Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 18.05.2008
Milbradt wählt den stillen Abgang
Sachsen vor dem Machtwechsel
Dresden - Der Rücktritt eines Mächtigen ist überall auf der Welt eine delikate Angelegenheit, auch im Freistaat Sachsen. Erst knapp zwei Wochen vor dem angekündigten Wechsel von CDU- Regierungschef Georg Milbradt (63) auf seinen Nachfolger Stanislaw Tillich (49) wurde jetzt bekannt, wie der Ablauf sein soll. Auf alle Fälle soll vermieden werden, dass die Opposition im Landtag Gelegenheit für eine öffentliche Abrechnung erhält. So wählte Milbradt nun die stille Variante. Er reicht den Rücktritt nicht vor dem Parlament ein, sondern schriftlich. Bisher hat er seinen vorzeitigen Rückzug öffentlich nur vor Journalisten formuliert.
Die entscheidenden Worte fielen am 14. April in der Englischen Bibliothek der Staatskanzlei. Milbradt zog nach monatelangen Debatten über seine politische Verantwortung für das Desaster bei der Sächsischen Landesbank die Konsequenzen und kündigte den Rückzug aus all seinen Ämtern für Ende Mai an und schlug Tillich als Nachfolger vor. Milbradt war auch in den eigenen Reihen unter Druck geraten, zuletzt auch im persönlichen Bereich. Die unter ihm selbst in seiner Zeit als Finanzminister gegründete Bank musste nach riskanten Geschäften auf dem US-Hypothekenmarkt Ende 2007 nach Baden- Württemberg verkauft werden.
Das Wort Rücktritt wurde vermieden
Angeschlagen stand Milbradt damals vor dem Foto seines Amtsvorgängers Kurt Biedenkopfs (CDU) - eine gute Vorlage für Fotografen. Im Landtag mochte er die Ankündigung nicht wiederholen. Die Aufforderung der Opposition, seinen Schritt dort zu erläutern, ignorierte er. Stattdessen lieferte die Regierung in der ersten Landtagssitzung nach der Demissions-Ankündigung eine eher trockene Erklärung zur Agrarpolitik. Im offiziellen Sprachgebrauch der Staatskanzlei war lange Zeit lediglich von Amtsübergabe oder einem lange geplanten Generationswechsel die Rede. Das Wort Rücktritt wurde vermieden.
Doch kommt Milbradt nicht um das Wort herum. Das sieht die Verfassung vor. Dort ist in Artikel 68 von „Rücktritt oder einer sonstigen Beendigung des Amtes“ die Rede, was Tod oder Krankheit meint. Biedenkopf wählte im April 2002 eine diplomatische Lösung. „König Kurt“ hielt eine Abschiedsrede im Landtag und dankte danach - unbemerkt von Kameras und Mikrofonen - per schriftlicher Erklärung ab. Milbradt belässt es bei dem Papier an den Landtagspräsidenten unmittelbar vor der Wahl des neuen Ministerpräsidenten. Damit wird der Weg für die Wahl Tillichs am 28. Mai frei.
Auch der Plan für Milbradts letzte Amtsstunden steht damit nun fest. Am 27. Mai leitet er noch einmal eine Kabinettssitzung. Danach erhält Landtagspräsident Erich Iltgen das Rücktrittsschreiben. Am Abend gibt es einen Abschiedsempfang für geladene Gäste. Am folgenden Tag nimmt Milbradt als einfacher Abgeordneter auf den CDU-Bänken im Landtag Platz. Warum er nicht mehr ans Rednerpult tritt, lässt Raum zur Deutung. Laut Geschäftsordnung kann auf Erklärungen eine Debatte - womöglich vor laufender Kamera - folgen. Die Opposition argwöhnt, er wolle sich das ersparen. (dpa)
Von Jörg Schurig