Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 19:11 Uhr, 06.09.2007
NEUE UMFRAGE: NPD in Sachsen überholt SPD
Die NPD ist einer neuen Umfrage zufolge die Gewinnerin der sächsischen Regierungskrise. Die Rechtsextremen überrunden erstmals die SPD. Die Partei ist erschüttert, auch für Politikforscher sind die Zahlen dramatisch.
Hamburg/Dresden - Ministerpräsident Georg Milbradt hat in den vergangenen Wochen einen Schlag nach dem anderen kassiert. Korruptionsaffäre, die Posse um die Waldschlösschenbrücke, der Übergriff auf acht Inder in Mügeln. Zuletzt brachte ihn die Pleite der Landesbank ins Wackeln, daran änderte auch der Notverkauf nichts.
Jetzt verliert seine CDU einer Umfrage des Instituts Forsa für n-tv zufolge zwei Prozentpunkte binnen eines Monats - aber noch auffälliger an den neuen Daten ist: Die SPD liegt in Sachsen jetzt hinter der NPD.
Die SPD kommt laut Forsa wie im Juli auf acht Prozent. Die NPD legte dagegen von acht auf neun Prozent zu - was zwar im statistischen Schwankungsbereich liegt, aber einige Symbolkraft hat. Damit liegen die Rechtsextremen erstmals vor den Sozialdemokraten. Die CDU kommt auf 39 Prozent. 27 Prozent der Wähler würden sich für die Linke entscheiden, sieben Prozent für die FDP, fünf Prozent für die Grünen.
Die NPD bejubelte die Zahlen in einer Pressemitteilung als "wirklich sensationell" und als Ergebnis dessen, "dass wir uns nicht an medialen Hetzkampagnen gegen unsere eigenen Landsleute wie in Mügeln beteiligen", die "geradezu rassistisch" seien: "Keine Angst, die nächsten Wahlen kommen bestimmt."
Die SPD ist erschüttert. Sie hatte bei der Landtagswahl 2004 mit 9,8 Prozent schon das schlechteste Ergebnis aller Zeiten erreicht. Die NPD lag damals knapp dahinter bei 9,2 Prozent. Martin Dulig, parlamentarischer Fraktionsgeschäftsführer, lässt seinem Frust freien Lauf: "Dass nun die NPD Gradmesser für uns ist, kann nicht sein", sagte er SPIEGEL ONLINE. "Ich lasse mich nicht mit Nazis vergleichen." Für die SPD könne es "nach diesen Zahlen nur eine Devise geben: Jetzt müssen wir durchstarten". Die Wirtschaftsdaten sprächen für Sachsen und seine Regierung, und davon sei die SPD ein wichtiger Teil. "Das müssen wir klarmachen", sagt Dulig.
In der SPD gab es zuletzt eine Debatte über die schlechten Werte, die die Partei in Forsa-Umfragen im Vergleich bekommt - daran will sich Dulig nicht beteiligen. Fest steht: In den Umfragen anderer Institute lag die NPD bisher immer klar hinter der SPD. Die Sozialdemokraten hatten je nach Institut seit der Wahl auf bis zu 18 Prozent zugelegt, während die NPD bei vier bis neun Prozent lag. In den vergangenen Monaten verschlechterten sich die Werte für die SPD allerdings, die NPD legte zu.
In der sächsischen SPD ist die Unruhe groß. Dulig soll nach Informationen von SPIEGEL ONLINE demnächst den Fraktionschef Cornelius Weiss ablösen, der sich am 14. September gegenüber der Fraktion dazu äußern will - Dulig schweigt bisher dazu.
Linkspartei und NPD profitieren von Gerechtigkeitsdebatte
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt nennt die Zahlen von Forsa "dramatisch". Allerdings spielten "die großen Geschiebekräfte" der Gesellschaft wie die Gerechtigkeitsfrage in Sachsen eine größere Rolle als "kleinere Kapriolen" wie die jüngsten Regierungspleiten. Das Gefühl in der Bevölkerung sei, dass die großen Parteien - ob in Dresden oder Berlin - nicht genug für sie täten, sagte Patzelt SPIEGEL ONLINE. "Soziale Gerechtigkeit ist nach wie vor das wichtigste Thema." Darauf setze verstärkt die NPD, nach dem Motto: "Starker Staat für den kleinen Mann." Von den beiden großen Volksparteien treffe diese Unzufriedenheit besonders die SPD. "Den Sozialdemokraten nimmt man das übel, weil das eigentlich immer ihr Thema war." Profitieren würden vor allem Linkspartei und die NPD.
So richtig kann sich auch Sachsens CDU nicht über die Zahlen freuen. Eine Große Koalition wie bisher wäre ihnen zufolge nicht mehr möglich - so etwas gab es noch in keinem Bundesland. Der Politologe und SPIEGEL- ONLINE- Kolumnist Franz Walter hatte vor kurzem schon auf dieses Problem hingewiesen und von einer schwerwiegenden Störung der politischen Balance gesprochen.
flo/koe/dpa