Karl Nolle, MdL
www.juergen-roth.com, 26.04.2008
DER SACHSENSUMPF
ABGESANG AUF ZIVILCOURAGE VON POLITIK UND GESELLSCHAFT?
Im europäischen Fussball gibt es weder Wettbetrug noch werden Spiele geschoben. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Siemens, Heinrich v. Pierer (Berater von Gerhard Schröder und Angela Merkel!), wusste und weiß nichts über schwarze Kassen und Schmiergeldzahlungen in Milliardenhöhe bei Siemens, und in Sachsen ist die Welt auch in Ordnung. Am Dienstag wird im Landtag von Dresden verkündet werden: es ist nichts dran am sogenannten Sachsensumpf. Eine Luftblase war es. Eine bösartige Kampagne. Einige einschlägig bekannte Journalisten werden triumphieren – haben sie es doch schon von Anfang an gewusst. Augen zu, Ohren zu und zu Diensten sein - das heißt Anerkennung und Aufstieg. In den schweren Zeiten des Konkurrenzkampfes ist das durchaus verständlich.
Unheimlich gründlich ermittelten in den letzten Monaten die Wächter des sächsischen Rechtsstaats völlig unabhängig, also ohne politische Vorgaben versteht sich. Sie haben viele, viele Zeugen vernommen, ihnen geduldig zugehört, sie natürlich nicht verbal unter Druck gesetzt, auch nicht mit offensichtlichen Unwahrheiten konfrontiert, um sie in ihrem Aussageverhalten zu beeinflussen. So in der Art: „Wie kommen Sie dazu diesen Mann zu beschuldigen. Er hat einen Selbstmordversuch deshalb begangen. Können Sie das verantworten?“ Selbstredend gibt es keine Zeugen, die alleine deshalb einen Nervenzusammenbruch bekommen haben, wenn sie bestimmte Stimmen der Sachsensumpfaufklärer hörten. Also das gibt es natürlich nicht. Und deshalb haben auch keine Zeugen, in Tränen aufgelöst, die Vernehmung in Dresden verlassen. Zeugenbeeinflussung gibt es bekanntlich nur irgendwo in Russland oder China. Haben einige Quellen des Verfassungsschutzes gegenüber Staatsanwälten einfach die Aussage verweigert? Selbstverständlich nicht. Ihnen wäre doch nie etwas geschehen, hätten sie offen ausgesagt. Vielmehr könnten sie sich der Fürsorge von Polizei und Justiz hundertprozentig sicher sein. So sicher wie die Parlamentarische Kontrollkommission alle Akten erhalten hat, auch Quellenakten.
Denn nur die Wahrheit und nichts anderes als die Wahrheit wollten die Staatsanwälte in Sachsen herausfinden. Die einstigen Verfassungsschützer (glücklicherweise wurden sie versetzt oder sind krank) stehen nun vor einem Scherbenhaufen. Ihre gesamte, vom Steuerzahler finanzierte Arbeit, war nicht nur umsonst. Nein, es war eine Schmutzkampagne unfähiger Beamter und Beamtinnen. Ein Glück, dass man das jetzt aufgrund der vorbildlichen ergebnisoffenen Ermittlungen endlich bestätigt bekommt. Die Überlegung was sie herausgefunden hätten, wären sie in der Lage gewesen, zu Ende zu ermitteln – die erübrigt sich jetzt.
Ja, ja – so geht es eben zu im glücklichen Sachsenland. Es gibt weder einen „Sachsensumpf“, noch eine „italienische Mafia“, noch eine „russische Mafia“ mit Verbindungen zu Nachrichtendiensten. Nein, im Gegenteil: Sachsen ist geradezu ein Musterländle für demokratische Transparenz und gesetzestreue Handeln der Staatsdiener. Der zurückgetretene Ministerpräsident ist dafür ja ein leuchtendes Vorbild. Flächendeckende Korruption? Natürlich gibt es das überall – aber wie toll, nicht in Sachsen. Und den Untersuchungsausschuss, nein, den braucht man natürlich nicht mehr. Es hat sich doch gezeigt, dass alles nur Schall und Rauch ist. Da gibt es eine Handvoll Ketzer, wie den SPD-Abgeordneten Karl Nolle, der sagt, er werde sich trotzdem um die politische Aufklärung und Aufarbeitung kümmern und werde nicht einknicken. Und er sagt, er glaubt nur dem was er selbst gesehen hat. Er ist sozusagen einer der wenigen Leuchttürme im schwarzen Sachsen. Ach, wenn es denn viele solcher Leuchttürme gäbe.
Gut, nun könnte man in der Tat den unsinnigen Einwand wagen, dass ja sowieso nicht alles aufgeklärt werden konnte – wegen Verjährung und so. Aber wozu benötigt man dann noch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss? Vielleicht um einmal der ketzerischen Frage nachzugehen, wie unabhängig die sächsische Justiz gearbeitet hat? Sachsen als positives Beispiel für andere Bundesländer? Vielleicht ein wenig Aufklärung darüber, wie das Parlament vermeintlich ausgetrickst wurde, um ja nicht, unabhängig von staatsanwaltlicher Fürsorge, Zeugen zu hören und Hintergründe und bestimmte politische Strukturen aufzuklären? Könnte sich gar herausstellen, dass doch nicht alles so sauber und politisch korrekt war und ist, was in der Vergangenheit in Sachsen so blendend, ja geradezu wie geschmiert gelaufen ist?
Ach, man erinnert sich, gerne an die lustigen Zeiten Anfang der neunziger Jahre. An die feucht-fröhlichen Runden durch gewisse Lokalitäten in Leipzig, Dresden, Chemnitz, Plauen, wo die westlichen Aufbauhelfer aus Politik und Justiz ihren in der Fremde verkümmerten Leidenschaften frönen konnten. Aber darunter sind ganz sicher keine Männer, die heute noch in Amt und Würden sind. Oder doch?
Vielleicht stellt sich ja einmal heraus, dass an den Vorwürfen der Verfassungsschützer etwas dran war. Doch das wollen wir nicht glauben. Wir glauben einfach an die Redlichkeit der sächsischen Repräsentanten in Justiz und Politik. Und die Handvoll Politiker und Journalisten, die beharrlich nicht daran glauben wollen, die vergessen wir einfach. Wer möchte schon in diesen unsicheren Zeiten Ketzer hören? Maul halten und sich ducken ist die größte Bürgertugend in Sachsen geworden. Armen Sachsenland- fast zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR.
Jürgen Roth