Karl Nolle, MdL
Berliner Zeitung, Seite 3, 25.08.2008
Der Staatsfeind
Der Mafia-Experte Jürgen Roth sieht in Sachsen eine Herrschaftsjustiz am Werk. Jetzt ermittelt die Chemnitzer Polizei wegen Verunglimpfung des Staates gegen den Journalisten
BERLIN. Jürgen Roth fand wie gewohnt deutliche Worte, als er Mitte Juni in der Chemnitzer Thalia-Buchhandlung mit Lesern über Korruptionsaffären und Behördenwillkür in Sachsen diskutierte. Die sächsische Justiz sei eine Herrschaftsjustiz, sagte der Publizist und Mafia-Experte, dessen Enthüllungen im Mai letzten Jahres die Affäre um den sogenannten Sachsen-Sumpf ins Rollen gebracht hatten. Und weiter sagte Roth in der Buchhandlung sinngemäß, dass es auch in den Justizbehörden des Freistaats mafiöse Strukturen gebe. "Es ist anzunehmen, dass die Staatsanwaltschaft diese Beleidigung nicht auf sich beruhen lassen wird", orakelte die Sächsische Zeitung wenig später in einem Artikel über die Veranstaltung in Chemnitz.
So ist es. Seit einigen Tagen führt der Polizeiliche Staatsschutz von Chemnitz ein Ermittlungsverfahren gegen den in Frankfurt am Main lebenden Journalisten. Der Vorwurf lautet auf Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole.
Roth findet das Verfahren entlarvend. "Wenn es noch eines Beweises für meine These von der Herrschaftsjustiz in Sachsen bedurft hätte, dann ist es dieses Vorgehen der Behörden gegen mich", sagt er.
Kriminelle Netzwerke
Im Mai 2007 war in Sachsen die Existenz von Dossiers des dortigen Verfassungsschutzes über Netzwerke aus Politikern, Staatsanwälten, Richtern und Kriminellen im Freistaat bekannt geworden. In diesen Akten finden sich Erkenntnisse über Immobilienschiebereien, Bordellbesuche von Politikern und manipulierte Gerichtsurteile. Jürgen Roth hatte damals Inhalte der Verfassungsschutzakten öffentlich gemacht. Das trug ihm in der sächsischen CDU quasi den Rang eines Staatsfeindes ein. Führten seine Veröffentlichungen doch mit dazu, dass die Affäre um den Sachsen-Sumpf vergangenes Jahr zu einer ernsthaften Krise in der CDU-SPD-Regierung führte. Der Dresdner Landtag setzte sogar einen Untersuchungsausschuss ein. Er soll die Frage klären, ob Sachsens CDU durch ihre Personalpolitik in Justiz und Sicherheitsbehörden fast zwei Jahrzehnte lang das Entstehen einer Parallelgesellschaft begünstigt hat, in der Politiker, Beamte und Juristen im Verein mit Kriminellen eigene Interessen durchsetzen konnten.
Ist das Vorgehen des Chemnitzer Staatsschutzes gegen Roth nun also eine Retourkutsche für dessen Angriffe auf Behörden und Politiker des Freistaats? Der sächsische SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle hat daran keine Zweifel. Das Ermittlungsverfahren sei der Versuch, einen unbequemen Journalisten zu bestrafen, sagt er. Ob das Verfahren allerdings Erfolg haben wird, bezweifelt der Sozialdemokrat. Schließlich sei Roths Äußerung vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. "Und er hat ja Recht: Auch ich bin der Meinung, dass Teile der Justiz und Polizei in Sachsen noch nicht in der Demokratie angekommen sind", sagt Nolle.
Auch der Linken-Politiker Klaus Bartl glaubt, dass an Roth ein Exempel statuiert werden soll. "Hier will Sachsens Justiz eine Gelegenheit nutzen, kritische Journalisten, aber auch unzufriedene Mitarbeiter in den eigenen Reihen einzuschüchtern", sagt Bartl, der den Landtags-Untersuchungsausschuss zum Sachsen-Sumpf leitet. Dass man dafür einen Straftatbestand konstruiere, der an die Staatsverleumdungs-Verfahren zu DDR-Zeiten erinnere, nennt er "bemerkenswert".
Für Bartl ist das Verfahren gegen Roth Teil einer Strategie, mit der die von der CDU dominierte Staatsregierung eine Aufklärung der Sachsen-Sumpf-Affäre verhindern wolle. So seien dem vor einem Jahr eingesetzten Untersuchungsausschuss des Landtages bis heute nicht die Verfassungsschutz-Dossiers übergeben worden, die ein zentrales Beweismittel der Untersuchung sind. Ende dieser Woche wird der sächsische Verfassungsgerichtshof darüber entscheiden, ob die Staatsregierung diese - wie Bartl sagt - "Totalblockade" des Ausschusses weiter aufrechterhalten darf oder die Akten endlich herausrücken muss.
Andreas Förster