Karl Nolle, MdL
Agenturen ddp-lsc, 13:00 Uhr, 07.09.2007
(ddp-Wortlautinterview) "Katastrophale Personalpolitik" - Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle über die Ursachen der anhaltenden Sachsen-Krise
Der in der Aufklärung etlicher Affären erprobte SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle führt die Sachsen-Krise vor allem auf eine "katastrophale Personalpolitik" zurück.
Berlin/Dresden (ddp). Sachsen kommt seit Monaten nicht zur Ruhe: die Affäre um Verfassungsschutzakten, die brisante Details zum Sicherheits- und Justizapparat enthalten, und der Kollaps der Landesbank. Der in der Aufklärung etlicher Affären erprobte SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle führt die Sachsen-Krise vor allem auf eine "katastrophale Personalpolitik" zurück.
Herr Nolle, in Sachsen reiht sich eine Krise an die nächste: Die Affäre um die Verfassungsschutzakten, die Vorgänge um die Sachsen LB, das Hin- und her um die Waldschlößchenbrücke. Das Land kommt kaum zur Ruhe. Was ist da los?
Nolle: "Wir erleben den Offenbarungseid einer Partei, die 17 Jahre lang an der Regierung ist, vierzehn Jahre davon als Alleinregierung. Die CDU erleidet einen Super-Gau auf ihren traditionell wichtigen Feldern, der Sicherheit- und Ordnungs- sowie der Haushalts und Finanzpolitik. Es ist schon bezeichnend, wenn wir Sozialdemokraten in diesem Kernbereich konservativer Politik eine bessere materielle und personelle Ausstattung bei Polizei und Justiz fordern müssen, weil Ministerpräsident Georg Milbradt diese Institutionen in seiner Sparwut vernachlässigt hat. Da gibt es bei der CDU einen enormen Kompetenzverlust, der dem Land schweren Schaden zugefügt hat. Das ist eine Ursache für die Korruptionsaffäre und den Sachsen-Sumpf. Eine andere ist die katastrophale Personalpolitik der CDU."
ddp: Die Personalpolitik hat aber lange der viel gelobte Kurt Biedenkopf mit geprägt . . .
Nolle: "... ja, und schon seit damals trägt sie die Kennzeichen parteilicher Inzucht. Da bekamen in der Regel Parteimitglieder Posten weil sie nützlich waren, nicht aufgrund nachgewiesener Fähigkeit. Hinzu kommt, dass mindestens drei starke rivalisierende Gruppen in der Personalpolitik mitgemischt haben. Die bayerischen Aufbauhelfer, die Baden-Würtembergische Gruppe und dazu noch alte Seilschaften und etliche ehemalige schwer stasibelastete K1 Polizeioffiziere der DDR. Die hat man im Ministerium versteckt. Diese Netzwerke haben sich im Ringen um möglichst viele Posten bis aufs Messer bekämpft, zahlreiche Amtsinhaber wurden von Rivalen blockiert. Da konnte nichts Gutes heraus kommen. Nicht von ungefähr ist die Liste der Polizeipräsidenten, der Landespolizeipräsidenten, der Chefs des Landeskriminalamtes, des Verfassungsschutzes oder der Staatssekretäre im Innenministerium so lang dass man sich fragen muss: Wie sollte dabei die nötige Kontinunität zustande kommen?"
ddp: Und die vielen Innenminister, die Sachsen hatte . . .
Nolle: ". . . es waren in vier Legislaturen immerhin sechs Minister. Wenn Amtsinhaber Albrecht Buttolo jetzt abgelöst wird, sind es sieben. Und das in dem Kernbereich der CDU, der Sicherheits- und Ornungspolitik. Da ist eine Folge der schlechten Personalpolitik. Wer sein Personal in Polizei und Justiz nicht nach Fähigkeit sondern mehr nach Parteilinientreue aussucht, darf sich nicht wundern, wenn sein Innenminister sich nicht gegen die gutvernetzten Seilschaften im Apparat durchsetzen kann."
ddp: Zumindest wirtschaftlich gilt Sachsen aber als Vorzeigeland.
Nolle: "Das ist es auch, aber vor allem, weil es historisch schon immer Spitze gewesen ist. Aus Sachsen kamen 30 Prozent des Bruttosozialprodukts des Deutschen Reiches. Die über Jahrhunderte entwickelten Erfahrungen, das Können, die Phantasie und der Ehrgeiz der Sachsen, das war der Humus, auf den die CDU aufbauen konnte. Das - weniger ihre Politik - waren die wirklichen Ursachen für viele Erfolgsmeldungen. Die CDU steht doch etwa mit ihrer Finanzpolitik vor einem Scherbenhaufen. Georg Milbradt hat die Landesbank auf Grund gesetzt und über eine Milliarde Euro Steuergelder verbrannt. Der Gesamtschaden könnte noch höher sein."
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