Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 15.04.2008
Abgang in vier Minuten
Nach zähem Ringen mit sich und seiner CDU endet die Ära von Regierungschef Milbradt in Sachsen
Dresden. Es war ein bitterer letzter Gang gestern Mittag in der Staatskanzlei. Punkt 12 Uhr betrat ein auffällig lächelnder Georg Milbradt (CDU) die Englische Bibliothek in der Regierungszentrale an der Elbe, umringt von einigen wenigen Getreuen. Schnell schritt er ans Rednerpult, direkt unter die Ahnengalerie mit den ehemaligen sächsischen Regierungschefs. Und während er sich noch zu sammeln versuchte, schaute ihm ein gnädig lächelnder Kurt Biedenkopf (CDU) über die Schulter – ein Bild von Milbradts Vorgänger im Amt.
Was Milbradt dann zu sagen hatte, war in vier Minuten getan. Er habe sich entschlossen sein Amt niederzulegen, sagte er fest in die laufenden Kameras, als Nachfolger schlage er Finanzminister Stanislaw Tillich (CDU) vor. Es folgten noch ein paar Worte zur Koalition mit der SPD und zu dem, was man einen „geordneten und harmonischen Übergang“ nennt. Dann war der letzte Akt vollzogen. Das war’s, Nachfragen waren nicht vorgesehen. Hastig schritt Milbradt das Spalier der Fotografen ab, und schon war er aus dem Saal verschwunden – das kurze, harte Ende einer außergewöhnlichen Polit-Karriere in Sachsen.
Gegen „König Kurt“
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Milbradt gehen musste. 2001 war es, als ihn Biedenkopf unsanft aus dem Kabinett befördert hatte und ihn, den Ex-Stadtkämmerer von Münster, so zum Ex-Finanzminister im Freistaat degradierte. Doch Biko hatte die Rechnung ohne Milbradt gemacht. Jedem, der Milbradt in jenem Frühjahr auf der Terrasse seines Hauses am Elbhang von Dresden besuchte, vermittelte er unmissverständlich: Ein Sauerländer wie er gibt nicht auf, im Gegenteil. Er hat Steherqualitäten und werde es allen noch beweisen – zur Not auch gegen „König Kurt“.
Eben dies ist ihm in den zwölf Monaten danach gelungen. Mit strategischer Raffinesse ließ er das CDU-interne Biedenkopf-Lager ins Leere laufen, wurde im April 2002 tatsächlich dessen Nachfolger. Damit war Sachsens Regierungschef nicht länger ein Mann mit dem Weihe-Image eines „König Kurt“, sondern ein nüchterner Zahlenmensch ohne Allüren: Georg Milbradt, am 23. Februar 1945 in Eslohe geboren, Finanzprofessor.
Das dürfte wohl einer der glücklichsten Momente im politischen Leben des Volkswirts gewesen sein. Denn das Meiste von dem, was danach kam, war weniger erfreulich. Dabei war die Jahrhundertflut 2002 noch allemal eine Gelegenheit, wo Milbradt sein Talent als Krisenmanager in Extremlagen unter Beweis stellen konnte. In der Union aber war sein Stand ein anderer: Der Mann mit dem Königsmörder-Image wurde meist nur gelitten, nie geliebt. Und im politischen Alltag erwies er sich oft genug als brummig und wenig kompromissbereit – das Gegenteil von dem, was der Harmonie- und Königssehnsucht einer von Biedenkopf verwöhnten Sachsen-CDU genügen konnte.
Dabei hat Milbradt einige Vorzüge. Direkt ist er, im kleinen Kreis wirkt der Unnahbare geradezu kumpelhaft. Und seine Finanzpolitik hat Sachsen sowieso zu dem gemacht, was es auch ist: zum Klassenprimus Ost. Das aber hat Milbradt nicht vor den politischen Untiefen seiner Amtszeit bewahrt. Besonders bitter war das Wahljahr 2004. Satte 16 Prozentpunkte büßte die Union unter seiner Führung ein, verlor die absolute Mehrheit und musste mit dem zweiten Wahlverlierer, der SPD, ein ungeliebtes Zweckbündnis eingehen.
Hinzu kam, dass die rechtsextreme NPD erstmals seit dutzenden Jahren wieder in einen Landtag einziehen konnte, in Milbradts Landtag. Damit war dessen Leidensweg noch nicht beendet. Als sei es darum gegangen, ein Polit-Drama endgültig an ihm zu vollziehen, verweigerten ihm einige seiner eigenen Abgeordneten im Herbst 2004 die Gefolgschaft und gaben einem Rechtsextremisten ihre Stimme. So wurde Milbradt erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt – eine persönliche Demütigung und ein Polit-Desaster zugleich.
Rücktritte der Getreuen
Entsprechend einsam wurde es um den Glücklosen. Von den CDU-Getreuen der frühen Jahre war zuletzt keiner mehr übrig im Kabinett: Sozialministerin Christine Weber musste 2003 gehen, Innenminister Horst Rasch ein gutes Jahr später. Dann traf es Finanzminister Horst Metz sowie Staatskanzleichef Hermann Winkler, seinen alten Verbündeten aus den Kampftagen gegen Biko.
Zum wirklichen Fiasko für Milbradt aber wurden erst die letzten zwölf Monate seiner Amtszeit. Erst war es die Affäre um Geheimakten des Verfassungsschutzes, die sein Image als Krisenmanager heftig ankratzte, dann kam es zum finalen Szenario: Angefeuert von der Kritik des SPD-Manns Karl Nolle ramponierte die De-facto-Pleite der Landesbank seinen Ruf als Finanzfachmann bundesweit. Da waren seine Privatgeschäfte bei der SachsenLB nur noch Polit-Folklore.
Damit gab es kein Halten mehr. Ohne Rückendeckung seiner Parteifreunde von unten, ohne Achtung von der Bundespartei von oben, blieb nur das Ende, so oder so – „freiwillig“ oder, wie im Falle von Biedenkopf, halt nicht. Milbradt hat sich zähneknirschend in allerletzter Minute zur ersten Variante durchgerungen. Entscheidenden Anteil daran hatten neben der Bundes-CDU sowie Sachsens Fraktionschef Fritz Hähle jene, die die Sachsen-Union nun in der Ära nach Milbradt dominieren werden: Landesvize Steffen Flath, Kanzleramtschef Thomas de Maizière, Generalsekretär Michael Kretschmer (alle CDU) – und Tillich natürlich.
Für Milbradt ist das mehr als bitter. Sein großes Ziel, das Auswetzen jener Scharte, die die verlorene Landtagswahl 2004 hinterlassen hat, ist ihm missglückt. Nun dürfte er sich erstmal von der landespolitischen Bühne zurückziehen. Und ob es ihm jemals gelingen wird, das Landesvater-Image eines Ministerpräsidenten a. D. wie Biedenkopf zu erlangen, ist fraglich. Denn der war ein Regierungschef des Aufbaus, Milbradts Zeit dagegen fiel in eine Phase des Schwunds. Übergangs-Ministerpräsident nennt man das gemeinhin.
von JÜRGEN KOCHINKE