Karl Nolle, MdL

SPIEGEL 27/2007, Seite 32, 02.07.2007

Weiche Stelle

Nervosität bei den Grünen: Oskar Lafontaine will der Öko-Partei Wähler abjagen und vereinnahmt sie zudem als Bündnispartner der von ihm geführten Linken.
 
Wenn Grünen-Fraktionschefin Renate Künast den Plenarsaal des Reichstags betritt, ist sie die Freundlichkeit in Person. Ihren Co-Vorsitzenden Fritz Kuhn grüßt sie gern mit einem kumpeligen "Tach auch", den Genossen im SPD-Block winkt sie wohlwollend zu, und selbst den Abgeordneten von Union und FDP gönnt sie ein Kopfnicken.

Nur einen Bundestagskollegen würdigt Künast keines Blickes: den Partei- und Fraktionsvorsitzenden der Linken, Oskar Lafontaine. "Der ist ein gnadenloser Umfragepopulist, ein echter Bauernfänger", sagt Künast.

Die demonstrative Distanz entspringt einer nüchternen Erkenntnis. Mit Sorge beobachten Künast und die anderen Spitzen-Grünen, wie aggressiv Lafontaine versucht, nicht nur der SPD, sondern auch den Grünen die Wähler abspenstig zu machen.

"Wir dürfen nicht den Fehler der SPD wiederholen und so tun, als gäbe es da kein Problem", warnt Fraktionsvizin Bärbel Höhn, "wir müssen wachsam sein."

Die Meinungsumfragen ergeben zwar kein klares Bild. Die Werte der drei Oppositionsparteien schwanken seit Monaten um die Zehn-Prozent-Marke, zuletzt mit leichten Vorteilen für die Linke. Doch genervt verfolgt die grüne Führung, mit welcher Selbstverständlichkeit Lafontaine sie als potentiellen Juniorpartner in einer möglichen Rot-Rot-Grün-Koalition auf Bundesebene einplant. "Der macht uns ganz klein", klagt eine Spitzen-Grüne.

Nach außen demonstrieren die Parteichefs Claudia Roth und Reinhard Bütikofer Gelassenheit, intern aber suchen sie in stundenlangen Strategiebesprechungen nach einer Antwort auf die Bedrohung durch die Linkspartei. Immerhin gilt fast ein Drittel der Grünen-Anhänger als anfällig für die Parolen Lafontaines oder Gregor Gysis.

Einigkeit herrscht bislang nur in einem Punkt: Auf keinen Fall will man mit einem panischen Linksruck reagieren. Denn das wäre ein Bruch mit der bisherigen Strategie, die Grünen als eigenständige Kraft jenseits der Lager zu positionieren.

Nach der kommenden Bundestagswahl wollen die Grünen für alle etablierten Parteien koalitionsfähig sein, also für SPD, Union und FDP.

"Wir sind für breite Wählerschichten nur als Zünglein an der Waage interessant. Das bringt Stimmen", sagt ein Grünen-Stratege. "Ein Linksruck wäre kontraproduktiv."

Die Parteispitze - vom linken Flügel-Mann Jürgen Trittin bis zum Ober-Realo Fritz Kuhn - tritt dem Eindruck, sie sei für Lafontaines Lockrufe empfänglich, nach Kräften entgegen. Für die bürgerlichen Wähler, so die Einsicht, wäre ein Techtelmechtel mit der fusionierten Linken ein Graus.

Das derzeitige Lieblingsmodell der Grünen-Spitze ist die Ampel - also eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen. "Sie könnte ein modernes Deutschland repräsentieren", meint Ex-Umweltminister Trittin. Und so wird die meiste Mühe in die Anbahnung dieser Liaison investiert. In den nächsten Wochen etwa treffen sich die Fraktionschefs Kuhn und Künast mit SPD-Chef Kurt Beck.

Währenddessen soll die Linkspartei vor allem durch scharfe Attacken in Schach gehalten werden. Doch an Angriffslust ist Lafontaine kaum zu überbieten. Der ruppige Populist lässt keine Gelegenheit aus, die Grünen als Opportunisten zu verspotten: Sie hätten ihre pazifistischen und sozialen Grundüberzeugungen aufgegeben, sagt Lafontaine: "Man kann nicht ökologische Politik machen, man kann nicht für den Umweltschutz glaubwürdig eintreten, wenn man völkerrechtswidrige Kriege unterstützt."

Ziel der Lafontaine-Attacken ist die weichste Stelle der Grünen. Der linke Flügel ist schon lange hochgradig unzufrieden mit der eigenen Partei. Vor allem die Afghanistan-Politik der Berliner Führungsriege steht in der Kritik. Während die Spitzenleute den Bundeswehreinsatz am Hindukusch grundsätzlich unterstützen, ist die Basis vielerorts strikt dagegen.

Derzeit versuchen linksorientierte Kreisverbände, einen Sonderparteitag der Grünen einzuberufen, bei dem die Fraktion darauf festgelegt werden soll, für einen baldigen Abzug der deutschen Truppen zu stimmen. Scheitert dieser Plan, könnten sich ganze Gruppen enttäuscht von den Grünen ab- und der Linkspartei zuwenden. Denn die lehnt den Afghanistan-Einsatz rigoros ab.

Den ganzen Ärger kann die Grünen-Spitze seit einigen Tagen auch bei einem alten Weggefährten loswerden, der sich mit Lafontaine bestens auskennt. Der frühere Parteipatriarch Joschka Fischer hat seinen Amerika-Aufenthalt beendet und wohnt wieder in seiner Villa im Berliner Edel-Stadtteil Grunewald.

Fischer hat aus seiner Haltung zur Linkspartei nie einen Hehl gemacht. Mit denen müsse man sich hart und inhaltlich auseinandersetzen - und Überläufer von den Grünen zu den Tiefroten dabei in Kauf nehmen: "Ich hoffe sehr, dass Gysi und Lafontaine sie behalten."
ROLAND NELLES