Karl Nolle, MdL
Börsen-Zeitung, Nummer 70, Seite 8, 12.04.2007
Die Zocker-Affäre der WestLB
Leitartikel von Bernd Wittkowski
Die "Bank der neuen Antworten", wie die WestLB mit Hinweis auf ihre innovativen Leistungen für sich wirbt, wirft zurzeit eher Fragen auf. Kritische Fragen, die Eigentümer, Kunden, Kontrahenten im Wertpapierhandel, Finanzaufsicht, Staatsanwälte, Politiker nicht nur in Nordrhein-Westfalen, die Sparkassengruppe weit über Rhein und Ruhr hinaus, Ratingagenturen, Beschäftigte und die interessierte Öffentlichkeit stellen. Die Fragen sind anscheinend so unangenehm, dass in diesem Fall nicht einmal jene Medienflüsterer anrufen, die bei anderen Anlässen allweil im Dienste ihres Auftraggebers aktiv und mit Kolportagen zur Stelle sind. Die knappen Antworten, die das Spitzeninstitut der NRW-Sparkassen in der jüngst ruchbar gewordenen Zocker-Affäre bis dato gegeben hat, fallen obendrein durch eine teilweise extrem kurze Verfallsfrist auf. So ließ die WestLB noch unmittelbar vor Ostern verlauten, die Eigenhandelsgeschäfte, bei denen nach bisherigen Erkenntnissen ein dreistelliger Millionen-Euro-Betrag versemmelt wurde, hätten keine strafrechtliche Relevanz. Fünf Tage später ist plötzlich vom Verdacht der Kursmanipulation die Rede, der Vorstand erstattet Strafanzeige gegen zwei geschasste leitende Mitarbeiter und gegen unbekannt.
Dieser Umgang mit den dubiosen Vorgängen ist noch volatiler als der Spread zwischen Stamm- und Vorzugsaktie etwa einer Metro oder von VW. Die Düsseldorfer Geschäfts- und Verbundbank kommt aus einer tiefen Krise mit Wertberichtigungsnotwendigkeiten in grauenerregender Höhe, atemraubenden Verlusten und einer existenzbedrohenden Erosion der Kapitalbasis. Mit dem 2004 als Vorstandschef angetretenen Thomas Fischer schien die Wende zu gelingen. Erst Ende März meldete die WestLB für 2006 gar einen Rekordgewinn von 1 Mrd. Euro vor Steuern. Fast könnte man übersehen, dass der Konzern operativ praktisch kein Geld verdient - wenn man nämlich die Auflösung von Risikovorsorge und das Finanzanlageergebnis da lässt, wo sie hingehören: außen vor. Zumal vor diesem Hintergrund verdient es das Prädikat - sagen wir - "übermotiviert", dass auch dieses Institut weiterhin den Ehrgeiz entwickelt, die Landesbank Berlin übernehmen zu wollen, die inzwischen sogar der in Liquidität badenden Unicredit-Tochter HypoVereinsbank - übrigens zu einem verdächtig frühen Zeitpunkt - angeblich zu teuer ist.
Aber von diesen Ambitionen einmal abgesehen: Der Gesamteindruck war, dass die WestLB ihr Geschäftsmodell gefunden hat und mit Erfolg auf dem Rückweg zu ertragreichem Wachstum ist. Als entscheidend für den scheinbar gelungenen Wandel von der Malaise der "WestLB alt" zur - immerhin - Rekonvaleszenz der unter Fischer neu aufgestellten Bank galt der Bruch mit der ererbten Risikokultur, die Insider noch 2004 als "verwahrlost" bezeichnet hatten. Fischer selbst, der vormalige Chief Risk Officer der Deutschen Bank, sprach mit Blick auf das Risikomanagement von einer "Schlüsselschwäche" der alten WestLB.
Dementsprechend lag hier der zentrale Ansatzpunkt für den notwendigen Erneuerungsprozess. Und noch kein ganzes Jahr im Amt, glaubte der neue Chef schon Vollzug melden zu können: Das Portfolio sei eingehend durchleuchtet, Risiken seien bereinigt, Risikokonzentrationen abgebaut worden.
Auch die Risiken im Eigenhandel? Bei allem Verständnis für das Problem gerade dieser Bank, auf heftig umkämpftem Terrain noch eine adäquate Spielwiese für sich zu finden: Es sollte Einigkeit zwischen der WestLB und allen Stakeholdern herrschen, dass das Geschäftsmodell und der Nachweis der Existenzberechtigung der Bank nicht darin bestehen kann, sich als Zockerbude zu betätigen. Gezockt wurde aber - es waren ja kaum die berühmten kundengetriebenen Geschäfte - offenkundig seit vielen Jahren, wenn auch lange innerhalb der vom Vorstand gesetzten Limite. Die Kompetenzüberschreitung der Führungskräfte flog dann angeblich nach wenigen Tagen auf. Aber kann das ein überzeugender Beleg für funktionierendes Monitoring sein? Wie gut sind Überwachungssysteme, wenn mit Blick auf die jetzt realisierten Risiken nicht schon viel früher die Alarmlampen rot glühten - oder gab es Warnungen, und sie wurden ignoriert? Was ist ein Risikomanagement wert, wenn es keinen Hinweis auf die nun zur Strafanzeige gebrachten Machenschaften gab - oder gab es Hinweise, und sie wurden ignoriert? Was hat der Vorstand gewusst, wenn die hochriskanten Geschäfte längst Gesprächsthema am Aktienmarkt waren, dort etliche Akteure stutzig machten und nachgerade dazu einluden, sich gegen die von der WestLB gehaltenen Positionen in Stellung zu bringen? Oder warum hat der Vorstand nichts gewusst, wenn seitens der Bank immerhin ein Bereichsvorstand involviert war? Wo waren Aufsicht und Rat des Aufsichtsrats unter Vorsitz des regionalen Sparkassenpräsidenten Rolf Gerlach? Inwieweit sind der Risikoausschuss und sein jeweiliger Vorsitzender ihren Aufgaben gerecht geworden angesichts des Umstands, dass namentlich die WestLB in Sachen überstrapazierte Risikotragfähigkeit fürwahr einschlägig vorbestraft ist und schon von daher strenger Kontrolle und besonders kritischer Begleitung bedurft hätte? Das sind die Fragen, denen sich die "Bank der neuen Antworten" öffentlich stellen muss. (Börsen-Zeitung, 12.4.2007)
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Börsen-Zeitung, 11.04.2007, Nummer 69, Seite 3
WestLB stellt auch gegen Dritte Strafanzeige
Task Force soll Licht in Eigenhandelsdickicht bringen
Die WestLB hat im Zusammenhang mit den aufgedeckten Regelverstößen im Eigenhandel Strafanzeige gestellt. Nach bisherigen Untersuchungen sei deutlich geworden, dass neben zwei bereits aus der Bank ausgeschiedenen Mitarbeitern möglicherweise auch Dritte in die Vorgänge involviert gewesen seien, teilte die Bank mit.
Der Vorstand habe entschieden, bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf eine über die entlassenen Mitarbeiter - Friedhelm Breuers und Markus Bolder - hinausgehende Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz und das Strafgesetzbuch zu erstatten.
Kursmanipulation
Konkret lautet der im Raum stehende Verdacht auf Kursmanipulation. Die Vorgänge betreffen aus heutiger Sicht Vorzugs- und Stammaktien diverser Unternehmen, auf die die WestLB Eigenhandelsstrategien aufsetzte. Es gebe Anhaltspunkte, dass die Kurse gegen Handelsende gezielt beeinflusst worden seien. Zur Höhe des entstandenen Schadens macht die Bank weiterhin keine Angaben. Ende voriger Woche war in Bankkreisen die Rede von einem Schaden von 100 Mill. Euro. Doch schon zu diesem Zeitpunkt war spekuliert worden, dass weitaus mehr Geld im Feuer steht (vgl. BZ vom 6. April). Noch am Donnerstag hatte es in Kreisen der WestLB geheißen, dass die Vorgänge keine strafrechtliche Relevanz hätten.
"Vorbehaltlose Aufklärung"
Der Vorstand strebe "eine vorbehaltlose Aufklärung des Sachverhalts" an, wird WestLB-Chef Thomas Fischer zitiert. "Individuelles Fehlverhalten wird uns nicht vom erfolgreichen Weg der vergangenen Jahre abbringen." Eine vor Ostern gebildete Task Force, der Mitarbeiter der Kanzlei Hengeler Müller, der Investmentbank JPMorgan und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young angehören, soll Licht ins Dunkel bringen. Die Untersuchungen der Task Force förderten zutage, dass womöglich auch Dritte in die Vorgänge involviert waren. Mögliche Straftatbestände Dritter fielen aber nicht in die Aufklärungshoheit der WestLB. Sowohl die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als auch die Deutsche Bundesbank seien über die Vorgänge informiert. "Wir werden den Fall unter allen aufsichtsrechtlich relevanten Gesichtspunkten untersuchen", hieß es bei der BaFin.