Karl Nolle, MdL

Leipziger Volkszeitung LVZ, 06.12.2007

Heiße Luft als größtes Staatsgeheimnis

In der Alten Handelsbörse beklagen Forumsgäste erhebliche Defizite bei der Aufklärung der Sachsensumpf-Affäre
 
Wer über die Sachsensumpf-Affäre öffentlich reden will, muss stets mit juristischen Gegenschlägen rechnen. Deshalb werden dabei wenig Namen genannt, aber viele Fragen gestellt. Am Dienstagabend redeten gleich fünf Podiumsgäste in der voll besetzten Alten Handelsbörse zum Thema. Am Ende der zweieinhalbstündigen Debatte konnten schöne Bonmots nicht über eine gewisse Ratlosigkeit hinwegtäuschen. Der frühere Landtagsabgeordnete Günter Krole zitierte dazu den Dichter Bert Brecht: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Die erste Frage hatten die Veranstalter – IG Metall, Verein Courage zeigen und Gesellschaft für Völkerverständigung – gleich zur Überschrift des Abends gemacht. „Wer klärt in Leipzig Mafia-Vorwürfe auf?“ Die dafür zuständigen Justizbehörden würden teilweise unter zweitklassigem Personal leiden, meinte Matthias von Hermanni, Ex-Chef des Leipziger Betriebes für Beschäftigungsförderung. „Nach der Wende sind eher stümperhafte Juristen, die im Westen keine großen Karrierechancen sahen, in den Osten gewechselt und dann nach und nach in hohe Ämter befördert worden.“ In Sachsen habe sich dieses Problem noch durch eine „18-Jahre-Inzucht-Personalpolitik“ der CDU-Regierung verschärft, bei der häufig zwischen Staatsanwalts- und Richterposten gewechselt wurde, so der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle: „Man hat die Flaschen im leeren Kasten immer wieder hin und her sortiert. Der Sumpf ist nur eine Fortsetzung des schwarzen Filzes.“

Beispielsweise habe einer der Leipziger Ermittler zur organisierten Kriminalität in den Neunzigerjahren Verdachtsmomente gegen mehrere Richter geprüft, so Klaus Bartl, Landtagsmitglied der Linken und Vorsitzender des derzeit auf Eis liegenden Untersuchungsausschusses zur Rolle der Staatsregierung bei der Aufklärung des Sachsensumpfes. 2002 hätten 60 Beamte des Landeskriminalamtes bei ihm und seinen Kollegen eine Razzia durchgeführt, die Daten seiner Informanten aus dem Diensthandy ausgelesen und in Akten reingeschrieben, die den Beschuldigten zugänglich waren. „Dann habe ich eine Frage“, sagte Bartl. „Vor allem wundere ich mich, dass der Polizist am Ende selbst als Angeklagter vor einem Richter steht, gegen den er früher ermittelt hat. Und der Senatsvorsitzende zeigt nicht mal die Größe, den Fall wegen Befangenheit abzugeben.“

Im tschechischen Grenzgebiet seien nach Erkenntnissen der dortigen Polizei 500 Kinder zur Prostitution missbraucht worden, meist durch Deutsche. „Während jeder Zigarettenschmuggel schon ab Prag observiert wird, scheint das niemanden zu interessieren. In Sachsen werden dem Projekt Karo, das sich als als einziger Verein um die Opfer des Frauen- und Kinderhandels kümmert, die Mittel gestrichen. Und dieselbe Staatsanwältin, die einst für ihre Erfolge im Dresdner Kinder-Porno-Prozess gefeiert wurde, steht plötzlich als durchgeknallte Verfassungsschützerin da, die mit acht Kollegen auf 15 600 Seiten nur heiße Luft gesammelt habe. Genau wie der Leipziger Polizist und seine Kollegen.“

Die am meisten gefährlichen Strukturen der Wirtschaftskriminalität seien in den 15 600 Seiten noch nicht mal enthalten, erklärte der Frankfurter Buchautor Jürgen Roth. Er empfinde es als merkwürdig, dass Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung und Messe-Chef Wolfgang Marzin im September im bulgarischen Plovdiv einen Vertrag mit der dortigen Messegesellschaft unterschrieben – obwohl deren Geschäftsführer nach Ansicht der deutschen Botschaft ein Drahtzieher der Wirtschaftskriminalität sei.

Einigkeit herrschte im Podium, dass der Untersuchungsausschuss des Landtags möglichst schnell seine Arbeit beginnen sollte. „Gerade die Verhinderung des Ausschusses erhöht die Wahlmüdigkeit“, warnte der Leipziger Strafverteidiger Stefan Costabel. Während schon mehrere Beschuldigte und sogar ein Journalist Akten zum Sachsensumpf einsehen konnten, werde dies den Ausschuss-Mitgliedern nach wie vor verweigert, kritisierte SPD-Mann Nolle. Dort sollten erst alle Mitarbeiter bis hin zur Sekretärin in der höchsten Sicherheitsstufe Ü3 überprüft werden, was neun Monate dauern könne und sonst nur für Spitzenmilitärs der Nato üblich sei. „Die heiße Luft der 15 600 Seiten ist offensichtlich das größte Staatsgeheimnis, das wir in Sachsen haben – oder wie soll man das erklären?“
Jens Rometsch