Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 06.09.2008

Notaktion wegen Kreditkrise

US-Regierung bereitet totale Übernahme von Fannie Mae und Freddie Mac vor
 
Es geht offenbar nicht mehr anders: In einer dramatischen Rettungsaktion bereitet sich die Regierung Bush jetzt mehreren Zeitungen zufolge darauf vor, die riesigen Finanzinstitute Freddie Mac und Fannie Mae komplett zu übernehmen. So soll ein Kollaps des Kreditmarkts verhindert werden.

Washington - Die Krise am US-Finanzmarkt spitzt sich zu. Die US-Regierung könnte noch an diesem Wochenende die Kontrolle über die angeschlagenen halbstaatlichen US-Immobilienbanken Fannie Mae und Freddie Mac komplett übernehmen, um den kriselnden Hypothekenmarkt zu schützen. Das berichten übereinstimmend "Wall Street Journal", "New York Times" und "Washington Post". Sowohl das Finanzministerium als auch Fannie Mae und Freddie Mac wollten sich offiziell zu den Berichten nicht äußern.

Einzelheiten des Rettungsplans könnten schon an diesem Samstag bekanntgegeben werden. Die Direktoriumsmitglieder beider Häuser sollen ausgewechselt werden. Die Führung der Unternehmen werde zunächst einem Verwalter übertragen. Es wird erwartet, dass die beiden Unternehmenschefs Daniel Mudd und Richard Syron zurücktreten.

Die Regierung unter Präsident George W. Bush und die US-Notenbank Fed hätten leitende Angestellte von Fannie Mae und Freddie Mac schon am Freitag einbestellt und ihnen die Pläne dargelegt, berichteten die Zeitungen. Der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg zufolge traf US-Finanzminister Henry Paulson die Chefs von Fannie Mae und Freddie Mac, Fed-Chef Ben Bernanke und den Direktor der Regulierungsbehörde für Hausfinanzierungen, James Lockhart. Vertreter des US-Kongresses hielten sich über das Wochenende für eine Unterrichtung über die Pläne in Bereitschaft.

Die Aktien der beiden Institute waren am Freitag wegen erster Berichte über die Rettungsaktion im nachbörslichen Handel abgestürzt. Die Aktie von Fannie Mae brach um 24 Prozent ein, Freddie Mac verloren 19 Prozent. Schon in den vergangenen Wochen hatte es verstärkt Spekulationen gegeben, dass Fannie Mae nach heftigen Milliardenverlusten vom Staat gerettet werden müsse. Aktionäre befürchten, dass ihre Papiere durch einen staatlichen Aufkauf praktisch wertlos werden könnten. Der Börsenwert der Gesellschaften ist seit dem verschärften Ausbruch der Kreditkrise vor rund einem Jahr um jeweils mehr als 90 Prozent gefallen.

Fannie Mae und das kleinere Schwesterunternehmen Freddie Mac stehen direkt oder indirekt für fast die Hälfte der US-Hypotheken im Gesamtwert von zwölf Billionen Dollar gerade. Ihre Zahlungsunfähigkeit könnte den völligen Kollaps des US-Immobilienmarkts bedeuten - mit unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft.

Beide Institute kaufen Immobilienkredite kleinerer regionaler Banken und haben so einen gewaltigen Hypothekenberg angehäuft. Durch die vor rund einem Jahr ausgebrochene Krise sind sie schwer in Bedrängnis gekommen. Beide Institute haben von April bis Juni 3,1 Milliarden Dollar verloren, weil immer mehr Hauseigner ihre Kredite nicht zurückzahlen können.

Bank mit McCain-Sohn in der Führung pleite

In der Kreditkrise sind viele Finanzunternehmen bedroht oder bereits insolvent. An diesem Freitag musste die elfte Bank in diesem Jahr schließen, die Silver State Bank in Nevada mit Einlagen von fast zwei Milliarden Dollar und 17 Filialen auch in Arizona. Sie hatte Ende Juni Vermögenswerte von zwei Milliarden Dollar und Kundeneinlagen über 1,7 Milliarden Dollar in ihren Büchern. Die Nevada State Bank aus Las Vegas werde die versicherten Kundeneinlagen des zusammengebrochenen Geldinstituts übernehmen, teilte der staatliche Einlagensicherungsfonds FDIC mit. Die Pleite werde den Fonds mit 450 bis 550 Millionen Dollar belasten. Derzeit sichert die FDIC US-Konten über insgesamt rund 45 Milliarden Dollar ab.

Der Zusammenbruch des relativ kleinen Kreditinstituts aus Nevada könnte auch Folgen für den US-Wahlkampf haben: Ein Sohn des republikanischen Kandidaten John McCain saß bis vor kurzem im Verwaltungsrat der Bank und war unter anderem mit für die Aufsicht über die Finanzen zuständig, berichtete das "Wall Street Journal". Der 46-jährige Andrew McCain, ein Adoptivsohn aus John McCains erster Ehe, habe seinen Posten bei der Bank am 26. Juli aus "persönlichen Gründen" aufgegeben. Es gebe keine Hinweise auf ein Fehlverhalten seinerseits. Ebensowenig gebe es Anzeichen dafür, dass Präsidentschaftskandidat McCain von den Problemen der Bank Bescheid gewusst habe.

Die Zahl insolvenzgefährdeter Banken war in den USA zuletzt auf den höchsten Stand seit fünf Jahren gestiegen. Die Aufsichtsbehörden erwarten weitere Pleiten in diesem und dem kommenden Jahr. Auf einer FDIC-Beobachtungsliste standen zum Ende des zweiten Quartals 117 Banken und damit 30 Prozent mehr als drei Monate zuvor.

Die bislang folgenschwerste Pleite in der US-Branche seit Jahresbeginn und die drittgrößte einer US-Bank überhaupt war die Insolvenz des größten unabhängigen börsennotierten Baufinanzierers IndyMac. Er wurde nach einem Kapitalengpass vom Staat übernommen. Dieser Fall kostete die FDIC 8,9 Milliarden Dollar.
plö/Reuters/AP/dpa