dachdecker, Lagerarbeiter und Hotelfachleute aus der Region Bautzen lassen Verwandtschaft und Freunde zurück. Alles für einen Job im 600 km entfernten Freising.

Und so funktioniert es: „Sozial begleitete Mobilität“, heißt das erfolgreiche Vermittlungs-Projekt der Arbeitsämter Bautzen und Freising. Jobbörsen bringen Wirtschaftsvertreter, Job-Vermittler und Arbeitssuchende zusammen. Daran schließen sich „Schnupperfahrten“ für Interessenten aus Bautzen an, um die Betriebe und die Umgebung zu besichtigen. Ernsthaft Interessierte nehmen an einer 8-wöchigen Trainingsphase teil. Busse pendeln bis zur endgültigen Übersiedlung zwischen Bautzen und Freising. Bildungsträger unterstützen die Menschen bei der Suche nach Wohnung und Kindergartenplätzen. Quasi als „Startgeld“ gibt es zudem einmalig 5.000 Mark bei Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages vom Arbeitsamt. 250 Sachsen wechselten auf diese Art seit Sommer in den Raum Freising.

Trennungs-Schmerz. Trotz der Betreuung fällt es vielen, besonders älteren Arbeitssuchenden schwer, alles hinter sich zu lassen. „Das sind Einzelschicksale, die wir respektieren“, sagt Gerhard Güßgen (53), Leiter des Arbeitsamtes in Freising. „Klar, dass und die Politiker im Osten nicht wohl gesonnen sind. Aber langfristig gesehen ist es besser – gut ausgebildete Leute können in ihre Heimat zurückkehren, sobald sich die wirtschaftliche Lage bessert.

Fachkräftemangel herrsche schon jetzt im Osten. Wohnungen stehen leer, mahnt Hartmut Büttner (49), Sprecher der neuen Länder in der Mittelstandsvereinigung der CDU. Und auch von Seiten der Opposition in Sachsen erntete die Arbeitsamt-Kooperation herbe Vorwürfe: „Mit solchen Kopfgeldzahlungen für Arbeitskräfte wird die Lausitz auf Jahrzehnte hinein eine ausgeblutete Region ohne Perspektive“, kritisiert Karl Nolle (56), wirtschaftspolitischer Sprecher, der SPD im sächsischen Landtag.

Warum die Menschen dem Lockruf des Westens folgen, beschäftigt auch die Forscher. Deutliches Ergebnis des Leipziger Instituts für Meinungsforschung: 78% gingen wegen Arbeits- oder Lehrstellen, 43% wegen der besseren Bezahlung.