Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 25.05.2007

Geheimakten werden geöffnet

Die Justiz prüft Hinweise des Verfassungsschutzes auf Korruption und Kindesmissbrauch.
 
Heute wird Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm die ersten Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes einsehen können. Später werden mehrere Staatsanwälte untersuchen, ob hochrangige Politiker und Juristen des Landes tatsächlich in Korruptionsfälle, Kindesmissbrauch oder illegale Immobiliengeschäfte verwickelt sind. Die Hinweise von Informanten, die der Geheimdienst dazu auf fast 16000 Seiten zusammengetragen hat, sorgen schon seit Tagen für heftige Spekulationen.

Die ersten Informationen, die der Justiz in einem umfangreichen Dossier zur Verfügung gestellt werden, betreffen angeblich jene Vorgänge in Leipzig, die in jüngster Zeit unter dem Namen „Abseits“ bekannt geworden sind. Hintergründe für den Anschlag auf den städtischen Immobilien-Manager Klockzin spielen dabei ebenso eine Rolle, wie Hinweise auf Kindesmissbrauch, Erpressung und Vorteilsnahme. Zuletzt wurden auch Vorwürfe über vermeintliche Sexpartys hochrangiger Mitarbeiter des Leipziger Rathauses öffentlich. Ebenso gab es Spekulationen über illegale Grundstücksdeals, die für einige Mitwisser tödlich endeten. Die meisten der Fälle betreffen die 90er Jahre. Zu diesem Komplex sollen auch Vorgänge im Vogtland und in Chemnitz gehören, die sich um den Tod des langjährigen Plauener Kripochefs Karlheinz Sporer ranken. Sie werden offenbar in einem zweiten Dossier aufgearbeitet.

Viel Material landet im Archiv

Neben dem Bereich „Abseits“ hat der Geheimdienst im Vorfeld zu vier weiteren Komplexen Akten angelegt. Dazu gehört unter dem Stichwort „Russenmafia“ auch Material über die Aktivitäten osteuropäischer Banden in Sachsen. Dabei soll es um Waffengeschäfte und Geldwäsche gehen. Diesen Fall wird der Generalstaatsanwalt jedoch nie zu Gesicht bekommen. Die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) – eine fünfköpfige Gruppe von Landtagsabgeordneten, die die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrollieren soll – hatte dies im Vorfeld untersagt. Begründung: Der Verfassungsschutz durfte in diesem Bereich nicht ermitteln, sondern nur die Polizei. Deshalb wandern die Papiere nun ungeprüft ins Staatsarchiv.

Ein weiterer Komplex unter dem Titel „Oase“ beschäftigt sich mit Ausländerextremismus und Ausländerkriminalität. Hier soll es unter anderem um Aktionen von radikalislamistischen Gruppen gehen.

Ein vierter Komplex trägt das Stichwort „Rocker“ und beinhaltet Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz über kriminelle Aktivitäten von Motorradbanden gesammelt hat. In dieser Szene spielen Motorradclubs wie „Hells Angels“, „Bandidos“ oder „Gremium MC“ eine Rolle. Der Geheimdienst ermittelte in dem Bereich, weil Rechtsextremisten und Neonazis gezielt Kontakt zu dieser Szene gesucht haben.

Nicht zuletzt enthält der Papierberg des Verfassungsschutzes Hinweise zum Thema „Rotlichtmilieu“. Hier geht es um illegale Geschäfte, Geldwäsche und Prostitution, die unter anderem von italienischen Mafiabanden organisiert werden. Schwerpunkt soll ebenfalls Leipzig, Chemnitz und das Vogtland sein. Hinweise auf vergleichbar große kriminelle Strukturen in Dresden enthalten die Verfassungsschutzakten nach SZ-Informationen nicht. Zu Dresden soll aber ein Hinweis zu einer Person vorliegen, die in der Generalstaatsanwaltschaft tätig ist und Verbindungen zur Hooliganszene hat.

Kritik am Innenminister

Die Auswertung der Geheimakten wird unterdessen von heftigen politischen Auseinandersetzungen begleitet. So traf sich gestern der Vorsitzende der PKK, der CDU-Abgeordnete Gottfried Teubner, zu einem Krisengespräch mit Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Dabei soll sich Teubner beschwert haben, dass der Minister Vorgaben zum Umgang mit den Geheimdienstakten missachtet. Umstritten ist zum Beispiel, ob der Verfassungsschutz in einem der fünf Fälle weiter ermitteln darf, ohne die bisher gesammelten Ergebnisse sofort der Justiz vorlegen zu müssen.

Außerdem drängt das Landtagsgremium auf eine möglichst rasche Auswertung der Akten und auf personelle Konsequenzen. So hat der CDU-Abgeordnete Frank Kupfer bereits die Entlassung des Chefs des Verfassungsschutzes gefordert. Angeblich habe dieser viel zu lange gezögert, sich mit dem brisanten Material an die Justiz zu wenden.
Von Thomas Schade und Gunnar Saft