Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 10.09.2008
NACH-BECK-DEBATTE: SPD-Flügel nehmen neue Führung in die Zange
Die SPD hat eine neue Führung, aber die Flügelkämpfe dauern an
Die Parteilinke warnt den designierten Vorsitzenden Müntefering und Kanzlerkandidat Steinmeier vor einem Rechtsruck. Vertreter des Reformerflügels verlangen genau das Gegenteil - eine Rückkehr zum Agenda-2010-Kurs.
Hamburg/Berlin - Wohin führt der Weg der neuen SPD nach dem Abgang von Parteichef Kurt Beck? Die beiden SPD-Flügel gehen nun in die Offensive - und erheben deutliche Forderungen an den designierten Vorsitzenden Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. Während die Linke vor Kursänderungen warnt, hoffen Vertreter des rechten Flügels auf ein Comeback der Agenda-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.
Niels Annen, stellvertretender Sprecher der SPD-Linken, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", man werde "sehr genau darauf achten, dass der Kurs Kurt Becks, die Beschlüsse des Hamburger Parteitags, fortgesetzt werden". Unter Anspielung auf die Regierungspolitik von Altbundeskanzler Schröder sagte er, es dürfe kein "Zurück zur Basta-Politik" geben.
Zudem erhob Annen neue Vorwürfe gegen die Parteirechte in der Personalie Beck. "Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Partei-Rechten hat in Hinterzimmern den Kurs Becks sabotiert. Das hat der SPD geschadet. Die Chaostage müssen nun ein Ende haben."
"Wir werden in den nächsten Tagen einige Eckpunkte diskutieren, mit denen wir uns inhaltlich profilieren wollen", kündigte Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der Parteilinken in der SPD-Bundestagsfraktion, an. Nach Rossmanns Angaben gehört zu der inhaltlichen Offensive beispielsweise die Einführung einer Börsenumsatzsteuer nach dem Vorbild Frankreichs. Im Nachbarland werden die Umsätze an der Börse mit 0,3 Prozent besteuert, was dem Staatshaushalt Milliarden bringt.
Außerdem forderte Rossmann strengere Regulierungen für die Finanzmärkte und eine Stärkung der Finanzaufsichtsbehörde Bafin. "Franz Müntefering hat über die Gefahren von Finanzinvestoren als 'Heuschrecken' gesprochen. Jetzt wollen wir auch Taten sehen", sagte Rossmann.
Dagegen hofft die Parteirechte auf einen Schwenk zur Mitte.
Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner, Mitglied im konservativen "Seeheimer Kreis", sagte der "Welt", die gesamte SPD könne stolz auf die Reformagenda 2010 und deren Erfolge sein. Die SPD-Linke habe mit Kurt Beck einen Fürsprecher verloren.
Deutlich sprach sich Kastner gegen den Aufruf von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit aus, die SPD solle Solidarität mit der hessischen Parteichefin Andrea Ypsilanti üben. Dies sei "Unsinn", sagte die SPD-Politikerin. "Wenn Andrea Ypsilanti von der Agenda 2010 abrückt, wird Frank-Walter Steinmeier etwas dagegensetzen. Er wird dann sicher kritisch seine Meinung dazu sagen."
Allerdings appellierte Kastner an die Integrationsfähigkeit des designierten Parteichefs. "Müntefering muss jetzt so klug sein, die gesamte Partei einzubeziehen, und nicht den Anschein erwecken, dass er den Kurs autoritär bestimmt. Das war das Trauma der SPD-Linken unter Schröder. Diese Angst sitzt tief", sagte Kastner.
Partei-Vordenker Erhard Eppler plädierte indes für eine Öffnung der SPD gegenüber der Linken. Vor der Konkurrenz brauchten die Sozialdemokraten "keine Angst und auch keine Berührungsangst" zu haben, sagte er dem Fernsehsender n-tv. Über eine Zusammenarbeit solle man "von Fall zu Fall" entscheiden. Fraktionsvize Joachim Poß sprach sich in Hessen für eine förmliche Koalition anstelle einer von der Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung aus. Eine Koalition mit der Linkspartei sei "besser als ein loses Bündnis", sagte Poß der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung".
FDP gespalten im Verhältnis zur neuen SPD
In der FDP ist man unterdessen uneins über den künftigen Kurs gegenüber der SPD. Parteichef Guido Westerwelle sieht im Führungswechsel keinen Grund, die Absage seiner Partei an Bündnisse mit den Sozialdemokraten zu überdenken. "Es geht nicht um Personalfragen", sagte Westerwelle der "Frankfurter Rundschau". In der Arbeit der schwarz-gelben Landesregierungen sehe er eine "Blaupause auch für den Bund".
Dagegen sprach sich Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms (FDP) gegen eine klare Koalitionsaussage der Liberalen zugunsten der Union aus. "Wir sollten eine klare Präferenz deutlich machen, aber andere Bündnisoptionen nicht unter allen Umständen ausschließen", sagte Solms der "Augsburger Allgemeinen". Die aktuellen Vorgänge in der SPD halte er daher für "ausgesprochen spannend".
flo/dpa/ddp