Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 20.02.2008
Ex-Banker auf der Sonneninsel
Besuch bei Michael Weiss, einer Schlüsselfigur der Landesbank-Affäre. Für Aufklärer und Ermittler ist er auf Zypern heute nur noch schwer greifbar.
Der Weg hinauf ist schwer zu finden. Kein Straßenschild, kein Hinweis. Einspurig schlängelt sich die schmale, steile Strecke die Anhöhe hinauf. Aus dem steilen Hang lösen sich ab und zu kleine Steine, die über den staubigen, schiefen Asphalt kullern. Kurz darauf belohnt ein kleines Plateau auf der Anhöhe mit einem weiten Blick über das tiefblaue Meer und das Urlaubsparadies Paphos auf Zypern. Dort, wo an 340 Tagen im Jahr die Sonne scheint, auch jetzt im tiefsten Winter.
Gut versteckt, am Ende der kleinen Millionärssiedlung mit nur vier Luxus-Villen liegt das Haus, das wir suchen. Das Grundstück ist von der Straße aus uneinsehbar. Das L-förmige Gebäude, leicht geduckt wie ein Bungalow, mit Natursteinen an den Außenwänden, fügt sich ein in die herbe Landschaft. Keine Protzvilla wie die anderen Gebäude der VIP-Siedlung in den Bergen von Paphos. Eher ein Bau des unaufälligen Luxus.
Von unten wirkt das Haus wie eine Festung, in Beton gegossen auf der Anhöhe. Mit unverbaubarem Blick auf die Berge, ins Tal, auf die Weite des Meeres, soweit das Auge reicht, und jeden Tag ein schönerer Sonnenuntergang als am Abend zuvor. „Weiss/Braun“ – das Klingelschild liest sich im rötlichen Licht des gerade zu Ende gehenden Tages wie eine kleine Farbpoesie.
Skandalpärchen der Bank
Hier wohnen Michael Weiss und Andrea Braun. Sie galten vor drei Jahren als das Skandalpärchen der Landesbank. Er, der Vorstandsvorsitzende der einst so stolzen Sachsen Landesbank;sie, zunächst einfache Bank-Mitarbeiterin, dann Personalchefin und seine Lebensgefährtin und weiter ging es zum Vorstandsposten der Landesbank-Tochter Mitteldeutsche Leasing AG (MDL). Beide zunächst ein erfolgreiches Manager-Paar.Dann kurz nacheinander abgestürzt ins berufliche Nichts. Sie fristlos gekündigt, er im Februar 2005 suspendiert; ein ehrloser Abgang für einen Banker. Aber einer mit versöhnlich-goldener Brücke: Bis September 2007 kassierte Weiss sein Gehalt weiter – mehrere Hunderttausend Euro.
Michael Weiss, ein teurer „Spaziergänger“ auf Staatskosten. Wenn es dem Verwaltungsrat der Bank auch schwerfiel – er musste sich damit abfinden. Einen Grund, den langen Abschied des heute 63-Jährigen Bankers zu verkürzen, fanden sie nicht. Dafür haben die Aufklärer und Ermittler im fernen Dresden nicht nur mit Weiss, sondern vor allem mit Andrea Braun ihre liebe Müh‘. Gegen die Ex-MDL-Chefin erwägt die Staatsanwaltschaft Dresden derzeit, einen Haftbefehl zu beantragen. Schon jetzt hat die Behörde einen Fahndungsaufruf gestartet.
Beginn einer Dauer-Affäre
Es begann vor mehr als vier Jahren. Damals geriet die Landesbank Sachsen auf die schiefe Ebene. Seitdem ist sie nicht wieder aus den Schlagzeilen gekommen. Es ist der fatale Einstieg in einen Abstieg der einstigen kleinen, ostdeutschen Vorzeigebank zur Skandalbank, einem „Intrigenstadl“ der Lächerlich- und Peinlichkeiten. Bei der die Politik versagt hat, nicht früh genug gegengesteuert hat, stattdessen die Dinge hat laufen lassen, bis sie ganz aus dem Ruder gelaufen waren.
2004 hatte die Dauer-Affäre um Sachsens Landesbank begonnen. Mit einem Mercedes 600, samt Anhängerkupplung – für Weiss, den passionierten Segler auch privat eine nützliche Einrichtung. Alles im rechtlichen Rahmen, hat Weiss stets betont. Alles andere zählt für den smarten Banker nicht; auch nicht, dass in Sachsen kein anderer Landesbediensteter außer ihm in einem rund 140000 Euro teuren, wenn auch geleasten Dienstwagen durch die Lande fuhr; nicht einmal Weiss‘ engster finanzpolitischer Weggefährte, der damalige Finanzminister und heutige Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) tat das. Gemeinsam bauten sie die einzige, ostdeutsche Landesbank auf; eine Mini-Bank, aber eben eine eigenständige Landesbank. Damals glaubte man noch, dass jedes Bundesland so etwas brauche. Die Zusammenführung der Sparkassen, die Bündelung in der Finanzgruppe – Weiss und Milbradt legten die Grundlagen. Auch die Gründung der Bank-Tochter in Dublin fällt in Weiss’ und Milbradts Amtszeit. Sie überhob sich im vergangenen Jahr mit riskanten Auslandspapieren und trieb schließlich fast die gesamte Bank in die Pleite.
Weiss‘ damalige Lebensgefährtin Andrea Braun machte damals steile Karriere in der Landesbank. Als „Mätressenwirtschaft“ kritisierte der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle das Treiben scharf. Doch die Politik, vor allem die zuständigen Finanzminister, duldeten es und ignorierten die mehr als atmosphärischen Störungen im Betriebsklima der Bank. Nach SZ-Recherchen hatte Weiss wegen der umstrittenen Personalie Braun sogar seinen eigenen Rücktritt angeboten – doch es geschah nichts. Weiss und Braun blieben.
Das Fass zum Überlaufen brachte erst die Rückdatierung eines aktienrechtlich vorgeschriebenen Dokuments in Bezug auf die MDL; eine Affäre, in der auch der Name von Andrea Braun auftaucht. Es kommt zur Bankdurchsuchung inklusive Hausverbot gegen Michael Weiss bei der Landesbank. Auch die hartnäckige Rückendeckung von Milbradt für Weiss kann da den Banker nicht mehr retten. Doch auch nach Weiss’ Rauswurf tobt der Streit im „Intrigantenstadl Landesbank“ weiter – über Jahre und mehrere Gerichtsverfahren hinweg geht es um den Wert der MDL-Anteile.
Die genauen Umstände des von der Regierung handwerklich verpatzten „Rausschmisses“ von Weiss sind bis heute nicht restlos geklärt. Dafür notwendige Dokumente hält die Staatsregierung mit Verweis auf rechtliche Bedenken weiter unter Verschluss.
Von Leipzig nach Zypern
Weiss und Braun verließen damals ihr Leipziger Domizil und gingen in den griechischen Teil der Mittelmeerinsel Zypern. Mittlerweile sind sie verheiratet, erwarten das zweite Kind. Heute steht unter dem langen, weißen Carport neben dem neuen Familienheim nicht mehr ein teurer Mercedes, sondern ein klotziger türkisblauer Pickup, geländegängig mit Allradantrieb; daneben ein familientauglicher Mittelklassewagen. Dahinter hängt eine Frau die Wäsche auf. Im Garten mit Palmen bietet ein Pool Spaß und Entspannung. Und ein paar am nahen Hang vorüberziehende Ziegen liefern mit ihren Glöckchen um den Hals die passende Begleitmusik zum kleinen Idyll.
Abgeschlossen sei das alles für ihn, winkt Michael Weiss freundlich, aber bestimmt ab, als wir ihn über das schwere stählerne Gartentor hinweg ansprechen. Locker steckt er die Hände in die Hosentaschen. Die strenge Banker-Anzugsordnung von einst ist dem typischen Urlaubslook auf der Sonneninsel gewichen. Schwarzes Designer-T-Shirt, weiße Sommerhose, lässige Flip-Flops. Ein weißer Drei-Tage-Bart rund um das braungebrannte Gesicht hat den akurat rasierten Schnurrbart von früher abgelöst. Ein Banker im sonnigen Vorruhestand. Einer, der nicht mehr reden will, über das, was geschehen ist; auch, wenn es noch längst nicht abgeschlossen ist. „Der 1. März 2005, da war für mich Schluss“, betont Weiss. Jetzt sei er nur noch Privatmann, wiegelt er ab. Und reden will er nicht mehr über die „alten Geschichte“. Weiss war schon damals der Ansicht, Opfer einer Kampagne zu sein, fühlte sich verfolgt.
Nicht seine Ehre, sondern seinen Geldbeutel verteidigt Michael Weiss heute noch vor Gericht:Er kämpft noch immer um eine ihm seiner Meinung nach zustehende Gewinnbeteiligung für das Geschäftsjahr 2005. Es geht um rund 110000 Euro. Die Entscheidung des Landgerichts Leipzig steht noch aus. Das Ganze wirkt wie eine Farce, wenn man bedenkt, dass die Landesbank mittlerweile fast pleiteging, inzwischen verkauft ist.
Andrea Braun kämpft bis heute, inzwischen vor dem Landesarbeitsgericht in Chemnitz, gegen ihre fristlose Kündigung bei der MDL und das in ihrem Vertrag verbriefte Rückkehrrecht zur Landesbank. Eine zwischenzeitlich angebotene „Abfindung“ von 100000 Euro hatte sie abgelehnt.
Umgekehrt hat auch die Staatsanwaltschaft noch nicht das Interesse an Andrea Braun verloren. Sie hatte Braun angeklagt wegen Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage im Falle der Rückdatierung der aktienrechtlich vorgeschriebenen Mitteilung. Doch das Amtsgericht Dresden, das dazu verhandeln wollte, hat ein kleines Problem: Es hat keine ladungsfähige Adresse von Andrea Braun. Die Angeklagte erschien gar nicht erst zur Verhandlung in Dresden. Das Verfahren wurde vor wenigen Wochen eingestellt – vorläufig. Oberstaatsanwalt Christian Avenarius ist darüber empört. „Es gibt keine Sonderrechte für Banker“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden. So will die Behörde das nicht auf sich beruhen lassen. „Wir erwägen derzeit, einen Haftbefehl für Frau Braun zu beantragen.“Offiziell wird inzwischen nach ihr gefahndet – jeder Grenzübertritt müsste an die Justiz gemeldet werden.
Aufklärung im Landtag
Dabei könnte sich die Behörde bei der Adress-Suche auf Zypern übrigens mit dem Untersuchungsausschuss des Landtags zusammentun. Auch der tut sich schwer, nicht nur mit der Aufklärung der jahrelangen Affäre, sondern schon mit der fristgerechten Vorladung der gewünschten Zeugen. Erst fast drei Jahre (!) nach der Nacht-und-Nebel-Ablösung von Weiss von seinem Vorstandsposten, wollte das Aufklärungsgremium den Ex-Banker Ende Januar zur Befragung in Dresden sehen. Doch die Vorladung, die nach SZ-Informationen kurz vor Weihnachten durch die Deutsche Botschaft auf Zypern zugestellt werden sollte, kam bei den gewünschten Adressaten nie an. Die Zeugen-Befragung fiel aus.
Er wäre ja vielleicht zum Untersuchungsausschuss des Landtags zur Landesbank angereist, sagt Weiss. „Aber ich habe gar keine Vorladung erhalten“, begründet er sein Fernbleiben. Drei Jahre lang hatten sich die Landtagsabgeordneten in dem Aufklärungsgremium nicht für die Aussagen von Weiss, einer Schlüsselfigur für alle Landesbank-Affären, interessiert. Ob er noch einmal geladen wird, darüber ist noch nicht entschieden. Und ob er überhaupt noch käme?
Keine Ermittlung gegen Weiss
Hätte Weiss nicht gehen müssen, wäre die Landesbank im vergangenen Jahr vielleicht nicht so in Schieflage geraten? Das fragt sich derzeit mancher in Dresden; zum Beispiel auch die Wirtschaftsprüfer der renommierten Kanzlei von Ernst & Young. Die Landesregierung hatte sie im Herbst damit beauftragt, die Ursachen der Fast-Pleite der Landesbank aufzuklären. Michael Weiss steht ebenfalls auf ihrer Liste von Gesprächspartnern. Die Prüfer wollen wissen, wer, wann, was gewusst hatte und hätte gegensteuern müssen.
Nach SZ-Recherechen dürfte Michael Weiss aber kaum eine Mitschuld an dem Bank-Debakel im vergangenen Jahr nachzuweisen sein. Die entscheidende Weichenstellung zur fatalaen Ausweitung des hochriskanten Auslandsgeschäfts bei der Landesbank-Tochter in Dublin fielen nach bisherigem Kenntnisstand offenbar erst ein paar Wochen nach seinem Rauswurf. Andere, die nach Weiss die Führung der Landesbank übernahmen, müssen mehr zittern als er, irgendwann einmal für das Milliarden-Desaster verantwortlich gemacht zu werden, vielleicht sogar persönlich haften zu müssen für einen Teil des Scherbenhaufens. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt bereits seit einigen Monaten wegen des Verdachts gegen Untreue – doch nicht gegen Weiss.
Als Zeuge vor dem Landgericht
Mindestens einmal wird Michael Weiss aber noch vor einem sächsischen Gericht erscheinen müssen. Sein früherer Vorstandskollege Rainer Fuchs klagt noch immer vor dem Landgericht Leipzig wegen der Umstände seiner Suspendierung im Frühjahr 2005. Weiss soll Mitte März als Zeuge zur Verhandlung vor dem Landgericht Leipzig gehört werden. Die Reise in das schon frühlingshafte Deutschland dürfte Michael Weiss dann nicht mehr so schwerfallen. Der im Winter geschlossene internationale Flughafen von Paphos ist dann längst wieder in Betrieb. Und er liegt nur wenige Kilometer entfernt von der Traumvilla in den Bergen.
Von Annette Binninger