Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 15.01.2007

Akten droht der Reißwolf

Geheimdienst. Der Justiz werden brisante Hinweise auf kriminelle Strukturen in Sachsen vorenthalten.
 
Dresden. Es sind jede Menge interessante Hinweise, die der Verfassungsschutz über Organisierte Kriminalität in Sachsen gebunkert hat. 80 Aktenordner mit Verdächtigungen auch gegen Spitzenbeamte und Kommunalpolitiker sind nach SZ-Informationen zwischen Juli 2005 und Mai 2006 zusammengekommen. Mit Verweis auf den Quellenschutz hat das Landesamt für Verfassungsschutz bisher aber keinen Fall an die Justiz abgegeben.

Dabei soll es sich um 200 Fälle handeln. Das Material schmort auch heute immer noch in der Behörde, und es ist durchaus möglich, dass es trotz seiner Brisanz im Reißwolf landet und die Vorwürfe deshalb nie von der Staatsanwaltschaft aufgeklärt werden können.

Bisher haben nur die fünf Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags den hochbrisanten Stoff in mehreren Sitzungen gewälzt. Die Abgeordneten sind allerdings zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das Kontrollorgan des Verfassungsschutzes entpuppt sich damit einmal mehr als zahnloser Tiger.

Die Kontrollkommission prüft auf Wunsch von Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) seit Oktober, ob die Verfassungsschützer auf illegale Weise an die Informationen gelangt sind. Das meint jedenfalls der Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig. Er wirft dem Landesamt sogar Verfassungsbruch vor, weil die Behörde die Organisierte Kriminalität seiner Meinung nach seit dem Juli 2005 nicht mehr beobachten durfte. Damals hatte der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass dieser Bereich allein Sache der Polizei ist. Zu Recht, wie sich spätestens jetzt zeigt: Denn der Verfassungsschutz behält sein Wissen über kriminelle Netzwerke in Sachsen offenbar lieber für sich, anstatt zu gegebener Zeit die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten.

Schurig hat das Innenministerium aufgefordert, das Material in einem Archiv zu verstecken oder es zu vernichten. Ob sich die Parlamentarische Kontrollkommission dem anschließt, ist derzeit noch völlig offen. Die Meinungen gehen quer durch die Fraktionen auseinander. Die nächste Sitzung findet am 30. Januar statt.
Von Karin Schlottmann