Karl Nolle, MdL

Dresden, Kulturrathaus, 01.11.1998

Dresdner Bürgergesellschaft für Kulturförderung e.V.

Eine Grundsatzrede von Karl Nolle zur Bedeutung der Kultur, gehalten im Kulturrathaus
 
Selbst in die Pedale treten - Bürger engagieren sich für Kultur.
"Arbeiten statt Schimpfen", so überschrieb Karin Großmann ihren Beitrag in der Sächsischen Zeitung vom 6. Juni 1998 über die Initiative der Dresdner Bürgergesellschaft für Kulturförderung. Sie begann Ihren Artikel mit dem Satz "Die Schmerzgrenze ist erreicht." Ein Gedanke, der sicher so oder fast so am Anfang dieser Initiative zur Förderung der Kultur in Dresden gestanden hat.

Sind Schmerzgrenzen erreicht, muß man etwas tun, wenn man sich mit der Situation der Kultur und ihrem Stellenwert in Dresden und nicht nur in Dresden abfinden will. Auf dieses Tun muß sich im Wesentlichen unsere Aktivität richten. Eben "Arbeiten statt Schimpfen". Dabei will ich drei Fragen ansprechen:

1. Was bedeutet heute Kunst und Kultur, wie kann ich sie begreifen und empfinden .
2. Die Begrifflichkeit des "bürgerlichen" in unserer Gesellschaft, Kunst und Protest und die Selbstorganisation der Dresdner Bürger und ihrer Initiativen
3. Praktische Projekte, die sich die Dresdner Bürgergesellschaft vorgenommen hat.

Wie begreife ich die Rolle der Kunst und Kultur heute?
Lassen wir uns inspirieren von den Gedanken des polnischen Schriftstellers Andrej Szyczyporski, die er anläßlich der Wiedereröffnung des Dresdner Schauspielhauses am 9. September 1995 äußerte. Er hat sehr recht, wenn er sagt, "die Kunst ist ein Licht. Sie erhellt das Geheimnis unserer Gegenwart".

Es gibt vielfältige Plätze auf der Welt, die der Kunst eingeräumt wurden, eine Theaterbühne, ein dunkler Kinosaal, ein Gebäude der Philharmonie oder der Oper, Galerien oder Museen, ein ruhiger Lesesaal, Bücherschränke bis an die Decke mit Büchern. Das sind materielle Zeichen der Gegenwart von Kunst und Kultur, ohne die wir uns keine Erfahrung mit Kultur vorstellen können. Aber im Grunde trägt jeder von uns einen Sinn, eine Wahrheit von Kunst, denn sie ist das Wissen von uns selbst. Ohne den Wert der Wissenschaft als Erkenntnisinstrument zu schmälern - ohne sie ist das Wissen um Sterne, Bäume, den menschlichen Körper - um die Gesellschaft, nicht zu gewinnen. Aber ist sie ein ausreichendes Instrument, wenn es um Erkenntnis über den Menschen geht? Die Wissenschaft kann die Frage beantworten, was Tränen sind, aber auf die Frage, warum der Mensch weint, findet sie keine Antwort. Warum leidet der Mensch, liebt, haßt, tötet, opfert sich ? Warum ist der Mensch voll so schöner und grausamer Überraschungen zwischen Himmel und Hölle? Die Kunst kann nicht auf solche Fragen antworten, aber sie stellt solche Fragen nach tiefer Erkenntnis über uns und bringt uns so der Freiheit, Würde, und deren Unzulänglichkeiten näher.

Gerade deswegen ist die Freiheit der Kunst und ihr Recht alle Fragen laut stellen zu dürfen, eine grundsätzliche Voraussetzung für die geistige Entfaltung des Menschen. Dort wo die Kunst dieser Freiheit beraubt ist, kommt es zu einer Behinderung unseres Menschseins und danach verkümmern und erlöschen unsere inneren Kräfte, als Ergebnis der Dressur von Gedanken und Gefühlen.

Vielleicht ist es konservativ und altmodisch, wenn ich sage, daß künstlerisches Schaffen eine Erhebung ist. Es ist ein Privileg, eine künstlerische Begabung zu haben, einen Stein zu formen, Gedichte zu schreiben, Hamlet zu spielen, Sinfonien zu komponieren, ein Aquarell zu malen. Es ist eine große Gabe der Natur, Gottes, des Schicksals. Die Kunst ist das Licht in unseren inneren Labyrinthen, sie spricht das Gewissen des Menschen an, seinen Glauben, seine Liebe, seine Hoffnung in eine weniger schreckliche Welt und sie ist immer mit der Wirklichkeit im Streit.

Kunst, Protest und Anpassung
Immer gab und gibt es Künstler, die dieser Herausforderung gewachsen waren und immer gab und gibt es Menschen, die sich anpaßten und nachgaben und so aufhörten Kunst zu schaffen. Denn es gibt keine Erziehungsdressur zur Freiheit, keine Kunst dort, wo man Sklavenaufsehern schmeichelt, und gleichzeitig den Sklaven einredet, sie wären frei. Immer gab und gibt es Menschen, zu allen Zeiten, die gehorsam diese Dressur zur Freiheit beteten. Sie hinterließen Verwüstungen im Bewußtsein der Gesellschaft, die bis heute wirken. Und sie erzeugten ein Klima von unbeschreiblicher, tiefsitzender Spießigkeit und Kleingeistigkeit.

Mit diesen langwierigen Verwüstungen der Seele haben wir es heute zu tun. Zeugen nicht die Samstagabendfernsehprogramme gerade davon ? Ist es Polemik, wenn die "Herkuleskeule" sagt: "Das heutige Fernsehen ist der Beweis, daß der Gehirntod nicht das Ende des Lebens ist"?

Toleranz, Liberalität und Zivilcourage, abweichende Meinungen gelten zu lassen, die Grautöne zu differenzieren und nicht Schwarz/weiß zu sehen - sollten die positiven Tugenden unserer demokratischen Gesellschaft sein. Zusammengefaßt in dem Satz Rosa Luxemburgs, "Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden".

Zwischen Anpassung und Subversion gab und gibt es immer auch Künstler, die mitmachten und die Tretmühle der Dressur bewegten. Aber keine der uns bekannten Freiheitsbewegungen, keine der gesellschaftlichen Veränderungen hat je ohne das große Engagement der Kunst und der Künstler stattgefunden. Ein Bäcker braucht nicht sein Brot gegen die Unterdrückung zu backen, aber ein Künstler muß, aus moralischer Pflicht, die aus seinem Privileg Kunst zu schaffen, erwächst, Formen des Widerstandes finden. Wirkliche Kunst entsteht nur aus Protest, nicht aus Affirmation/Übernahme oder Anpassung.

Ist Kultur ein Luxusgut im Strudel öffentlicher Armut?
Die Verkümmernden der Seele, von denen ich spreche, gehen heute einher mit einem Stellenwertverlust für Kunst, Kultur und Bildung in der Politik. Das Interesse an Kultur und Bildung scheint heute ein Luxusgut geworden zu sein, erschiebemasse für Haushaltsberatungen. Aber es ist doch der wichtigste Teil unseres Lebens außerhalb der Erwerbsarbeit der heute in den Strudel der ,,Armut" der öffentlichen Hände geraten ist, trotz eines kumulierten Privatvermögens in Deutschland von fast 6 Billionen (das sind 6 tausend Milliarden Mark).

Solidarität und Verantwortung für Kultur selber organisieren
Die sprichwörtliche Armut der öffentlichen Hände hat heute zu einer Gefährdung unserer kulturellen Lebensgrundlagen geführt. Dagegen können nur die Bürger selber ihre leider verkümmerten Solidarformen und ihre Sozialverantwortung neu entwickeln. Wenn sie so ein Teil der eigenen Lebensinteressen selber in die Hand nehmen, dann organisieren sie einen Teil von sich selbst.

Gönner, Mäzene und Sponsoren
Hunderte von Jahren war die Kultur und die Kunst von der Gunst höfischer Gönner bestimmt und gefördert worden. Später entwickelten sich unzählige private Stiftungen. Es gab berühmte Mäzene und Förderer in dieser Stadt, bis 1945 existierten, allein in Dresden, mehr als 400 Stiftungen. Und nur ein kleinerer Teil zum Thema Kultur. Persönliche Verantwortung für Kultur zu übernehmen, das hat Tradition in unserer Stadt. Gerade in Zeiten gesellschaftlichen Umbaus und Umdenkens wollen wir dazu beitragen, daß die Kultur nicht zwischen die Mühlsteine der Haushaltsbuchhalter gerät. Wir wollen eine Lobby sein, unabhängig von parteilichen Rücksichtnahmen, und wollen, aus eigenem (egoistischen) Lebensinteresse, die Dresdner Kultur und ihre Vielfalt fördern. Aber es geht in erster Linie nicht um Reden und Klagen und auch nicht um Vereinsmeiern, sondern darum, etwas konkretes tun.

Was ist heute aus unserer Sicht praktisch nötig?
1. Schaffung einer Bürgerlobby für Kultur in Dresden.
2. Schaffung eines Kulturnetzwerkes zur Bündelung von Aktivitäten der Kulturmacher und Kulturinteressierten, um die Wirkung und den Zuspruch von Kultur in Dresden zu erhöhen.
3. Wir wollen mithelfen und ermöglichen, die Kommunikation der teils konkurrenzhaften Kulturmacher (jeder hat sein eigenes Haus im Auge) zu beleben und durch übergreifendes Kulturmarketing zu fördern.
4. Wirtschaft, Tourismusbranche, Kultur und Politik müssen an einen Tisch
5. Wir wollen Initiativen zur materiellen Sicherung der Kulturangebote durch finanzielle Hilfen ergreifen.

Ich nenne beispielhafte, konkrete Vorhaben:
- regelmäßige Veranstaltung von Benefizmatinees zu den Themen Musik, Sprache, Mimik, Tanz, zur Vorstellung und Unterstützung junger Künstler, eine Kulturveranstaltungsreihe im Maschinensaal der Druckhaus Dresden GmbH in der Bärensteiner Straße 30.
- die Arbeit der Dresdner Synfoniker (ein Klangkörper mit europäischen Dimensionen) und ihrer einmaligen Kulturinitiative für zeitgenössische Musik und musikalisches Experiment für Dresden fördern.
- ganz praktisch, den begehrten monatlichen Kulturkalender Dresdner Kulturangebote für die Dresdner Bühnen künftig kostenfrei zu ermöglichen.
- Ein monatliches Kunst-Plakat über alle Aktivitäten der Bildenden Kunst und ihrer Angebote in Galerien, Museen und Ausstellungen wieder zu schaffen. (was die "arme Stadtverwaltung" eingestellt hat)
- Entwicklung eines Konzeptes einer dauernden KULTURLOTTERIE für Dresden, nicht nur für die Frauenkirche.
- Schaffung einer sich auf Kultur konzentrierenden Stiftung der Dresdner Bürger

Wir wollen Lust auf Kultur machen. Aber - wir sind nicht die ÜBERMACHER mit SUPERLÖSUNGEN für alle Probleme. Wir sind angewiesen auf das Zusammenwirken aller im Prozess beteiligten und interessierten Aktiven und den Bürgern dieser Stadt. Machen Sie mit!

Kontakt:
Dresdner Bürgergesellschaft für Kulturförderung e.V.
Arthur-Schloßmann-Weg 6, 01217 Dresden

www.dresdner-kultur.de

(Dieser Aufsatz entstand aus dem Redemanuskript von Karl Nolle zur Gründungsmatinee der Dresdner Bürgergesellschaft für Kulturförderung am 1.11.98 im Dresdner Kulturrathaus.)