Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 31.10.2008

Hedgefonds fürchten verheerende Pleiteserie

Profizocker in der Krise
 
Kapitalflucht und groteske Kurskapriolen - wie zuletzt bei VW: Die Finanzkrise hat nun auch die Hedgefonds-Szene mit voller Wucht erfasst. Panische Anleger bedrängen die "Genies der Geldanlage" und ziehen aus Angst ihre Gelder ab. Insider vermuten, dass 3000 Fonds vor dem Kollaps stehen.

Hamburg - Hedgefonds-Manager bezeichnen sich gerne als die Könige der Kapitalanlage. In dieser Woche ist ihnen ein gewaltiger Zacken aus der Krone gebrochen: Sie wurden von einem Autobauer aus der Provinz gelackmeiert.

Von Montagmorgen bis Dienstagmittag schnellte der Kurs der Volkswagen -Aktie von ohnehin schon absurden 210,52 Euro auf teilweise mehr als 1000 Euro hoch. Grund für den Kursanstieg waren Leerverkäufer, die plötzlich die Panik ergriff. Denn als Porsche ankündigte, sich zusätzlich zu den schon gekauften Aktien noch rund ein Drittel der VW-Wertpapiere indirekt über Optionsgeschäfte gesichert zu haben, mussten die Händler plötzlich fürchten, nach ihren Zocker-Wetten auf fallende Kurse keine VW-Aktien mehr zu bekommen. Ein Run auf die letzten verfügbaren Papiere entstand, der Preis stieg ins Unermessliche.

Leerverkäufe sind vor allem bei Hedgefonds beliebt. Durch das VW-Debakel, vermuten Insider, haben sie an einem einzigen Tag mehr als 15 Milliarden Euro verbrannt. Das dürfte einige der Kapital-Könige an den Rande des Ruins getrieben haben - und es hat sie bloßgestellt. "Vor wenigen Jahren noch herrschte Heuschrecken-Alarm. Jetzt kriegen die Heuschrecken selbst einen Schreck", spottet ein Händler.

Porsche habe den Mythos Hedgefonds ein Stück weit zerstört, habe gezeigt, dass die Profizocker nicht unverwundbar sind. Das Schlimmste aber: Ein Emporkömmling habe den Profis ins Revier gepinkelt. "Zuffenhausen hat sich nach Zockerhausen geschlichen und dort kräftig abkassiert."

In der Branche selbst weist man diesen Spott zurück - und geißelt Porsche. "Was die da abgezogen haben, grenzt an Insiderhandel", sagt ein deutscher Hedgefonds-Manager. "Sie haben ein Aktienangebot unzulässig verknappt und damit den Dax zum Zockerindex degradiert", schimpft er. Die Bundesfinanzaufsicht werde noch prüfen müssen, ob das alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Tatsächlich prüft die BaFin den Vorfall inzwischen - hat bislang allerdings keine Hinweise für eine Marktmanipulation.

"Relativ talentfrei"

Dass die Branche sich mittlerweile selbst entzaubert hat, glaubt der Hedgefonds-Manager allerdings auch. "Der Fall VW ist nur der Hingucker", sagt er. Tatsächlich befinde sich die Branche schon seit 2003 im Niedergang. "Viele Hedgefonds, die seitdem gegründet wurden, sind in punkto Risikogeschäft relativ talentfrei. Sie haben vor allem vom generellen Boom an den Märkten profitiert." In diesem Umfeld sei es nicht sonderlich schwer gewesen, Gewinne einzufahren. Jetzt, in der Krise, trenne sich die Spreu vom Weizen.

Und bei dieser Auslese dürfte ziemlich grob gesiebt werden. Thomas Hellener, Vorstand des Online-Fondsvermittlers VSP AG / Hedgefonds24.de, rechnet damit, dass weltweit etwa 30 Prozent der insgesamt gut 10.000 Hedgefonds bis zum Krisenende vom Markt verschwinden werden. Nach Einschätzung des US-Finanzinvestors und Milliardärs George Soros könnten sogar die Hälfte aller Hedgefonds wegfallen. Im Klartext heißt das: 3000 bis 5000 Hedgefonds droht nach Meinung von Experten das Aus.

Laut Christian Hoffmann, Hedgefonds-Experte bei der Credit Suisse, hat die Auslese längst begonnen. "Volatilität, sinkende Märkte von Aktien zu Rohstoffen, die Beschränkungen von Short-Selling und ein erschwerter Zugang zu Kapital haben auch Hedgefonds-Manager vor Herausforderungen gestellt", sagt er.

Auch nackte Zahlen deuten darauf hin, dass Hedgefonds immer stärker in den Sog der Finanzkrise geraten. Indizes, die ihre Performance anzeigen, stehen seit Monaten im Minus. Einer der wichtigsten, der HFRI Fund Weighted Composite Index, verlor seit Jahresbeginn über 20 Prozent an Wert. Im Vergleich zu den Vorjahren sind zudem die Neuinvestitionen in Hedgefonds zurückgegangen.

Auch strategisch ist flächendeckend der Wurm drin: Hedgefonds-Manager betonen zwar gerne und oft, dass ihre Anlagestrategien zu Zeiten von Börsenturbulenzen sogar sicherer sind als die von konventionellen Fonds. Tatsächlich investieren Hedgefonds auch in Rohstoffe, Anleihen, Währungen oder volkswirtschaftliche Trends - und sind so von Börsencrashs unabhängiger. Trotzdem liegen seit Jahresbeginn neun von 14 Anlagestrategien, die die Analysefirma Hedge Fund Research unterscheidet, im Minus.

Kapitalflucht zum Jahresende

Hinzu kommt, dass die Anleger in Scharen weglaufen. "Die Leute werden zusehends nervös", sagt Fondsvermittler Hellener. "Sie tendieren dazu, ihr Geld abzuziehen." Credit-Suisse-Experte Hoffmann sagt, die Branche könnte bis zu 30 Prozent der investierten Assets verlieren.

Aleksander Kluniak, Sprecher des Bundesverbands für Alternative Investments, spricht gar von einer "Dysfunktion der Märkte". Nicht Angebot und Nachfrage bestimmten derzeit das Verhalten der Anleger, sondern Herdentrieb und Panik. "Im Moment werden die Märkte zu 100 Prozent von Psychologie bestimmt."

Das VW-Desaster scheint diese Vertrauenskrise noch verschärft zu haben. Jedenfalls haben nicht wenige Hedgefonds in den letzten Tagen ihre schnell liquidierbaren Vermögenswerte deutlich aufgestockt, um Anleger im Zweifelsfall schnell auszahlen zu können. Teilweise liegt die Quote bei 35 Prozent. "Da schnell liquidierbare Vermögenswerte nicht sonderlich viel Rendite bringen, ist das schon ungewöhnlich hoch", bestätigt Kluniak.

Insider rechnen damit, dass das erst der Anfang ist. Sie erwarten zum Jahreswechsel eine wahre Kapitalflucht. Zum 31. Dezember laufen traditionell besonders viele Kündigungsfristen ab, die es Anlegern ermöglichen, ihr Geld zurückzufordern.

"Diese Kapitalflucht dürfte dann auch Hedgefonds mit an sich wenig riskanten Anlegestrategien treffen", sagt Hellener. Denn leider gebe es immer noch viele Anleger, die die Risiken ihrer Anlagen nicht besonders gut einschätzen könnten. "Man sollte zwar erwarten, dass man sich genau darüber informiert, in was man sein Geld investiert", sagt er. "Doch die Realität sieht leider oft anders aus."
Von Stefan Schultz