Karl Nolle, MdL

SPIEGEL 35/2007, Seite 60, 26.08.2007

Sächsisches Desaster

Schon vor zwei Jahren stießen Bilanzprüfer auf Milliardenrisiken bei der Sachsen LB.
 
Schon vor zwei Jahren stießen Bilanzprüfer auf Milliardenrisiken bei der Sachsen LB. Doch die Aufsichtsbehörden reagierten verhalten. Nun zeigt die Fast-Pleite, dass im Reich der skandalgeschüttelten Landesbanken eine große Strukturreform unvermeidbar geworden ist.

Peer Steinbrück ist ein Mann des klaren Urteils. Der Bundesfinanzminister teilt die Menschheit gern in zwei Gruppen: Fähige und Unfähige. Keine Frage, dass die Mehrheit bedauerlicherweise in der zweiten Kategorie angesiedelt ist.

Sind seine Einschätzungen gar nicht mehr zitierfähig, hat Steinbrück seine Betriebstemperatur erreicht. Allenfalls in echten Krisenmomenten ist er bereit, sich in seinem Urteil zurückzuhalten. Dann wird schon mal gelobt, bis der Arzt kommt. Hauptsache, es beruhigt die Lage.

In diesen Tagen ist es Jochen Sanio, der dieses zweifelhafte Privileg genießt. Auf den Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) lässt Steinbrück derzeit nichts kommen. Nach den Fast-Pleiten der Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB und der Sachsen LB sollen die Finanzmärkte auf keinen Fall weiter verunsichert werden.

Der oberste Bankenaufseher der Republik sei ein "außerordentlicher Fachmann", flötet der Minister derzeit gern - und übergeht, wie entsetzt er war, als Sanio vor drei Wochen mit einer unbedachten Äußerung ("Es droht die schlimmste Bankenkrise seit 1931") die ohnehin zittrigen Börsen zwischen New York und Tokio noch weiter verunsicherte.

Eilig musste Bundesbankpräsident Axel Weber aktiviert werden, die Aktienhändler wieder zu beruhigen. Doch vieles spricht dafür, dass Sanio in Zukunft nicht mehr auf die Milde seines obersten Dienstherrn zählen kann. Denn Steinbrücks Ministeriale hegen mittlerweile massive Zweifel an der Kompetenz der Sanio-Behörde.

Die BaFin wusste, wie sich nun herausgestellt hat, seit mindestens zwei Jahren, dass die Sachsen LB über irische Tochterfirmen mit hochriskanten Finanzprodukten dealte - und damit zugleich ihre Existenz gefährdete (SPIEGEL 34/2007). Fast scheint es, als hätten die Aufsichtsbeamten weitgehend tatenlos zugesehen, wie die überforderten Sachsen hemmungslos weiterzockten - und am Ende alles verloren.

Nur eine eilige Finanzspritze samt Garantieerklärung anderer öffentlich-rechtlicher Banken über gigantische 17,3 Milliarden Euro bewahrte das Institut vor dem totalen Debakel. Seither dringen immer neue Horrorzahlen über das sächsische Desaster an die Öffentlichkeit. Auf bis zu 65 Milliarden Euro sollen sich die Engagements der Bank mit obskuren US-Immobilienkrediten angeblich belaufen.

Doch wie konnte es dazu kommen? Warum haben die Bonner Finanzkontrolleure nicht entschlossen eingegriffen, nachdem ihre eigenen Gutachter schon vor Jahren vor den versteckten Risiken bei den sächsischen Bankern gewarnt hatten? Und welche Verantwortung trifft Sanio selbst, der in Interviews gern darauf hinweist, er leite eine Behörde "mit Biss"?

Schon 2004 hatte die BaFin bei der Wirtschaftprüfungsgesellschaft KPMG einen Sonderprüfbericht über die Sachsen LB in Auftrag gegeben. In kompliziertem Ökonomen-Jargon zeichneten die Experten nach intensiven Recherchen ein Bild des Grauens.

"So etwas habe ich noch nicht gelesen", stöhnte ein Finanzexperte nach einer ersten, oberflächlichen Lektüre des weit über 200 Seiten umfassenden Papiers. Vor allem die irische Tochtergesellschaft mit ihren riskanten Milliarden-Deals sei offenbar ein "schludrig geführter Saustall".

So schreiben die Prüfer, dass die Dublin-Tochter der Sachsen LB am 31. Dezember 2003 "außerbilanzielle Portfolien im Umfang von 30,7 Milliarden Euro" gemanagt habe, deren Risiken die Bank "entsprechend ihrer Positionen im Wasserfall der strukturierten Finanzprodukte im wesentlichen Umfang" mittrage.

Übersetzt heißt das: Die Bank hat außerhalb ihrer Bücher mit Summen jongliert, die fast das 20fache ihres Eigenkapitals betrugen. Um die deutschen Anforderungen an das Bankgeschäft kümmerten sich die Manager dabei offenbar nur wenig.

Stichprobenartig untersuchten die KPMG-Prüfer drei der komplizierten Finanzkonstruktionen, die unter anderem auch mit US-Immobilienkrediten spekulierten. In einem der Gebilde mit dem Kunstnamen "Georges Quay" seien unter anderem die "Großkreditgrenzen" verletzt worden, in zwei anderen wiederum habe die Sachsen LB ein "Erstverlustrisiko aus dem gesamten unterliegenden außerbilanziellen Kreditvolumen" übernommen. Für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte, haftete damit zuallererst - die Bank.

In einer Zweckgesellschaft namens "Flexi Clip" seien die Risiken einiger gebündelter Kredite schon beim Kauf schlicht "nicht kalkulierbar" gewesen, kritisierten die Prüfer, eingegangen wurden sie dennoch. Bei anderen konnten die Experten "die Ordnungsmäßigkeit der Ermittlungen des Buchwerts" nicht bestätigen. Generell seien die Risikosysteme nicht, wie vorgeschrieben, durch die Simulation realer Ereignisse getestet worden.

Doch die smarten Sachsen-Banker in Dublin hätten ohnehin nicht gewusst, was sie überprüfen sollen. Das Risikotragfähigkeitskonzept der Sachsen LB sei nach Angaben eines Managing Directors bei der Dubliner Tochter der Sachsenbank gar nicht bekannt, schreiben die Wirtschaftsprüfer pikiert.

Zudem seien die irischen Spekulationen durch das "interne Kontroll- und Risikofrüherkennungssystem" nicht so "überwacht und gesteuert" worden, wie es die deutschen Gesetze verlangten. Eine "revisionsmäßige Nachvollziehbarkeit und risikomäßige Transparenz der Geschäfte" sei "nicht im erforderlichen Umfang gegeben", heißt es weiter. Und das, obwohl es um über 30 Milliarden Euro ging.

Zudem stellten die Prüfer bei der Dubliner Tochter in ungewohnter Offenheit "erhebliche Unzulänglichkeiten in der schriftlich fixierten Ordnung" fest: "Veraltet, unvollständig, widersprüchlich, nicht umgesetzt."

Die Sachsen-Banker zockten also nicht nur gern, sie führten auch noch schlampig Buch. Mühsam quälten sich die Prüfer durch die Papiere. Prüfungsstichtag war der 31. August 2004, doch die Untersuchung brauchte wegen der undurchsichtigen Unterlagen mehrere Monate. Als die Kontrolleure ihren Bericht im April 2005 schließlich vorlegten, waren die beiden zuständigen Bankvorstände bereits wegen einer anderen Affäre zurückgetreten. Es ging um Vetternwirtschaft bei einer Leasing-Gesellschaft, die der Bank gehörte.

Unklar ist, weshalb die BaFin dann nicht beherzt durchgriff. Warum sie nicht dafür sorgte, dass die Sachsen ihre riskanten Deals wenigstens schrittweise reduzierten. Und warum sie den alternden Landesbank-Boss Herbert Süß bis heute nicht abgelöst hat, obwohl der immerhin seit 2002 im Aufsichtsrat der windigen Dubliner Tochterfirma saß?

Man habe den Bericht an die Bundesbank weitergeleitet, die ebenfalls für die Bankenaufsicht zuständig sei, versuchte eine BaFin-Sprecherin am Freitag vergangener Woche gegenüber dem SPIEGEL das Verhalten der eigenen Behörde zu rechtfertigen. Die Bundesbank aber kann Berichte allenfalls prüfen, Sanktionen sind der BaFin vorbehalten.

Dort wird von konsternierten Mitarbeitern darauf hingewiesen, dass man von der Sachsen LB Konsequenzen durchaus gefordert habe, die nach einem Bericht der Abschlussprüfer des Instituts auch erfolgt seien. Man habe schließlich nicht in die Geschäftspolitik der Bank eingreifen können.

Inzwischen wächst auch deshalb die Kritik am BaFin-Chef. "Sanio hat immer nur zwei Pfeile im Köcher", kritisiert ein hoher Beamter im Finanzministerium, "Sonderprüfung und Vorstand ablösen. Doch das reicht einfach nicht mehr aus."

Finanzexperten werfen ihm zudem vor, er messe bei öffentlich-rechtlichen und privaten Banken mit zweierlei Maß. Und sie weisen darauf hin, dass die BaFin selbst gerade noch in den eigenen Reihen das Nachbeben eines Korruptionsskandals erlebt, der im vergangenen Jahr aufgeflogen war.

Damals hatte Heinrich Haasis, der Chef des Sparkassen- und Giroverbandes, Sanio im Verwaltungsrat den Kopf gerettet, indem er sich dafür einsetzte, die Abstimmung über die Entlastung des BaFin-Chefs zu verschieben.

Finanzminister Steinbrück hat inzwischen einen gerade erst fertiggestellten Gesetzesentwurf zur Reform der Bankenaufsicht gestoppt. Das Werk soll noch einmal überarbeitet werden.

Einen Teil allerdings will er noch im Herbst vom Parlament verabschieden lassen. Damit soll die Alleinherrschaft des BaFin-Chefs beendet und der Präsident in ein fünfköpfiges Führungsgremium eingebunden werden. Sanio würde damit schleichend entmachtet.

Spätestens seit der Krise der Sachsen LB hält der Minister auch eine komplette Neuordnung des öffentlichen Bankensektors für absolut notwendig. "Die haben sich da auf Geschäfte eingelassen, von denen sie nicht im Ansatz etwas verstehen", wetterte er jüngst gegenüber einigen Spitzenbeamten. Die Szene der Landesbanken und ihr Umfeld müssten sich dringend konsolidieren, glaubt er.

Schließlich sind es vor allem die Landesbanken gewesen, die in den vergangenen Jahren durch ihre waghalsigen Spekulationen auffielen - und wegen ihrer riskanten Geschäfte häufig dann auch mit Steuergeldern gerettet werden mussten.

Als besonders berüchtigtes Beispiel dafür gilt der Fall der Berliner Bankgesellschaft, die über Jahre Strohmänner, meist kleine Angestellte, benutzte, um riskante Immobilienfonds aufzulegen. Als die windigen Konstrukte aufflogen, musste das Land Berlin 1,7 Milliarden Euro zuschießen und später eine Bürgschaft über gigantische 22 Milliarden abgeben.

Mehr als ein Dutzend Manager wurden danach verurteilt - unter anderem wegen Bilanzfälschung, Untreue und Steuerhinterziehung. Es blieb nicht der einzige Skandal.

Auch die Düsseldorfer WestLB versuchte, ein großes Rad zu drehen. Mit Wissen und Zustimmung des Vorstands investierte die Jungbankerin Robin Saunders in London Hunderte von Millionen. Am Ende hatte sie mit ihren Geschäften drei Milliarden Euro verloren sowie ihren Job - und die Bank eine Menge Vertrauen.

Ob Berliner Bankgesellschaft oder WestLB, Sachsen LB oder früher auch die Bayerische Landesbank - ausgerechnet diese öffentlich-rechtlichen Institute gingen immer wieder enorm riskante Deals ein. Wichtigster Grund: Sie wollten auch mal hohe Gewinne melden, die sie in ihrem Tagesgeschäft gar nicht machen konnten und durften. Denn ihre bedeutendste Aufgabe war es eigentlich, als eine Art Zentralbank der Sparkassen immer für günstiges Geld zu sorgen. Die Landesregierungen bürgten im Hintergrund.

Doch seit die EU in Brüssel diese Art der Staatshaftung unterbunden hat, ist den Landesbanken ihr traditionelles Geschäftsmodell abhandengekommen. Viele Sparkassen sind inzwischen selbst so groß, dass sie auf die Zusammenarbeit mit den Landesbanken nicht mehr angewiesen sind, die ihrerseits nun in einem knallharten Wettbewerb mit den privaten Konkurrenten stehen.

Nur wenige Landesbanken wie die Stuttgarter LBBW haben eine überzeugende Strategie für die Zukunft. Deshalb wird ihr Chef Siegfried Jaschinski auch immer wieder als potentieller Käufer der kleineren Banken genannt. Die anderen versuchen, teilweise mit gewagten Spezialgeschäften zu überleben. So wie die Sachsen LB, deren wackliges Schicksal eine große Strukturreform nun noch beschleunigen dürfte.

Am Ende könnten statt der heute elf vielleicht nur noch zwei oder drei öffentlich-rechtliche Bankenriesen stehen. LBBW und WestLB verhandeln bereits miteinander. Es geht um viel Geld. Es geht aber auch um politische Empfindlichkeiten.

In der vergangenen Woche versuchten Experten unter Führung der LBBW erst mal, das Chaos bei den sächsischen Kollegen aufzuklären. Dabei tauchten immer weitere Firmen auf, die ebenfalls Anleihen in Milliardenhöhe angesammelt hatten.

"Die Leute in Leipzig haben keine Ahnung, was sie da eigentlich gekauft haben", sagt einer der Bilanzprüfer, betroffen von der beispiellosen Naivität. Die Sachsen LB hätte auch noch Hochhäuser am Nordpol finanziert, sagt ein Prüfer, wenn die entsprechenden Wertpapiere von einer Rating-Agentur gut benotet worden wären.

Doch wie so häufig geht auch bei der Sachsen LB die Zockermentalität einher mit der Verquickung von persönlichen Interessen und Geschäft. Schon die smarte WestLB Bankerin Saunders beteiligte sich privat, zu Vorzugskonditionen, an Firmen, die sie für die Bank erwarb. Bei der Sachsen LB gibt es ähnliche Verbindungen.

Der irische Bankmanager Adrian Fitzgibbon und sein Chef Claus-Harald Wilsing leiteten das 1999 in Dublin gegründete Milliardencasino der Sachsen. Sie waren die Köpfe hinter dem Geschäft mit riskanten Finanzinstrumenten, das sie stetig ausbauten - wofür sie auch fürstlich belohnt wurden. Die vermeintlichen Alchimisten Wilsing und Fitzgibbon sowie zwei weitere Manager durften bereits 2004 nebenher eine eigene Vermögensverwaltungsfirma, die AC Capital Partners, gründen.

Damit nicht genug: Die Sachsen LB legte dort rund 400 Millionen Euro an. Die dafür bezahlten Verwaltungsprovisionen flossen in die privaten Kassen der eigenen Angestellten.

"Alles andere hätte dazu geführt, dass wir denen adäquate Gehälter zahlen müssen", rechtfertigte ein damaliger Vorstand im Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags die lukrative Nebentätigkeit. "Die bekommen dort rund 500 000 Euro pro Jahr, und man hätte ihnen in London zwei Millionen auf Pfund-Basis gezahlt." Nur so habe man die Leute halten können. Doch Wilsing & Co. dachten gar nicht daran zu bleiben. 2005 bereiteten die Großverdiener das Terrain für ihren lukrativen Abgang vor.

Denn auch die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank) ließ mittlerweile Geld von Wilsings Truppe verwalten. Im Herbst 2005 kaufte die Düsseldorfer Bank den Managern schließlich 51 Prozent von AC Capital für einen hohen zweistelligen Millionenbetrag ab. Seit 2006 sitzt Wilsing zudem als Generalbevollmächtigter im Vorstand der Apobank. Sein Freund Fitzgibbon kümmert sich derweil vor Ort um die irische Fondstochter. AC Capital fährt finanziell bereits einen noch heißeren Reifen als früher: Sie verwaltet 40 Milliarden Dollar in derzeit arg gebeutelten Kreditprodukten. Deren Kurse sind im Zuge der US-Hypothekenkrise eingebrochen.

Diesmal liegt das Risiko jedoch nicht in den Büchern der Bank, sondern unter anderem bei deutschen Pensionskassen, die Anteile an diesen vermeintlich sicheren Fonds gekauft haben. Die Kassenmanager wollten die Renten ihrer Versicherten aufbessern. Daraus wird nun wohl nichts.

BEAT BALZLI, KONSTANTIN VON HAMMERSTEIN, CHRISTOPH PAULY, WOLFGANG REUTER, STEFFEN WINTER