Karl Nolle, MdL
Die Zeit 24/2007, 14.06.2007
Stochern im Sumpf
Der sächsische Korruptionsskandal bringt Kanzleramtschef de Maizière und Ministerpräsident Milbradt in Bedrängnis. Doch bislang gibt es mehr Fragen als Antworten. Ein Überblick
Es ist gar nicht so einfach, in dem Korruptionssumpf, der sich in Sachsen aufgetan hat, den Überblick zu behalten. Jeden Tag gibt es neue Meldungen über vermeintlich brisante Verbindungen zwischen Rotlichtmilieu, Justiz und sächsischer Landespolitik; jeden Tag werden andere beschuldigt, jeden Tag gibt es neue Stellungnahmen.
Die Akten des Verfassungsschutzes, auf die all die brisanten Beschuldigungen und Verdächtigungen fußen, sind allerdings weiter unter Verschluss. Umso munterer sprießen die Spekulationen. Für den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle beispielsweise, einen alten Gegner der CDU schon zu Biedenkopfs Zeiten, ist die Sache klar: „Jetzt kommt alles hoch, was die CDU in den vergangenen 15 Jahren unter den Teppich gekehrt hat“, sagt er und spricht von Kriminalität und Korruption, „Mafiamorden“, Strafvereitelung und illegalen Parteispenden. Wenn nur ein Bruchteil davon stimme, so Nolle, „dann ist das der Offenbarungseid der sächsischen CDU“. Schließlich habe die das Land zwischen 1990 und 2004 allein regiert.
Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn es gibt bislang wenig Fakten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben erst begonnen, bis ein Untersuchungsausschuss des Landtags seine Arbeit aufnehmen wird, können Monate vergehen. Auch zur der Frage, was die Dossiers des Verfassungsschutzes hergeben, wie glaubwürdig die Informanten sind und wie belastbar die Anschuldigungen, lässt sich längst noch keine halbwegs gesicherte Einschätzung abgeben.
Der sächsische Korruptionsskandal wirft bislang weit mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Die wichtigsten listet ZEIT online auf:
Was hat den Skandal ausgelöst?
Ins Rollen kam die Affäre durch Beobachtungen des Landesamtes für Verfassungsschutz, das seit 2003 nach einer Gesetzesänderung umfangreiche Informationen über die Organisierte Kriminalität in Sachsen gesammelt hat. Die geheimen Akten über ein angebliches Netzwerk aus einflussreichen Politikern, Richtern, Staatsanwälten und Polizisten sowie deren Verbindungen zu kriminellen Banden umfassen rund 15.000 Seiten.
Durfte der Verfassungsschutz ermitteln?
Das ist eine der vielen umstrittenen Fragen in dieser Affäre. Denn schließlich gibt es das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten; für Kriminalermittlungen ist die Polizei zuständig. In Sachsen wurde die Trennung vor vier Jahren jedoch teilweise aufgehoben. Im Jahr 2003 hatte der Landtag den Landes-Verfassungsschutz ermächtigt, „zum Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung“ die Organisierte Kriminalität in Sachsen zu beobachten.
Ein Jahr später wurde sogar diese Einschränkung aufgehoben. Das Landesverfassungsgericht stellte sie allerdings im Juli 2005 in einem Urteil wieder her. Dieses Urteil ignorierte der Verfassungsschutz jedoch, er sammelte weiter Informationen. Der Datenschutzbeauftragte des Landes verlangt deshalb die Vernichtung aller nach Juli 2005 rechtswidrig angelegten Akten. Der Verfassungsschutz hingegen beruft sich auf eine andere Rechtsauffassung. Nach heftigen politischen Debatten verfügte der Landes-Innenminister Buttolo schließlich, dass die Akten nicht vernichtet, sondern der Staatsanwaltschaft übergeben werden.
Was steht in den Akten?
Das wissen nur diejenigen, die sie angelegt haben, sowie die Mitglieder der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtags. Doch die sind verpflichtet, über ihr Wissen zu schweigen.
Generalbundesanwältin Monika Harms lehnte es in der vergangenen Woche ab, die Ermittlungen an sich zu ziehen. Nach ihrer Ansicht wäre sie nur dann zuständig, wenn eine mafiöse Organisation öffentliche Funktionsträger gezielt korrumpiert hätte, „um die Entscheidungsfähigkeit staatlicher Stellen in größerem Umfang lahmzulegen". Einzelfälle genügten nicht, um die Ermittlungen an sich zu ziehen. Zudem äußerte die Bundesanwaltschaft Zweifel, ob im sächsischen Fall überhaupt eine kriminelle Vereinigung mit dauerhafter Struktur am Werk war. Allerdings war der Bundesanwaltschaft nur eine kurze, 40-seitige Zusammenfassung der Akten zur Prüfung vorgelegt worden.
Was wurde beobachtet?
Diese Frage ist schwer zu beantworten, denn die Akten sind ja unter Verschluss. Konkret bekannt ist bislang nur ein Vorwurf aus der Leipziger Stadtverwaltung. Dort sollen sich Mitarbeiter und Amtsträger minderjährige Prostituierte haben zuführen lassen, wodurch sie erpressbar geworden seien. Dies soll von Investoren, die mit der Stadt Geschäfte machen wollten, ausgenutzt worden sein. Zudem soll sich ein Leipziger Richter und späterer Staatsanwalt durch Bordellbesuche erpressbar gemacht haben. Er soll Ermittlungen behindert und Urteile beeinflusst haben.
Alle weiteren Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch, Erpressung und Betrug sind recht allgemein. Das Netzwerk habe von Leipzig aus unter anderem nach Chemnitz, Zwickau und Plauen gereicht, heißt es. In anderen Berichten ist von Verbindungen auch in die sächsische Staatskanzlei die Rede.
Sind die Informanten glaubwürdig?
Der Verfassungsschutz sagt „ja“. Zum Teil habe man konkrete und gleichlautende Informationen aus unterschiedlichen Quellen erhalten. Allerdings lässt sich dies schwer überprüfen, weil wichtige Informanten nicht bereit sind, den Schutz der ihnen zugesicherten Anonymität aufzugeben. Das könnte die juristische Aufarbeitung erschweren, wenn nicht verhindern. Denn solche vertraulichen geheimdienstlichen Informationen sind nicht gerichtsverwertbar.
Warum hat die Staatsanwaltschaft bislang nicht ermittelt?
Weil niemand sie über die Vorwürfe informierte. Der Verfassungsschutz ist dazu nicht verpflicht, er ist nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen. Er kann Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiterleiten – er muss es aber nicht. Es gibt allenfalls eine politisch-moralische Verpflichtung dazu.
Der damalige Innenminister und heutige Kanzleramtschef Thomas de Maiziére sagte, die „Erkenntnisdichte“ sei nicht hoch genug gewesen, um die Sache an die Justiz zu geben. Allerdings beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Denn sollten tatsächlich hochrangige CDU-Politiker oder sogar einflussreiche Justizangehörige in die Affäre verwickelt sein, könnte darin nach Ansicht der Opposition ein „mangelnder Aufklärungswille“ begründet liegen.
Fest steht, der Innenminister hätte unmittelbar, nachdem er von den Aktivitäten des Verfassungsschutzes informieren wurde, die PKK des Landtags davon unterrichten müssen. Das haben de Maiziére, der bis November 2005 Innenminister war, sowie sein Nachfolger Albrecht Buttolo nicht getan. Selbst der CDU-Politiker und Vorsitzende der PKK, Gottfried Teubner, wirft ihnen deshalb „Rechtsbruch“ vor.
Welche Politiker sind in den Skandal verwickelt?
Hier muss man klar unterscheiden. Unbestätigten Berichten zufolge sollen unter anderem ein Bundestagsabgeordneter, ein ehemaliger Minister sowie eine Reihe von Kommunalpolitikern in die Rotlicht-Affäre verwickelt sein. Namen wurden bislang allerdings keine genannt.
Eine völlig andere Frage ist die nach der politische Verantwortung für die mangelnde Aufklärung des Skandals und die Nichtinformation der PKK. Hier wird von entscheidender Bedeutung sein, wann der Innenminister und Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) von dem Skandal erfahren haben und was beide unternahmen oder unterließen, um die Ermittlungen voranzutreiben.
Wird jetzt aufgeklärt?
Die PDS will in der nächsten Sitzung des Landtags zusammen mit FDP und Grünen die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses beantragen. Auch die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.
Die Frage ist allerdings, ob die sächsischen Ermittlungsbehörden nach dieser Vorgeschichte noch unvoreingenommen arbeiten können. Auf Bitten der Landesbehörden könnte auch das Bundeskriminalamt die Ermittlungen übernehmen. Der Landtag hat einen entsprechenden Antrag der Linkspartei jedoch mit den Stimmen der Großen Koalition in der vergangenen Woche abgelehnt.
Wird es politische Konsequenzen geben?
Das ist nicht auszuschließen. In der vergangenen Woche stand die Große Koalition bereits auf der Kippe. Ministerpräsident Milbradt drohte mit der Entlassung der SPD-Minister aus seinem Kabinett für den Fall, dass die sozialdemokratischen Abgeordneten im Landtag dem Antrag der Linkspartei zugestimmt hätten. Die SPD übt sich derzeit im Spagat. Sie fordert die lückenlose Aufklärung aller Vorwürfe, gleichzeitig muss sie sich ihrem Koalitionspartner gegenüber loyal verhalten. Schließlich ist sie froh, trotz eines schlechten Wahlergebnisses im Freistaat, überhaupt mitregieren zu dürfen. Hinzu kommt, dass die Stadt Leipzig, in der die Affäre spielt, seit 1990 von der SPD regiert wird. Es könnten also durchaus auch SPD-Kommunalpolitiker in den Skandal verwickelt sein. Das bremst womöglich den Aufklärungswillen.
Von Kai Biermann und Christoph Seils