Karl Nolle, MdL

DER SPIEGEL 36/2007, Seite 89, 02.09.2007

"Hinter Ihnen ist der Abgrund"

Unter den Augen der Bankenaufsicht baute die Sachsen LB ihre Spekulationsgeschäfte dramatisch aus.
 
Am Ende reichten drei Sätze, um die Stimmung kippen zu lassen. 45 Minuten lang hatte BaFin-Chef Jochen Sanio auf die 20 kommunalen Anteilseigner eingeredet an jenem Sonntagabend vor einer Woche, hatte sie gedrängt, einem Verkauf der maroden Sachsen LB an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zuzustimmen, hatte ihnen vorgerechnet, dass die Bank mit ihren hochriskanten Geschäften in Irland Verbindlichkeiten von 600 Millionen angehäuft habe. Der Bank drohe die Zahlungsunfähigkeit.

Die Herren schwiegen betreten. Dann meldete sich Joachim Hoof zu Wort, der Chef der Ostsächsischen Sparkasse Dresden. "Sie lassen uns ja gar keine Wahl", jammerte er, "wir stehen mit dem Rücken zur Wand."

"Herr Hoof", erwiderte Sanio, "Sie haben es immer noch nicht verstanden. Hinter Ihnen ist keine Wand. Hinter Ihnen ist der Abgrund."

Wenige Minuten später war der Verkauf beschlossen. Zu denkbar ungünstigen Bedingungen: Die LBBW bezahlt als Soforthilfe 250 Millionen Euro und 300 Millionen als Anzahlung. Bewertet wird die Sachsen LB aber erst zum 31. Dezember. Sollte die Bank dann mehr wert sein, muss die LBBW die Differenz nachschießen, allerdings nur bis zu 900 Millionen. Der darüber hinausgehende Kaufpreis wird sogar nur noch zur Hälfte beglichen. Bargeld erhalten die Anteilseigner ebenfalls nicht - sie werden ausschließlich in LBBW-Anteilen bezahlt. Zudem können die Stuttgarter den Kauf unter bestimmten Bedingungen rückabwickeln.

Kein guter Deal, eher ein Notverkauf, an der Sanios Behörde nicht ganz unschuldig ist. Die BaFin hatte bereits im April 2005 einen Sonderprüfungsbericht erhalten, aus dem klar hervorging, dass die Dubliner Tochter der Bank mit hochriskanten Kreditderivaten im Wert von über 30 Milliarden Euro außerhalb ihrer Bilanz jonglierte (SPIEGEL 35/2007). In ungewöhnlicher Schärfe monierten die Prüfer damals zudem das Risikomanagement der Bank.

Seit das Institut ins Trudeln geriet, steht Sanios Behörde deshalb unter Rechtfertigungsdruck. Man habe nach Zugang des Berichts "alle aufsichtsrechtlich relevanten Schritte unternommen", erklärte eine Sprecherin der BaFin. Dazu gehörten "eine mit strikten Fristen versehene Berichtspflicht des Vorstands und des Abschlussprüfers der Bank".

Und tatsächlich - alle zwei Monate wurden Berichte geschrieben, in denen die einzelnen Maßnahmen aufgelistet wurden ("Erledigt"). Zudem kam ein Vertreter der BaFin samt einem Kollegen der Bundesbank zu den Sitzungen des Verwaltungsrats. "Immer wenn ich etwas hinterfragen wollte", erinnert sich ein Mitglied, "hat der Vorstand beschwichtigt. Dann habe ich zu dem BaFin-Vertreter geblickt, der meist zustimmend nickte. Oder dem Vorstand in einem Wortbeitrag recht gab."

Allerdings war die Zusammenarbeit zwischen Aufsehern und Bank offenbar nicht ganz so eng, wie es den Verwaltungsräten suggeriert wurde. Vor dem Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtags gab Jörg Wille, Chef der Innenrevision der Sachsen LB, zu Protokoll, die Bank habe "im Rahmen des beschriebenen Abarbeitungsprozesses" das Gespräch mit der BaFin gesucht. Der Termin habe jedoch erst am 24. März 2006 stattgefunden, also fast ein Jahr nach Vorlage des Berichts.

Einige der Mängel wurden einfach wegdiskutiert. "In wesentlichen Fragen des Berichts hat sich die Aufsicht weitgehend der Auffassung der Bank und ihres Abschlussprüfers angeschlossen", erklärte Wille den Parlamentariern. Zudem ließen die Kontrolleure zu, dass die Bank ihre Spekulationsgeschäfte nicht reduzierte, sondern, so der Revisor, sogar "moderat weiterentwickelte". Tatsächlich baute das Institut diese Geschäfte 2005 dramatisch aus - um immerhin 50 Prozent auf 45 Milliarden Euro.

Sie könne sich nicht in die Geschäftspolitik der Banken einmischen, entschuldigt sich die BaFin. Tatsächlich kann sie die Geschäfte von Banken sehr wohl beschränken, um "Missständen entgegenzuwirken, welche die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden". Genau das hat die BaFin bei der Sachsen LB offenbar unterlassen.

Nun will das Bundesfinanzministerium das Verhalten der Behörde prüfen. Laut einem Sprecher wolle man sehen, "welche Begründung die BaFin hat für das, was sie an Maßnahmen getan oder nicht getan hat".
WOLFGANG REUTER