Karl Nolle, MdL

DIE ZEIT, 07.02.2008

Werdet laut und deutlich!

Es gibt nur eine Alternative zur kapitalistischen Ideologie: Den Demokratischen Sozialismus. Fünf Merkzettel für die SPD-Bundestagsfraktion
 
(leicht gekürzte Fassung einer Rede, die der Literaturnobelpreisträger Günter Grass am 11. Januar 2008 vor der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin gehalten hat)

Liebe in den Bundestag gewählte Sozialdemokraten! Lange ist es her: Im März 1971 sprach ich zum ersten Mal auf Einladung von Herbert Wehner und im Namen der Sozialdemokratischen Wählerinitiative vor der SPD-Fraktion. In mir klingt dieser Auftritt nach, als sei er vorgestern erregend aktuell gewesen. Im Alter drängt Fernentlegenes gern in den Vordergrund, zwingt Vergleiche auf, relativiert gegenwärtige Aufgeregtheiten und verführt den Redner zum Selbstzitat. Damals sagte ich »Niemand von uns zweifelt an Ihrem Leistungswillen. Wir ahnen Ihren Fleiß. Wir wissen, daß Reformarbeit erschöpfend sein kann. Wir kennen Ihre Leistungen, obgleich sich die SPD bemüht, die Leistungen der Sozialdemokraten verschämt zu verbergen und lieber von dem zu sprechen, was sich heute noch nicht, aber vielleicht in zehn Jahren realisieren läßt. Diese zermürbende Erfahrung hat mich zu folgender Erkenntnis gebracht: Ein Sozialdemokrat ist jemand, der nicht an seine Leistungen, sondern an seine Resolutionen glaubt.«

Damit bin ich bei meinem ersten Merkzettel, dem Streit um die Gesamtschule als Ganztagsschule. Ein Konzept, das mittlerweile in vielen europäischen Ländern erfolgreich in die Praxis umgesetzt wird. Seit Mitte der sechziger Jahre wird die Gesamtschule von Sozialdemokraten gefordert. Damals wie heute ging und geht es um Chancengleichheit, um einen für alle Kinder offenen Bildungsweg. Die Widerstände der Christdemokraten haben dieses Reformwerk behindert, blockiert, ideologisch bekämpft. Heute – und angesichts sozial spaltender Auswirkungen der bundesweiten Schulmisere – schwindet der Widerstand, wächst bei Eltern und Kindern der Wunsch nach Gesamtschulen, sind plötzlich die Christdemokraten bemüht, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, ja tut die CDU so, als sei dieses Schulmodell ihre ureigenste Erfindung; und die Sozialdemokraten sehen dem Etikettenschwindel fassungslos zu. Wie aufs Maul geschlagen. Selbstvergessen. Kapitulierend vor so viel Anmaßung und Frechheit. Sogar im Hamburger Grundsatzprogramm der SPD gibt man sich ganze sechs Zeilen lang allzu bescheiden: »Wir wollen die Ganztagsschule ausbauen als Ort des Lernens und des sozialen Miteinanders…«

Nein! Das ist zu wenig, zu zahm, zu geschichtslos! Für die Gesamtschule ist seit Willy Brandts Zeiten gekämpft worden. Dieses Reformwerk zeugt von der bildungspolitischen Leistungskraft der Sozialdemokraten. Laßt Euch nicht stehlen, was auf Eurem Mistbeet gehegt, gepflegt, schließlich gewachsen ist, werdet laut und deutlich: Nur durch Gesamtschulen als Ganztagsschulen wird Kindern aus allen Gesellschaftsschichten Chancengleichheit geboten, kann der Hoffnungslosigkeit in den Hauptschulen ein Ende bereitet werden, wird es den Kindern eingebürgerter Ausländer gelingen, dem sozialen Abseits zu entkommen. Nicht die Zwangspädagogik von Erziehungscamps als Notnagel ist vonnöten, sondern vorbeugend ein sozial gerechtes Bildungssystem, das von den Kindertagesstätten zur Gesamtschule führt, damit Schüler lernen, gewaltfrei miteinander umzugehen und als mündige Bürger gesellschaftsfähig werden.

Ob Roland Koch oder Lafontaine – an Demagogen mangelt es nicht

Diese sozialdemokratische Antwort auf eine der dringlichsten Herausforderungen unserer Zeit setzt leidenschaftliche Anteilnahme voraus. Ein Herbert Wehner ist uns nicht nachgewachsen. Doch von ihm zu lernen, Roß und Reiter beim Namen zu nennen, ist immer noch möglich, zumal es an Demagogen, mögen sie Koch oder Lafontaine heißen, nicht mangelt. Der eine gibt vor, Stimme der »schweigenden Mehrheit« zu sein, der andere benutzt die Dreckschleuder Bild-Zeitung, um sich an der SPD zu rächen. Solch scheinheilige Allianz ist mir allzu bekannt. Zwischen diesen Positionen bin ich alt geworden und notwendigerweise streitbar geblieben.

Drei Jahre nach meiner ersten Rede vor der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion hatte ich im März 1974 abermals Gelegenheit, wie es zuvor Heinrich Böll und Thaddäus Troll getan hatten, aus Sicht des engagierten Bürgers Bilanz zu ziehen. Ein Jahr und vier Monate nach der denkwürdigen Bundestagswahl im November 1972 schien der Reformeifer der sozialliberalen Koalition zu erlahmen. Zwei kurze Zitate aus meiner Rede sollen deutlich machen, worum es damals ging: »Ich frage: Soll etwa nun auch das große Reformvorhaben, ›die Mitbestimmung‹, mit eitel sozialdemokratisch schlechtem Gewissen bis zur Glanzlosigkeit zerredet werden?« Erklärend sei dazu gesagt, daß das Vorhaben Mitbestimmung dazumal nicht nur von der CDU/CSU und den Wirtschaftsverbänden, sondern auch jenseits der Mauer von der SED lautstark als Revisionismus bekämpft wurde. Dazu sagte ich vor der Fraktion: »Der demokratische Sozialismus darf nicht weiterhin aus der Klamottenkammer der Kommunisten und aus dem Fundus unserer Konservativen wechselseitig zum Schreckgespenst aufgeputzt werden; vielmehr sollte es Ihr offensives Bedürfnis sein, den demokratischen Sozialismus den Bürgern faßlich zu machen: als Alternative zu den zwei konservativen bis reaktionären Ordnungen, zum kommunistischen Staatskapitalismus – zum westlichen Kapitalismus der Kartelle.«

Mittlerweile existiert das leninistisch-stalinistische Zwangssystem nicht mehr, allenfalls als sich geläutert gebende Nachlaßverwaltung unter dem Namen PDS, die nunmehr als »Linke« firmiert und sich als Deckmäntelchen den Untertitel »Demokratischer Sozialismus« gestohlen hat. Frecher wurde wohl nie Geschichtsklitterung betrieben. Und die Sozialdemokraten haben sich diesen Diebstahl lange genug gefallen lassen, bis endlich auf dem Hamburger Parteitag der eigenen Tradition Genüge getan wurde: »Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.«

Die Distanz zwischen Arm und Reich wächst ins Unermeßliche

Ich will ergänzen: In einer Welt, in der die sich geradezu als unfehlbar feiernde Ideologie des Kapitalismus herrscht, indem er Marktwirtschaft vorgibt, doch Märkte vernichtet und Kapital verbrennt, in einer Welt also, in der durch ungehemmtes Profitstreben Arbeitsplätze gestrichen, Mindestlöhne unterboten werden und die Distanz zwischen Arm und Reich ins Unermeßliche wächst, angesichts dieser Allmacht ist die Alternative zum absolut herrschenden Kapital nur noch im Demokratischen Sozialismus zu finden.

Als Erbschaft der Arbeiterbewegung hat er sich immer wieder erneuern müssen. Ihn prägt kein Dogma. Der Weg ist ihm Ziel. Ständig bedarf er der Revision. Demokratische Sozialisten sind gelernte Revisionisten. Weshalb die Agenda 2010 und in ihr Hartz IV, weil von Menschenhand geschaffen und deshalb fehlerhaft, auf Revision angewiesen sind. Nur dank dieser Fähigkeit konnte der Demokratische Sozialismus Verbot und Verfolgung überleben. Grund genug besteht also, aus solchen Tradition Kraft zu schöpfen und den vielberufenen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit erneuerter Stärke zu begegnen.

Diese sind vielgestaltig: Gegen Ende des letzten Jahrhunderts konnten die Teilung Deutschlands, die Spaltung Europas, zumindest was den Wegfall der Grenzen betraf, beendet werden; doch der territorialen Einheit Deutschlands fehlt die soziale Einigung; und das größer gewordene Europa darf nicht zur bloßen Markterweiterung verkommen, vielmehr ist ein Europa wünschenswert, das sich auf der Grundlage seiner wirtschaftlichen Stärke einer Sozialcharta verpflichtet und das nach außen hin nicht zur Festung erstarrt.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts wurden auch globale Veränderungen unübersehbar. Zum einen die demoskopische Entwicklung mit gegensätzlichen Tendenzen: der einerseits bedrohlich wachsenden Weltbevölkerung und dem andererseits fehlenden Nachwuchs in den Industriestaaten Europas, besonders in Deutschland. Parallel dazu kann die durch Schadstoffe bewirkte Klimaveränderung nicht mehr geleugnet werden. Das Hamburger SPD-Programm stellt dazu fest: »Dieses Jahrhundert wird entweder ein Jahrhundert des sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Fortschritts sein, der allen Menschen mehr Wohlfahrt, Gerechtigkeit und Demokratie eröffnet. Oder es wird ein Jahrhundert erbitterter Verteilungskämpfe und entfesselter Gewalt sein.«

Gegenwärtig sieht es so aus, als könnte die letzte Prognose zum Dauerzustand werden. Einer wachsenden Zahl von Krisen und Kriegsgebieten im Nahen Osten und in Afrika entspricht das schwächliche Verhalten der westlichen Demokratien, die zwar die Bedrohung durch Terrorismus beschwören, doch den zunehmenden Verlust ihrer Glaubwürdigkeit hausgemachten Verfallserscheinungen verdanken.

Damit bin ich bei meinem zweiten Merkzettel und einem Thema, das besonders den frei gewählten Abgeordneten des Bundestags vertraut sein sollte. Ich spreche vom Einfluß der Lobby auf die Parlamente. Ob es die Pharmaunternehmen, die Banken oder die Autofirmen sind, ihre geballte Macht, die weder von der Verfassung noch vom Volk, dem eigentlichen Souverän, legitimiert ist, bestimmt bis in die Gesetzgebung hinein die Politik. Die Interessen der Lobbyisten schlugen durch, als es um die Gesundheitspolitik ging. Sie maßten sich das letzte, in der Regel verhindernde Wort an, als Schadstoffbegrenzungen festgelegt werden sollten. Sie und ihre Klientel in den Parlamenten blockierten den Versuch einer wirksamen Bankenaufsicht und Kartellkontrolle. Sie sind der Staat im Staate. Und was faul stinkt im Staate, sind sie. Sie, ungewählt, doch mit der Macht des Kapitals ausgestattet, verkörpern den ärgsten Feind der Demokratie. Ihr, der Lobby, ist keine Bannmeile gesetzt. Asoziale Managergehälter und allerorts wuchernde Korruption sind die Begleiterscheinungen des Lobbyismus.

Wen wundert es angesichts dieser Mißstände, wenn immer weniger Bürger bereit sind, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, weil die Vermutung »Was in der Politik läuft, wird nicht im Parlament, sondern in den Chefetagen bestimmt« tagtäglich Bestätigung findet? Ärger kann man einer Demokratie kaum schaden. Keine Rechts- oder Linksradikalen haben das Potential, sie derart zu schädigen. Doch unser Verfassungsschutz jagt lieber Phantomen hinterdrein und verlangt nach Gesetzen, die die Freiheit der Bürger immer mehr einengen, läßt aber die verfassungswidrige Beeinflussung der Parlamente unbeachtet. So wird Demokratie zur Farce. So offen bekundet der Staat seine Ohnmacht. So unbehindert vollzieht sich der Abbruch des demokratischen Gehäuses von innen.

Das alles ist wohlbekannt. Und doch wird der Verlust von Glaubwürdigkeit der Demokratie wie ein nicht abzuwendendes Schicksal hingenommen. Als Freigewählte vertrauten Ihnen die Bürger auf Zeit ein Mandat an. Machen Sie Gebrauch davon. Das Gebäude des Bundestages ist das Haus der Demokratie. Erteilen Sie der Vielzahl wieselnder Lobbyisten von morgen an Hausverbot.

Die Angehörigen meiner Generation, die das Kriegsende als früh gealterte Kinder, ich als 17-Jähriger, erlebten, sind mit unserer Demokratie erwachsen geworden. Harte Lektionen wurden uns erteilt. Die uns von den Siegern verordnete Demokratie sollte Eigenleben gewinnen. Aus Trümmern, beladen mit Schuld und bleibender Schande gewiß, machten wir uns an die Arbeit. Etwas Neues sollte entstehen.

Meine, des Schriftstellers Hinwendung zur Politik bereitete sich während eines längeren Aufenthaltes in Frankreich während der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vor. Doch erst zu Beginn der sechziger Jahre, zurück in Berlin, als die Mauer gebaut und Willy Brandt zum ersten Mal für das Amt des Bundeskanzlers kandidierte, ergriff ich Partei, verließ ich auf Zeit Stehpult und Manuskript und begriff sich der Schriftsteller zugleich als Bürger, der seine demokratischen Rechte als Pflichten wahrnehmen wollte. So kam es, daß ich von Mitte der 60er Jahre an bei vielen Wahlkämpfen, wenngleich nicht Mitglied der SPD, dennoch dabei war.

Das Elend ist der Nährboden für Gewalt und Terror

Viele Politiker jener Zeit sind mir unvergeßlich geblieben: Fritz Erler, Adolf Arndt, Käte Strobel, Heinz Kühn, doch besonders viel verdanke ich Willy Brandt. Von ihm war zu lernen, daß sich pragmatisches Handeln und politischer Weitblick nicht ausschließen müssen. Seine Deutschlandpolitik der »kleinen Schritte« ebnete der deutschen Einheit den Weg. Er hat inmitten des Kalten Krieges und trotz der Blockadehaltung seiner Gegner für Entspannung gesorgt und damit Voraussetzungen für zukünftiges Geschehen bewirkt.

Wie kein anderer Politiker hat Willy Brandt nach seiner Amtszeit als Bundeskanzler eine global wirksame Politik gefordert. Ich spreche vom Nord-Süd-Bericht, den er Mitte der siebziger Jahre im Auftrag der UNO verfaßte. Damals hatte die Bestandsaufnahme wachsender Diskrepanz zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden nur Kopfnicken zur Folge. Seine Forderung nach einer Weltinnenpolitik verhallte. Selbst seine Partei war nicht zu bewegen. Doch wer heute diesen Bericht aufschlägt, der erkennt, daß Willy Brandt frühzeitig die gegenwärtig durchschlagenden Folgen damaliger Versäumnisse beim Namen genannt hat. Seine Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die es den Staaten der sogenannten Dritten Welt erlaubt, gleichberechtigt mit den Industriestaaten des Nordens Handel zu treiben, ist, wie das letzte Gipfeltreffen bewiesen hat, wiederum nicht aufgegriffen worden.

Damit bin ich bei meinem dritten Merkzettel: Aufgabe der Sozialdemokraten ist es, die von Willy Brandt eröffnete Perspektive als Richtlinie für ihr Handeln zu erkennen. Das heißt: Wer den Terrorismus eindämmen, schließlich beenden will, der sollte den Nord-Süd-Bericht zur Hand nehmen und in Armut, in Hungerstatistiken und in nachkolonialer Bevormundung und Demütigung die Ursachen für Gewalt und den allein durch militärische Gegengewalt nicht zu brechenden Terror erkennen.

Im Hamburger Programm der SPD finden sich Andeutungen in diese Richtung, doch kein Hinweis darauf, daß ein Sozialdemokrat die Ursachen für das gegenwärtige Desaster benannt und Wege aufgezeigt hat, auf daß dem Elend als Nährboden für Gewalt ein Ende bereitet wird. Willy Brandts Rede, gehalten noch als Bundeskanzler vor den Vereinten Nationen, mündete in den Satz: »Auch Hunger ist Krieg!« Sein Ausruf wurde vom Beifall erschlagen. Mehr geschah nicht.

Wenden wir uns wieder der gegenwärtigen Schieflage zu. Vor fünf Jahren veröffentlichten Daniela Dahn, Johano Strasser und ich ein Buch unter dem Titel In einem reichen Land. Mit einer Vielzahl von Beiträgen aus den Federn ost- und westdeutscher Autoren wurde von der sozialen Ausgrenzung sogenannter Randgruppen, vom Entstehen einer Klassengesellschaft berichtet, so auch von der damals schon erkennbaren Kinderarmut in einem reichen Land. Unser Buch wurde weitgehend ignoriert. Heute ist die Schande offenbar. Und wo sich ein Mikrofon anbietet, wird »vom Wohl des Kindes« gefaselt und »zum Hingucken« aufgefordert.

Der Staat muss die Drift in die Klassengesellschaft verhindern

Doch der Blick auf die uns alle beschämenden Zustände reicht nicht. Handeln ist gefordert. Von Anbeginn, zu Bebels Zeiten, als der 12-Stunden-Tag Regel war, hat die SPD gegen Kinderarbeit in Bergwerken und Fabriken gekämpft. Allein aus dieser Tradition leitet sich mein vierter Merkzettel ab: Bereitet der Not der Kinder in unserem so reichen und doch kinderarmen Land ein Ende. Nicht die wie blindlings geplante Erhöhung von finanziellen Zuwendungen wird Abhilfe schaffen, wohl aber wäre die kostenlose und flexibel gestaltete Ganztagsbetreuung noch nicht schulpflichtiger Kinder eine wirksame Entlastung besonders der Alleinerziehenden.

Diese Fürsorge darf nicht nur den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, etwa der Arbeiterwohlfahrt und dem Arbeitersamariterbund, aufgebürdet bleiben; vielmehr ist der Staat verpflichtet, das Abdriften in eine Klassengesellschaft zu verhindern, und sei es, indem er durch eine besonders die irrational angereicherten Großvermögen mindernde Abgabe zum Wohl der Kinder den Ausgleich der schiefen Vermögensschichtung bewirkt und zugleich die Schande der Kinderarmut beendet.

Sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich mit einem fünften Merkzettel für die Künstler ein Wort einlege. Wir, die Maler, Bildhauer, Musiker, Schriftsteller und deren Übersetzer, sind als Urheber eines gesetzlich erweiterten Schutzes bedürftig. Der Macht der Pressekonzerne, Computerriesen, der Rundfunk- und Fernsehanstalten, der Verlage, also all jener, die unsere primäre Leistung sekundär nutzen, stehen wir in zunehmendem Maße schutzlos gegenüber. Die Entwicklung der neuen Medien führt zum Mißbrauch unserer Rechte. Was nach der Erfindung des Buchdrucks Raubdrucke zur Folge hatte, wiederholt sich heutzutage auf vielfältige Weise. Wir werden bestohlen. Kopierwut greift um sich. Ein Wust von Fachausdrücken im grässlichsten Neudeutsch belegt diese Raubpraxis.

Als Nachtrag drängt sich ein letzter Merkzettel auf: Das Jahr 2008 wird uns Gelegenheit geben, den vierzig Jahre zurückliegenden Studentenprotest zu reflektieren. In etlichen Medien hat die Abrechnung mit den 68ern bereits begonnen. Einige, die sich vormals weit links wähnten, haben sich mittlerweile zum rechten Lautverstärker entwickelt. Allerorts, bis in die Spalten sich seriös gebender Tageszeitungen hinein, macht die Bild-Zeitung Schule.

Nein, der Protest der Jugend damals war überfällig, notwendig und hat die Bundesrepublik aus ihrer restaurativen Erstarrtheit befreit. Damals habe ich diesen Protest mit Sympathie, aber auch mit Kritik an der pseudorevolutionären Rhetorik einiger seiner Wortführer begleitet. Politiker wie Gustav Heinemann und Willy Brandt haben sich damals nicht vom gängigen Kampagne-Journalismus der Springer-Presse hinreißen lassen, vielmehr haben sie Antwort gegeben. Den Aufruhr, der sich am nahbei spürbaren Bildungsnotstand an Schulen und Universitäten und am fernen Vietnamkrieg entzündet hatte, konnte keine polizeiliche Knüppelgewalt beschwichtigen. Als Herausforderung verlangte er nach politischen Antworten.

Angesichts der gegenwärtigen Situation und im Hinblick auf die krisengeschwängerte Zukunft ist abermals ein Protest der Jugend wünschenswert, weil überfällig und notwendig. Auch der SPD könnte eine solche Herausforderung auf die Sprünge helfen.