Karl Nolle, MdL
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, 10.07.2007
Überparteilichkeit des Juristischen Dienstes gewährleisten!
Offener Brief an den Landtagspräsidenten
Die Abgeordneten der Linksfraktion haben heute dem Präsidenten des Sächsischen Landtags folgenden Offenen Brief übergeben, der die Gewährleistung der uneingeschränkt unabhängigen und überparteilichen Arbeit des Juristischen Dienstes des Sächsischen Landtages anmahnt:
Sehr geehrter Herr Präsident,
wiederholt hatte die Linksfraktion in den letzten Monaten Anlass zu fragen, welche Gründe es dafür gibt, dass die endgültige Besetzung der Stelle des Abteilungsleiters der Abteilung P (Parlamentsdienste), dem der juristische Dienst des Landtages unmittelbar untersteht, seit dem 1. Januar 2006 – also seit mehr als anderthalb Jahren – aussteht. Wir kritisieren diesen Zustand ausdrücklich und fordern schleunigste Abhilfe.
Dies vor allem deshalb, weil selbiges, aus unserer Sicht sachgerecht nicht gerechtfertigte Organisationsversäumnis bereits in mehreren Fällen dazu geführt hat, dass dem Juristischen Dienst die bis dato gewohnte und für dessen juristische Beratungstätigkeit auch unerlässliche Souveränität und Unparteilichkeit verloren zu gehen droht und sich scheinbar auch unzulässige Einwirkungen des Direktors des Landtages, durch herausgehobene Mitglieder und Mitarbeiter der regierungstragenden Fraktionen und nicht zuletzt auch durch Mitglieder der Staatsregierung selbst häufen, so zumindest unser Eindruck. Dem gegenüber ist jedoch eine völlig unabhängige, überparteiliche, die Fraktionen im Landtag gleich behandelnde, das Recht auf Chancengleichheit der die Regierung nicht tragenden Teile des Landtages in Parlament und Öffentlichkeit wahrende Tätigkeit des gesamten Parlamentsdienstes und des Juristischen Dienstes im Besonderen bereits aus dem verfassungsrechtlichen Selbstverständnis des Parlaments als gewählter Vertreter des Volkes unerlässlich. Das hat in besonderer Weise dann zu gelten, wenn sich die Beratungs- und Expertisentätigkeit auf Gegenstände bezieht, die zum Kern der Verfassung des Freistaates Sachsen gehören und die Erfüllung der Aufgabe des Landtages als Gesetzgeber und Kontrolleur der vollziehenden Gewalt sowie als herausgehobenes Organ der politischen Willensbildung sichern sollen.
Angesichts dieser Maßstäbe befremdet uns erheblich, dass trotz der Verständigungsbereitschaft zwischen den antragstellenden Fraktionen und den Koalitionsfraktionen durch die offenkundig persönliche Intervention des Ministerpräsidenten am 5. Juli eine Beschlussfassung der Koalitionsvertreter im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss erzwungen wurde, zunächst noch eine Expertise des Juristischen Dienstes des Sächsischen Landtages einzuholen. Dies lässt uns umso mehr erstaunen, als die Staatsregierung und der Ministerpräsident persönlich in der Vergangenheit den Stellungnahmen des gleichen Juristischen Dienstes eher Geringschätzung entgegenbrachten, wenn sie den eigenen politischen Vorstellungen nicht entsprachen. Hier verweisen wir nur auf die jüngsten Auseinandersetzungen um die Durchführung der Beweisbeschlüsse des 1. Untersuchungsausschusses zur Sächsischen Landesbank, wo unsere Fraktion erst qua Organklage zum Sächsischen Verfassungsgerichtshof die vom Juristischen Dienst herausgearbeitete Position "autorisieren” lassen musste.
Auch der Umstand, dass nach uns vorliegenden belastbaren Informationen am Sonntag, dem 8. Juli 2007, eine Vorberatung zwischen den juristischen Beratern der Koalitionsfraktionen und dem amtierenden Leiter des Parlamentsdienstes, der zugleich Leiter des Juristischen Dienstes ist, zur Frage des Umgangs mit dem entsprechenden Dringlichen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses "Kriminelle und korruptive Netzwerke” stattfand, muss Erstaunen und Verwunderung hervorrufen. Wir erachten es als Oppositionsfraktion ebenso wenig für hinnehmbar, dass sich die Verzögerung in der endgültigen Besetzung der Stelle des Abteilungsleiters der Abteilung P-Parlamentsdienste-, dem der Juristische Dienst des Landtages unmittelbar untersteht, auch daraus erklären soll, dass es hier ein unzulässiges Kopplungsgeschäft mit dem Ausscheiden des Abteilungsleiters Abteilung Z–Zentrale Dienste der Landtagsverwaltung bzw. der Neubesetzung dieser Stelle gibt, wobei unter Umständen "parteipolitische Balancen” eine Rolle spielen könnten.
Schließlich sehen wir uns zu unserer ausdrücklichen Bitte veranlasst, unverzüglich alle erforderlichen personellen Entscheidungen und Vorkehrungen zu treffen, dass die Landtagsverwaltung im Allgemeinen und der Juristische Dienst im Besonderen "autark” gegenüber der Staatsregierung bleiben, wegen der auch medial reflektierten, aus unserer Sicht "vordemokratischen” Forderung des Ministerpräsidenten an den Präsidenten des Sächsischen Landtages, eine von den Antragseinbringern Linksfraktion, FDP-Fraktion und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im "Vergleichsinteresse” vorgelegte Neufassung des Einsetzungsauftrages dennoch dann nicht zur Behandlung in der Sondersitzung des Landtages am 19. Juli 2007 zuzulassen, wenn deren Wortlaut nicht vollumfänglich der letztlich vom Ministerpräsidenten selbst erzwungenen Stellungnahme des Juristischen Dienstes genügt.
Den Präsidenten des Sächsischen Landtages in dieser Art und Weise gegen die Absicht von Minderheiten im Sächsischen Landtag in Dienst zu nehmen, qua Untersuchungsausschuss festzustellen, ob und inwieweit die Staatsregierung Mitverantwortung an der im Raum stehender Existenz korruptiver und krimineller Netzwerke in Sachsen hat, erachten wir für geradezu unerträglich.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Präsident, um Verständnis für unser Anliegen, das nicht zuletzt darauf gerichtet ist, die Integrität und das Ansehen des Präsidenten des Sächsischen Landtages und der von uns außerordentlich geschätzten übergroßen Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landtagsverwaltung zu schützen.
Mit freundlichen Grüßen
im Namen der Linksfraktion
Prof. Dr. Peter Porsch Fraktionsvorsitzender