Karl Nolle, MdL
Welt-Online, 04:00 Uhr, 11.07.2008
Für wen arbeiten die Rating-Agenturen?
Untersuchungen der US-Börsenaufsicht ergeben: Analysehäuser waren oft nicht unabhängig
New York - Die US-Börsenaufsicht SEC wirft in einem umfangreichen Bericht den führenden Rating-Agenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch eine Mitschuld an der Immobilien- und Finanzkrise in den Vereinigten Staaten vor. Es habe "bei den Firmen ernsthafte Mängel bei der Kontrolle von Interessenkonflikten" gegeben, sagte SEC-Chef Christopher Cox. Rating-Agenturen bewerten im Auftrag von professionellen Anlegern die Risiken, die mit Investitionen in Kredit- und andere Wertpapiere verbunden sind. Die Emittenten solcher Papiere zahlen für die Bewertungen. Sie profitieren jedoch gleichzeitig von guten Noten, da dies den Weiterverkauf erleichtert.
Doch zu laxe Bewertungen von mit Immobilien besicherten Wertpapieren hatten in den vergangenen Jahren viele Banken und Versicherungen in falscher Sicherheit bei ihren Kaufentscheidungen gewogen. Mit dem beginnenden Fall der US-Eigenheimpreise Ende 2006 zeigte sich, dass viele ausgegebene Ratings für komplexe Wertpapiere nicht hielten, was sie versprachen. Viele Banken bezahlten für Investitionen in fälschlicherweise für sicher gehaltene Papiere in den vergangenen Quartalen mit hohen Milliardenabschreibungen.
Zehn Monate lang hatten die Prüfer der SEC Daten und Dokumente auf der Suche nach den Gründen für die mangelhafte Arbeitsweise der Rating-Agenturen durchforstet. Dabei entdeckten sie unter anderem vielsagende E-Mails von Analysten der Unternehmen. So schrieb laut dem Bericht ein nicht genannter Mitarbeiter einer der Kreditbewerter einem seiner Kollegen, dass ein Bewertungsmodell nicht "die Hälfte" des Risikos eines strukturierten Wertpapiers berücksichtige. "Es könnte von Kühen strukturiert worden sein und wir würden es bewerten", hieß es in einer in dem SEC-Bericht veröffentlichten E-Mail. Einer anderer Analyst schrieb: "Lasst uns hoffen, dass wir alle reich und pensioniert sind, wenn dieses Kartenhaus zusammenstürzt."
In den vergangenen Jahrzehnten hatten die Rating-Agenturen hart daran gearbeitet, ihren Ruf als unabhängige Experten zu fördern. Der Bericht kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Unabhängigkeit oft nicht gewährleistet war. Der anschwellende Strom von Wertpapieren, die bewertet werden sollten, ließ den Analysten oft nicht die benötigte Zeit, sich ausreichend mit den zugrunde liegenden Risiken zu befassen. Immobilien besicherte Anleihen sind oftmals aus Tausenden von Einzeldarlehen zusammengesetzt. "Wir haben nicht die Ressourcen, um das zu schaffen, was wir derzeit machen", schrieb ein Kreditanalyst im Februar 2007. Die Börsenaufsicht kritisiert zudem, dass es "scheinbar keine internen Anstrengungen gibt", Analysten von den Verhandlungen über Rating-Gebühren mit Kunden abzuschirmen. Das schädige die Unabhängigkeit der Bewertungen.
Die Rating-Agenturen haben sich zu Schwächen in ihrem System bekannt und in den vergangenen Monaten mehrere hochrangige Manager entlassen. Sie arbeiten unter anderem daran, Siegel für verschiedene Arten von Wertpapieren einzuführen, sodass sich unterschiedliche zugrunde liegende Risiken auf den ersten Blick unterscheiden lassen. Die SEC hat weit reichende neue Regeln vorgeschlagen, um die Bewertungsqualität zu erhöhen, zusätzliche Offenlegungspflichten einzuführen und Analysten von Gebühren-Verhandlungen abzuschotten. "Der Wandel von einer vollständig unregulierten zu einer vollständig regulierten Branche, ist gerechtfertigt und dringend notwendig", so SEC-Chef Cox.
Von Martin Dowideit