Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 06.09.2007
„Ich lasse mich nicht jagen“
Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) will auch bei der Wahl 2009 als Spitzenkandidat für die Union bereitstehen.
Herr Ministerpräsident, haben Sie in den vergangenen Wochen mal daran gedacht aufzugeben?
Nein, nicht in dem konkreten Sinne. Aber es ist ganz klar: Wenn ein Politiker ein Problem nicht lösen kann und versagt, dann müssen andere ran. Aber wir haben es geschafft, für die Landesbank eine Lösung zu finden, die die Interessen des Landes und der Kommunen wahrt. Darauf kommt es an.
Es gibt fast schon schockierende Fotos von Ihnen aus der Landtags-Sondersitzung, als ihr Finanzminister Horst Metz zurückgetreten ist.
Das hat mich schon sehr getroffen. Horst Metz saß von 1990 an im Parlament. Er steht mir sehr nahe. Aber ich respektiere seine Entscheidung. Und er hat zuletzt auch bei den Fusionsverhandlungen mit den Baden-Württembergern gute Arbeit geleistet.
Ist die Frage der politischen Verantwortung für die Landesbank-Krise mit dem Rücktritt ihres Finanzministers beantwortet?
Das war eine Entscheidung, die er selbst getroffen hat ...
... die Sie nicht für notwendig gehalten haben?
... die ich respektiere. Horst Metz verdient für diese noble Entscheidung Anerkennung. Ich habe nicht gehört, dass etwa wegen der wesentlich größeren Probleme bei der WestLB der Finanzminister oder gar der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen zurückgetreten wären.
Glauben Sie, das ganze Debakel wäre dem alten Landesbank-Vorstand nicht passiert?
Das weiß ich nicht.
Wie groß wird letztlich der Schaden für den Freistaat sein?
Ob ein Schaden entstanden ist, werden wir erst in einigen Wochen wissen, wenn die Bewertung der Bank vorliegt.
Hinterher – sagt man – ist man immer klüger. Würden Sie im Nachhinein heute in Sachen Landesbank etwas anders machen?
Wir müssen jetzt erstmal in Ruhe analysieren, wo die Fehler lagen. War es überzogener Ehrgeiz der Bank-Vorstände? Mangelndes Krisenmanagement in einer Stress-Situation? Falsche Strategien?
Wir haben Wirtschaftsprüfer beauftragt, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Das muss man in Ruhe anschauen. Alles andere wäre ungerecht.
Glauben Sie, dass durch die Vorgänge Ihr Image als anerkannter Finanzfachmann in Deutschland beschädigt ist?
Wenn das Ganze auf Fehler von mir zurückzuführen wäre, auf jeden Fall. Aber es kommt ja nicht darauf an, was ist, sondern was die Leute denken. Sie befürchten Auswirkungen auf Sachsens Staatshaushalt oder die Kommunen. Ich gehe davon aus, dass wir trotz allem ordentliche Zahlen vorlegen können und auch weiterhin Schulden tilgen. Dieser Vorfall wirft das Land nicht aus der Bahn. Dafür sind die Zahlen insgesamt zu gut. Und auch die Sparkassen sind nicht betroffen – da muss sich niemand Sorgen machen.
Das zweite große Thema in den vergangenen Monaten war die Verfassungsschutz-Affäre und Korruptionsvorwürfe ...
... von einer Korruptionsaffäre kann doch heute keine Rede mehr sein. Man sollte lieber von einer Akten-Affäre sprechen. Wir werden in ein bis zwei Monaten einen Bericht dazu vorlegen. Und dann, da bin ich sicher, können wir Entwarnung geben. Die erste Befürchtung, dass unser Land im Griff der Mafia und der Korruption steckt, war falsch. Die Öffentlichkeit muss erfahren, dass es einen Sachsen-Sumpf nicht gibt – da stehen wir alle in der Verantwortung.
Ihnen wurde vor allem in der Akten-Affäre mangelhaftes Krisenmanagement vorgeworfen.
Als die schlimmen Vorwürfe, angeheizt durch die Linkspartei, auftauchten, war die Aufklärung zunächst außerordentlich schwierig. Niemand konnte überprüfen, ob die Anschuldigungen zutreffen. Das ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, und dort gehören die Akten auch hin. Die Staatsanwaltschaft macht jetzt ihre Arbeit.
Blicken wir auf den Parteitag in neun Tagen. Glauben Sie, dass die CDU, vor allem die Basis, nach all den Krisen noch hinter Ihnen steht?
Ich fühle mich unterstützt; vor allem durch das einstimmige Votum des Landesvorstands. Wir müssen jetzt gemeinsam die Probleme überwinden. Darunter sind zwei Scheinprobleme – oder sagen wir besser: Image-Probleme. Erstens die Akten-Affäre, das zweite sind die Vorfälle in Mügeln. Das arbeiten wir ab, damit Vertrauen zurückkehrt. Die CDUmuss deutlich machen, dass sie der stabile Faktor in diesem Land ist und dass sie die Probleme auch lösen kann. Der Bürger erwartet, dass wir gerade in schwierigen Zeiten nicht schwanken.
Noch mal zum Parteitag: Sie stellen sich dort zur Wiederwahl als CDU-Chef. Wie viel Prozent müssen es mindestens sein?
Auf diese Frage dürfen Sie keine Antwort erwarten. (lacht)
Muss das Ergebnis mindestens bei 77 Prozent liegen – wie bei der Wahl vor zwei Jahren?
Sie werden dazu von mir jetzt nichts hören.
Wo ist denn der Politiker Georg Milbradt bereit, sich zu ändern, Dinge anders anzupacken?
Ach, wissen Sie. In eigener Sache ist man befangen. Darum will ich diese Diskussion öffentlich nicht führen. Aber grundsätzlich gilt: Jeder Mensch ist fehlbar. Man muss versuchen, die Fehler an sich selbst zu finden, und sie dann beheben.
Wird es demnächst politische Überraschungen geben? Werden Sie Ihren Themen-Fahrplan jetzt irgendwie verändern?
Nein. Das größte Reformprojekt, das vor uns steht, ist die Verwaltungs- und Kreisreform. Dafür steht jetzt nur kurz das Zeitfenster offen. Diese Reform aus dem Takt zu bringen, würde ihr Scheitern bedeuten.
Dann bleiben personelle Veränderungen im Kabinett vorerst Ihre einzige Überraschung?
Was heißt Überraschung? Dass man in der zweiten Hälfte einer Legislaturperiode noch einmal darüber nachdenkt, mit welcher Mannschaft man 2009 in den Wahlkampf zieht, ist doch wohl selbstverständlich. Ich lasse mich da nicht jagen.
Also wird es vor dem Parteitag keine neuen Gesichter geben?
Nein. Aber auch danach – wissen Sie, es sind ja noch mehr als zwei Jahre Zeit bis zur Wahl. Dass man nicht warten sollte bis kurz vor dem Wahltermin, ist doch klar.
Trotz guter Finanz- und Wirtschaftsdaten des Freistaats – die sächsische CDU liegt in Umfragen derzeit bei etwa 37 Prozent. Warum gelingt es Ihrer Partei nicht, ihre Erfolge in Wählerstimmen umzumünzen?
Die Bürger sind einfach verunsichert. Der Aufschwung hat noch nicht alle erreicht. Das müssen wir verbessern.
Nervt es Sie, dass Ihr Koalitionspartner SPD ständig droht, aus der Regierung auszusteigen?
Die Frage, ob die SPD lieber in der Opposition sitzt oder mitregieren will, muss sie selbst entscheiden. In der Opposition zu sein, hat den Vorteil, dass man für nichts verantwortlich sein muss und immer ,draufhauen‘ kann. In der Regierung muss man aber auch mal etwas mittragen, was einem nicht gefällt und für das man auch in Mithaftung genommen wird. Meine Vorstellung ist: Wir brauchen in Deutschland eine starke Partei der linken Mitte und nicht eine starke Linkspartei. Sonst gehen die Wählerstimmen an den linken und rechten Rand. Darum wünsche ich der SPD bei der Auseinandersetzung mit der Linkspartei viel Erfolg.
Halten Sie die Kritik der SPD am Umgangs- und Kommunikationsstil der CDU bei der Regierungsarbeit für berechtigt?
Das ist wie in einer Ehe. Ich finde es nicht gut, wenn man bei Problemen gleich die ganze Nachbarschaft beteiligt. Das macht die Lage nicht besser. Wir werden die kritischen Punkte deshalb innerhalb der Koalition und nicht in der Öffentlichkeit besprechen.
Welche Situation war für Sie persönlich die härteste Bewährungsprobe? Als Sie 2001 als Finanzminister gehen mussten und sich dann in das Amt des Regierungschefs gekämpft haben? Oder die aktuelle Krise?
Nichts von alldem. Für mich war die bisher größte Belastung die Flutkatastrophe 2002. Damals war ich erst wenige Wochen im Amt. Da war der Druck am größten. ,Schafft der das?‘ – das hat sich doch damals jeder gefragt.
Und die Flut von damals hat Sie mehr belastet als ihre heutige, auch persönliche Krise?
Ja. Denn wir reden doch derzeit weniger über die Realität, sondern darüber, was die Leute für Realität halten, was aber wenig mit den Fakten zu tun hat: etwa bei der Akten-Affäre, bei der Landesbank-Krise oder im Fall Mügeln. Bei der Flut aber gab es konkrete Schäden in Milliardenhöhe. Das hat viele Menschen ganz persönlich getroffen.
Zum Schluss noch eine Frage: Was halten Sie eigentlich von der Rente mit 67?
Aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir Ältere bald dringend benötigen. Wir können uns nicht länger erlauben, diese Potenziale zu verschwenden ...
... wir dachten eher an Sie. Sie selbst sind 62 Jahre alt.
Ich fühle mich leistungsfähig und fit.
Auf eine weitere Spitzenkandidatur für die Landtagswahl 2009 legen Sie sich noch nicht fest?
Wir haben dafür klare Regeln in der Partei. Über die Spitzenkandidatur wird erst 2008 entschieden. Wenn die Partei und die Wähler es wollen, werde ich weitermachen.
Das Gespräch führten Uwe Vetterick und Annette Binninger
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(Anmerkung von Karl Nolle: Georg Milbradt sagt: "Ob ein Schaden entstanden ist, werden wir erst in einigen Wochen wissen, wenn die Bewertung der Bank vorliegt." Ich frage, sind 1 Milliarde verbranntes Eigenkapital der Landesbank, Geld der sächsischen Steuerzahler, nach Auffassung des MP kein offensichtlicher Schaden. Mit welchem Maß an pathologischen Realitätsverlust darf man eigentlich ein Land regieren?)