Karl Nolle, MdL
Schöneck/Voigtland, 12.05.2000
10 Jahre Verband der Druckindustrie
in Sachsen/Thüringen/Sachsen-Anhalt
In diesem Monat Mai, vor 10 Jahren, genauer am 29. Mai 1990, trafen sich in Zwickau, im Ballhaus "Neue Welt", 88 Handwerksmeister aus Sachsen und Thüringen zur Gründung unseres Verbandes. Als Gast war damals anwesend ein Vertreter der ehemaligen ZENTRAG, der Holding aller parteieigenen Druckbetriebe und Zeitungsverlage der SED. Das waren überwiegend Riesendruckkombinate mit bis zu 5.000 Druckern, Setzern und Buchbindern.
ZENTRAG das war Parteieigentum,von wegen Volkseigentum ... und diese hatten schon vor dem 29.Mai die "Vereinigung polygrafischer Betriebe" gegründet. Ja meine Damen und Herren, dieser Verband wurde noch zu Mark der DDR und der ersten freigewählten Volkskammer der DDR gegründet.
Das waren Zeiten - auf der einen Seite der damals schon fast zahnlose Moloch die SED - ZENTRAG und auf der anderen Seite - festentschlossene, mutige Handwerksmeister mit Betrieben unterhalb der damals erlaubten Beschäftigtenzahl von 10 AN.
Und alle parteieigenen und volkseigenen Betriebe waren Treuhandeigentum geworden. Mit Privatisierung der Treuhandunternehmen traten diese, bis auf wenige Ausnahmen wieder aus dem Verband bis 1993 bis 1994 aus.
Am 19. Oktober kamen dann die Kollegen aus Sachsen-Anhalt zu uns und im Dezember 1990 wurde unser Verband Mitglied im Bundesverband Druck in Wiesbaden.
In den Jahren 1991 uns 1992 zählten wir 240 Mitgliedsbetriebe von etwa 860 in den drei Ländern, ein Anteil von ca. 30 %. Heute haben wir fast 200 Mitglieder, davon 165 Vollmitglieder, das ist ein Anteil von ca. 20 %.
Und es waren und sind bis heute viele darunter, die Mutter- oder Vaterunternehmen im Westen hatten. Daran wollen wir uns nicht gewöhnen, meine Damen und Herren! "im Osten Wasser predigen und im Westen Wein saufen", denn einige dieser West-Mütter oder Väter führen das schöne Wort von der Tarifsolidarität gerne im Munde, sind ehrenamtlich aktiv im Bundesverband Druck tätig und können sich hier im Osten nicht an Tarifverträge erinnern, die sie uns so gerne anempfehlen.
Ja, irgendwie haben wir alle damals von den blühenden Landschaften geträumt, und für viele in unserer Gesellschaft haben sich diese Träume auch erfüllt.
Kaum vorstellbar, ohne den damals alle Bedenken wegschiebenden Helmut Kohl - und - Bedenkenträger gabs damals zuhauf - leider. Damit waren die Grundlagen für eine prosperierende, wiedererstarkende Druckindustrie in Ostdeutschland gelegt. Und wir setzten uns in unseren Betrieben an die Spitze mehrerer Revolutionen, vom Blei zu Film und Aluminium, von Buchdruck museal zu Offsetdruck hight-tec. Dazu später mehr ... Und wir übernahmen die westdeutschen Tarife, kein Problem, bei uns sollte ja mehr als die Post abgehen.
Ja, ein bißchen Stufenplan, ein bißchen Öffnungsklausel - pro Jahr dreimal Löhne erhöht, bis auf 100 % West, natürlich - wir sind doch keine Menschenschinder. Unsere Hoffnung und ja - Illusionen - das stellte sich später raus, waren Gift für Beschäftigung, Lehrlingsausbildung, Wirtschaftlichkeit und Verbandsmitgliedsschaft.
Was sind Tarife in den langen Jahren der Marktwirtschaft im Westen geworden, es sind Mindestlohnvereinbarungen unter Tarifpartnern, die zu 90 % eingehalten werden. Manchmal mit etwas Nachschlag oben drauf. Und hier, bei uns, was sind Tarife hier wirklich? - Höchstlohnorientierungen, an denen sich 20 % der Druckunternehmen mit Mühe und Not orientieren.
Diese neue Erfahrung von Gleichmacherei im Tarifbrei zwischen der Zugspitze und Kap Arcona, zwischen Druckgiganten, mit Kohle ohne Ende, und kleinen Familienunternehmen, die bis heute ums Überleben kämpfen, im Voigtland, der Lausitz oder dem Erzgebirge, dieser Flächentarifbrei hat viele an die Gleichmacherei im gescheiterten Menschenversuch mit Hammer und Sichel erinnert.
Aber keine Sorge, meine Damen und Herren! Bis ein Familienunternehmen Pleite geht, geht's vorher ans Familiensilber und an Omas klein Häuschen, und das dauert....
Diese ungedeckten Schecks einer Tarifpolitik, die sich eben nicht an der Leistungsfähigkeit der Unternehmen, eben nicht an den realen, je unterschiedlichen Verteilungsspielräumen unserer Branche orientiert, diese ungedeckten Schecks haben nicht zur Leistungssteigerung beigetragen und zur gestiegenen Leistungsbereitschaft. Mit Übernahme dieses Tarifbreis war die ostdeutsche Druckindustrie praktisch nicht mehr wettbewerbsfähig.
Und Resultat von Preisdumping und Lohndumping? Eine schiefe Ebene, eine Spirale des Billigstwettbewerbs und Unternehmen, die unter diesen Bedingungen weder ihren Leuten vernünftiges Geld zahlen können noch das so wichtige Eigenkapital, geschweige denn eine vernünftige Umsatzrendite Erwirtschaften.
Meine Damen und Herren, Tarife müssen fairen Wettbewerb ermöglichen, ja sie sollen ihn doch eigentlich erst schaffen.
Wir Drucker wollen doch alle um die beste Leistung ringen,um die schlankeste Organisation, die höchste Produktivität, die beste Qualität, die pfiffigste Dienstleistung, um Ideen und Innovationen.
Aber, meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir veranstalten doch keinen Wettbewerb im - wer zahlt die niedrigsten Löhne, ohne das die Leute murren, oder wie kriege ich aus der Zitrone noch mehr raus, solange die Angst um den Arbeitsplatz umgeht.
Wir sind doch keine Menschenschinder. Denn wir erfahren doch immer mehr:
- unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital !
Hier nun noch einige Zahlen zur gegenwärtigen Situation der Branche in Ostdeutschland. Wir zählen 156 Betriebe über 20 AN mit insgesamt 7.724 Beschäftigten. Wir zählen 740 Betriebe unter 20 AN mit insgesamt 3.500 Beschäftigten. Vergleichen wir den durchschnittlichen Prokopfumsatz von Betrieben über 20 AN so können wir für Ostdeutschland bezogen auf das Jahr 1999 pro Kopf 195 TDM errechnen und im Vergleich dazu für Westdeutschland 245 TDM. (Quelle Stat. Bundesamt)
Das bedeutet, ohne Wertung, bei nicht selbstgestrickten Zahlen:
20 % Mehrumsatz für die Westbetriebe!
Meine Damen und Herren, Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
die letzten 10 Jahre, das sind Jahre in einer Zeit grundlegender Umbrüche,
- das sind mehrere technische Revolutionen.
Zunächst eine kleine Geschichte: Im Jahre 2020 findet der kleine Michael auf dem Dachboden seines Großvaters einen verstaubten Karton in dem einige seltsame braune Scheiben liegen und ein Zettel.
Er liest, dass es sich bei den braunen Scheiben um sogenannte Disketten handele, auf dem die Geschichte der Druckerei seines Großvaters zu finden sei.
Soweit diese Geschichte.
Die Disketten, sie sind für Michael so unbrauchbar, wie für unsere Kindern heute, schwarze Schellackplatten unbrauchbar sind für ihren CD-Player. Tapes, Cartridges, Optical Disks, Superdisks, ZIP und JAZ, das sind heute die Informationsträger unserer modernen Medien.
Erinnern Sie sich noch, vor 15 Jahren an die großen Disketten aus dem Fotosatz - wie große Teller, dann 5 Jahre später 5 1/4 Zoll in unseren ersten PCs, wie kleine Teller und heute, wer arbeitet heute noch mit 3 1/2 Zoll Disketten ?
Der kleine Michael kann den Zettel seines Großvaters lesen, klar und eindeutig die Information aufnehmen, aber ein sogenanntes Diskettenlaufwerk für die kleinen braunen Scheiben gibt es nicht mehr.
Das papierlose Büro? Hat das einer schon mal gesehen? So wie wir heute wissen, dass Design schon lange kein Luxusartikel mehr für Spinner ist, so erkennen wir auch einen Bedeutungswandel von Papier. War früher Papier ausschliesslich sinnvoller Träger von Informationen, so entwickelt es sich vom Träger für Informationen zum Gestaltungsinstrument. Es vermittelt über das angestrebte Corperate Design und Image des Unternehmens eine Botschaft, die ihre Spuren hinterläßt.
Wenn diese Botschaft perfekt gedruckt wird, wenn sie z.B. auf einem verrücktem Papier, gedruckt ist, dann kommt ein wenig vom "heiligen Geist" des Absenders runter auf den Empfänger. Von wegen - papierloses Büro! Haben wir nicht erfahren, dass die neuen Medien zu einem beispielosen Mehr-Papierverbrauch geführt haben? Und nicht zu einem Weniger! Papier ist immer noch das beliebteste, preiswerteste, nicht energiefressende Medium der Kommunikation - und das seit Jahrhunderten. Papier und Drucken , auf Papier gebrachte Informationen werden meines Erachtens nie überflüssig werden, auch wenn schon an bipolar drehbaren Titankapseln, der digitalen Tinte der Zukunft, gearbeitet wird. Unsere Druckindustrie, ist heute ist ein bedeutender Teil der Informations- und Kommunikationsindustrie. Diese ist der einzige Wirtschaftszweig, der sich weltweit auf Wachstumsfaden bewegt. Die Druckindustrie besitzt nach wie vor eine Schlüsselrolle in Medien und Kommunikation. Sie hat sich und wird sich noch, angesichts neuer technischer Möglichkeiten, dramatisch wandeln. Sie ist zum Dienstleister in der Informationsgesellschaft geworden. Die Druckindustrie integriert die unterschiedlichsten Medien, betreibt und verwaltet Datenbanken und bereitet die Daten zielgruppengerecht auf.
Der moderne Drucker ist ein Informationslogistiker für seine Kunden geworden.
Die Druckindustrie hat sich in den letzten 10 Jahren mehr verändert als in den Jahrhunderten davor. Unsere Industriegesellschaft hat sich in den letzten 10 Jahren mehr verändert als in langen Zeiträumen zuvor.
Der Wechsel von der analogen zur digitalen Welt hat sich bei denen, die Informationen, Bilder und Layouts erzeugen, bei Kreativen, Autoren und Verlegern, radikal vollzogen. Alles wird heute digitalisiert, sogar re-digitalisiert (wenn es sich um analoge Filmsätze handelt, die wieder in Halbtondatensätze zurückgerechnet werden) Bilder, Texte, Töne, Musik, Tabellen, ja sogar bewegte Bilder.
Zeitungen und Kataloge werden in gesplitteten Auflagen, regionalisiert, gleichzeitig an verschiedenen Standorten produziert - Daten online.
Keine Zukunftsmusik! Bei Akzidenzaufträgen gehen die Auflagen runter. Es ist billiger und schneller, digitale Daten in einem Datennetz zu verteilen als Drucksachen zum Kunden zu befördern. Die Daten werden dichter an die Verbraucher zu den Datenbearbeitern, den Druckern vor Ort gebracht. Diese Dezentralisierung verbunden mit Regionalisierung und Personalisierung verkleinert die Auflagen.
Es ist der Weg über "Computer to Systeme" CtF und CtP zu Direkt-Imaging- Systemen im Druck und Tonerbasiertem Digitaldruck und Kopiersystemen.
Nach dem Jahr 2000 werden in Europa nur noch 25 % der Druckereien analoge Produktion, das heisst Filmbelichtung, Handmontage und Plattenkopie,
durchführen. In den USA werden es dann schon weniger als 10 % sein.
Zunehmend ist von uns die Fähigkeit gefragt, sich von dieser Entwicklung zum digitalen Workflow der vernetzten Systeme nicht abzukoppeln.
In meinem Unternehmen verarbeiten wir bereits über 90 % aller Aufträge im digitalen Workflow, mit CIP 3 Daten, und digitalen Farbprofilen, online aus der Signastation direkt in die Maschinensteuerung, 90 % Computer to Plate. Und wir überlegen, den Trockenfilmbelichter ganz stillzulegen.
Die vernetzte Druckerei ist schon Wirklichkeit und nach CIP 3, der digitalen Schnittstelle aller mechanischen Maße und Farbprofile von Druckform und Druckbogen, wird nun ein neuer wichtiger Standard geschaffen,
das JDF Format, das Job Ticket Format. JDF ist die weltweit standardisierte
Schnittstelle für die zweifelsfreie Zergliederung aller Arbeitsgänge, aller Einzeljobs von beliebigen Druckaufträgen, die wichtigste Vorraussetzung für standardisierte Auftragsbeschreibung und digitalem workflow der Auftragsbeschreibungs- und -verwaltungsdaten.
Nun zu einem manchmal vergessenem Faktor unserer Unternehmen, der Entwicklung der Humanproduktivität:
Nicht nur die Druckindustrie, wir alle befinden uns heute mitten in grundlegenden - ja - dramatischen, gesellschaftlichen, strukturellen Veränderungen.
1) Strukturveränderungen der Arbeits- und Produktionsgesellschaft.
2) Strukturveränderungen der Steuer-, Sozial- und Rentensysteme.
3) Strukturveränderungen bei Einkommen und Entlohnung.
4) Strukturveränderungen der Interessenvertretungen
der Beschäftigten und der Unternehmer.
5) Strukturveränderungen der Willensbildungsprozesse in unserer Gesellschaft von Partei- und Organisationsformen und
6) revolutionäre Strukturveränderungen mit rasenden Entwicklungsgeschwindigkeiten zur digitalen Ökonomie, der Gesellschaft von Internet und E-Commerce, von chattroom und Suchmaschinen, von HTML und Java.
Denken wir noch einmal zurück, Meine Damen und Herren,
In die Gründungszeit unseres Verbandes 1990. Vor 10 Jahren, zur Zeit der Wende waren in der DDR noch 45 % aller Arbeitsplätze mit der Herstellung von Waren befaßt. Zur gleichen Zeit waren es in Westdeutschland nur noch 33 %. Heute sind es in Gesamtdeutschland 28 %. In den neuen Bundesländern dagegen nur noch 17%.
Muß dieser niedrige Prozentsatz schleunigst wieder angehoben werden ?
Weit gefehlt, die Rekonstruktion der alten Industrieproduktionsgesellschaft wäre ein Schritt zurück zu einer vergangenen Zeit. Denn in den USA sind heute nur noch 10 % aller Arbeitsplätze (mit Entwicklungstendenz auf 5 %) mit der Herstellung materieller Produkte befaßt. Dazu kommen 5% Landwirtschaft. Der Rest, also 85 % sind Dienstleistungen, sowie öffentlicher und privater Bereich.
Wegen dieser großen, ja dramatischen Strukturveränderungen unserer klassischen Produktionsgesellschaft hin zur Dienstleistungs-, Medien- und wissensbasierten Gesellschaft - zur Wissensgesellschaft - müssen wir umdenken, und neue Wege beschreiten um Antworten auf völlig neue Fragen zu finden.
Meine Damen und Herren,
Die Zeit ist vorbei, wo ein VW Arbeiter in Mosel drei Jahre lang den rechten Golfkotflügel angeschraubt hat - Oder die Näherin bei C & A zwei Jahre eine linke Manteltasche aufnähte.
Nach unseren bitteren Erfahrungen in autoritären, diktatorischen oder n u r vormundschaftlichen Gesellschaften wissen wir:
Wir können keinem Dichter befehlen ein schönes Gedicht zu schreiben.
Wir können keinem Maler Befehlen ein schönes Bild zu malen.
Und wir können keinem Komponisten befehlen, eine schöne Sinfonie zu schreiben.
Unsere Mitarbeiter - heute - sind Problemlöser, selbstbewußte, eigensinnige und hochqualifizierte freie Menschen in einer demokratischen Gesellschaft. Kein Mensch aber löst ein Problem ohne Motivation, ohne Identifikation und ohne freie Kommunikation. Ein solcher Problemlöser stellt natürlich intelligente Anforderungen an Arbeitsumfeld, Bezahlung, Hierarchien und Humanität. Und unser Bedarf an intelligenten, gutausgebildeten Mitarbeitern steigt enorm, wie auch der ständige Bedarf an Qualifizierung und Training.
Wir müssen fragen: Ist die klassische Arbeitsgesellschaft nicht am Ende ?
Hat das uns bekannte Normalarbeitsverhältnis überhaupt noch eine Zukunft ?
Auch wenn das noch Zukunft ist, unser Leitbild von einer lebenslangen, tarifvertraglich bezahlten, sozial abgesicherten und zu festen Zeiten geleisteten Erwerbsarbeit, stimmt schon lange nicht mehr mit der Wirklichkeit überein.
Befristete Arbeitsverhältnisse aber auch Formen der neuen Selbstständigkeit haben in den letzten Jahren enorm zugenommen auch neue Formen der Heimarbeit, früher ein zu recht anrüchiger, oft mit Lohndumping und Pfennig - Akkord verbundenen Tätigkeiten - heute haben wir Telearbeitsplätze im Homeoffice.
Flexibilität und Mobilität sind für die Beschäftigten schon lange keine Fremdwörter mehr, ebenso wie Zeitkonten und Jahresarbeitszeitregelungen.
Absehbar ist, dass künftig Löhne und Gehälter nur noch teilweise nach Zeit und zum anderen Teil gebunden an Unternehmensertrag, Zielerreichung, Erfolg und durch Formen der Beteiligung am Unternehmenskapital bezahlt werden.
Das Delphi-Gutachten sagt voraus, dass in 15 Jahren nur noch 50 % aller Entlohnungen in Deutschland nach Zeit erfolgen werden.
Also - die blosse Anwesenheitsprämie, um sieben geht's los und um vier fällt der Hammer, das wird bald out sein.
Die grosse deutsche Softwareschmiede SAP hat noch vor drei Jahren erst
8% der Gehälter nach Betriebserfolg gezahlt. Heute sind es schon 30 % !
Nur im Konsenz, nicht in Konfronation der grossen gesellschaftlichen Gruppen lassen sich die notwendigen, tiefgreifenden Veränderungen und liegengebliebenen Reformen anpacken. Was im Lande von Goethe und Einstein liegengeblieben ist, sehen wir an der gegenwärtigen Greencard Diskussion. Da haben wir Unternehmer und die Parteien in Deutschland wohl Entwick-lungen verschlafen.
Aber, meine Damen und Herren, die wichtigste Ressource der Informationsgesellschaft ist Wissen. Deshalb ist der Gedanke, man könne dem Mangel an akzeptabel bezahlten Arbeitsplätzen durch Umschulung, generelle Arbeitszeitverkürzung oder das Verbot von Überstunden beseitigen, untauglich.
Solche Vorschläge unterstellen eine Austauschbarkeit von Individuen, die am Montageband gegeben war, am PC aber nicht existiert.
Im Kopf eines guten Wissensarbeiters sind besondere Erfahrungen und Begabungen aufgehoben und verschmolzen. Zwei gute Softwareschreiber können wesentlich mehr als hundert durchschnittliche. In der wissensbasierten Gesellschaft spielt die Spitze eine größere Rolle als der Durchschnitt.
Wer das nicht begreift, wird zum Don Quichotte, wie Peter Glotz sagt. Neben der Massenbildung und Massenausbildung, im Rahmen vorhandener Bildungskonzeptionen, an denen es keine Abstriche geben darf, müssen wir uns absofort besonders der Herausbildung von Eliten widmen, da bin ich mir ganz sicher! Klar ist jedenfalls, dass Gesellschaften, die sich abschließen, im Wettbewerb des digitalen Kapitalismus abgeschlagen werden.
Wer in dieser Konkurrenz mitspielen will, muss die stärksten Begabungen aus aller Welt anzuziehen versuchen und wird deshalb in der Spitze notwendigerweise international. Die selbstgenügsame Beschränkung auf die eigenen Gene führt heute zur sicheren Niederlage.
Das ist sicher schlimm sowohl für den dummen Stolz sanfter Rassisten als auch für die Ideologie von Gewerkschaftern, die sich nur als Vertreter deutscher Arbeitsplatzinhaber verstehen können.
Aber es ist eine Tatsache. Bisher lassen wir Deutschen fast nur Leute ins Land, die untergeordnete Tätigkeiten verrichten. (ausser beim Profifussball natürlich)
Wenn wir so einfältig wären, unseren Mittelschichten auch in Zukunft keine Konkurrenz aus dem Ausland zuzumuten, würden wir die Chance verlieren, im digitalen Kapitalismus an führender Stelle mitzuspielen.
Es ist brutal aber wahr: Einen 52-jährigen Maschinenbauer kann man nicht zu einem hungrigen Gründerunternehmer und sich selbstausbeutenden Software-Freak,
umschulen.
Auch wir Drucker brauchen in unseren Unternehmen:
- erstklassige Systemintegratoren,
- gute Netzwerkspezialisten
- Projektleiter und
- Informationstechnik-Berater
- Internetprogrammierer
und Deutschland braucht davon, wenn möglich, die besten der Welt.
Die Diskussion über Internet, das World Wide Web, über Computer und neue edien, wird beherrscht von Heilsverkündern und Apokalyptikern.
Wie immer bei solchen Diskussionen, wird dabei gerne die Wirklichkeit zur Vision und die Vision zur Wirklichkeit.
Und - meine Damen und Herren, Propheten sind immer gegen Tatsachen immun.
Und - immer gab es bei den grossen Entwicklungen Warner und Mahner
Jedem neuen Medium folgt der Schatten von Sinnverlust des Lebens.
Die Alphabetisierung bedrohte das Informationsprivileg der Gelehrten und Gebildeten, und jedes neue Medium gefährdete in den Augen der Obrigkeit die Moral der Untertanen. Vor der Romanlektüre wurde bereits im 18. Jahrhundert mit denselben Argumenten gewarnt, die heute gegen das Fernsehen ins Feld geführt werden.
Und die Evangelisten: Weltweite Kommunikation und Vernetzung, direkte elektronische Demokratie, gleichberechtigter Zugang zu jeder Art von lnformation, Abbau von Hierarchien, nachhaltige Nutzung von Ressourcen, daß sind einige der Verheißungen.
Bei aller Modernität - Mich erinnern sie in ihrer Erinnerungslosigkeit an die nukleare Euphorie der Nachkriegszeit, die in der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernspaltung, die Lösung aller Energieprobleme sah und die nun das unlösbare Entsorgungsproblem lösen muss.
Wie damals, so sind die Experten mit solcher Botschaften kaum von jenen Werbesprüchen einer Public-Relations-Agentur zu unterscheiden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass uns Raum und Zeit abhandenkommen. Übertroffen wird dieses Gefühl durch die Thesen von Baudrillard, dem zufolge alles, was wir für wirklich halten in Wirklichkeit längst verschwunden ist.
Ja, manchmal hat man wirklich den Eindruck, unsere Medien haben jede Möglichkeit, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden, bereits abgeschafft.
Dann ist die Welt nur noch eine Simulation und damit hat sich die Frage nach dem Sinn erledigt. Medienpropheten, die sich und uns entweder die Apokalypse oder die Erlösung von allen Übeln weissagen, sollten wir skeptisch begegnen.
Wirklichkeit oder virtuelle Welt? Wer Cybersex mit Liebe verwechselt, ist reif für die Psychiatrie. Aber, meine Damen und Herren, auf die Trägheit unseres Körpers ist Verlass, wir sind noch keine Cybermutanten geworden. Unser Zahnweh ist nicht virtuell. Wer hungert, wird von Simulationen nicht satt. Und - es gibt ein Leben diesseits der digitalen Welt: Das einzige, das wir haben.
Nun drei, vielleicht retorische Fragen? Wie lange hat es gedauert, bis 50 Mio Telefonanschlüsse geschaltet wurden ? Das waren 40 Jahre. Wie lange hat es gedauert bis 50 Mio Femseher installier wurden? Das waren 16 Jahre. Ich frage Sie, wie lange hat es gedauert bis 50 Mio lnternetanschlüsse geschaffen wurden? Das waren 3 Jahre. Und weiter - Wie hoch ist wohl im Jahr 2000 der Verkaufsumsatz im Intemet? 2 Mrd DM.
Wie hoch wird er im Jahre 2002 sein? 100 Mrd DM.
Das ist eine dramatische Entwicklung, die niemand so gesehen hat. (oder sehen wollte) Was bedeutet das für Schule und Bildung? Ich stelle mir vor: Rechnen, Schreiben, Lesen, das wird nicht mehr reichen um durchs Leben zu kommen. Neue Fächerübergreifende Bildungsinhalte und Fähigkeiten müssen entwickelt werden:
Informatik und Computerkunde für alle, Schulen ans Netz, Lehrer in die Weiterbildung, Berufsschulen mit modernster Hardware und Software ausstatten, jedem Schüler seinen elektronischem Schulranzen - einen Laptop -so, soll es sein. - Unsere Schulen, Berufsschulen und Universitäten müssen die besten Köpfe und Talente produzieren.
Unsere überkommene Hamstermentalität, sich in jungen Jahren die Backen mit Wissen und Fähigkeiten vollzuhauen und dann ein Leben lang davon zu zehren, das ist out!
Meine Damen und Herren! Liebe Druckerkollegen !
10 Jahre Verband der Druckindustrie, in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt
das sind auch: 10 Jahre Entwicklung, von Humanität, von Freiheit, von Demokratiebewusstsein und von Zivilcourage sowie - unternehmerischen Denken in der sozialen Marktwirtschaft.
Moderne Unternehmer wissen heute:
Shareholder Value geht nur mit zufriedenen Mitarbeitern.
Oder mit Willy Brandt gesagt: Wir dürfen die Kühe nicht von der Weide treiben !
Lassen Sie mich schließen mit einem Wort des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von VW:
"Den Wert eines Unternehmens machen nicht die Gebäude und die Maschinen
und auch nicht seine Bankkonten aus.
Wertvoll an einem Unternehmen sind nur die Menschen, die dafür arbeiten und der Geist in dem sie es tun."
Dies sagte Heinrich Nordhoff 1951.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, ich wünsche unserer Jubiläumstagung einen guten Verlauf und Ihnen alle eine schöne Zeit!