Karl Nolle, MdL
Welt-online, 17:01 Uhr, 23.11.2008
DDR-Vergangenheit: Tillich bestätigt Stasi-Kontakte im Dienst
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) hat zu DDR-Zeiten dienstlich veranlasste Kontakte zur Stasi gehabt. Das bestätigte sein Sprecher gegenüber WELT ONLINE: „Der Ministerpräsident erinnert sich an genau zwei Kontakte mit dem MfS." In beiden Fällen habe Tillich Besuch in seinem Büro erhalten.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich hat Vorwürfe zu seiner Rolle in der früheren DDR-Blockpartei CDU in scharfer Form zurückweisen lassen. Sein Sprecher nannte Darstellungen auf WELT ONLINE und im „Spiegel“ über Verstrickungen mit dem SED-Regime eine „persönliche Diffamierung“. Über Tillichs beruflichen Werdegang vor 1990 sei alles bekannt, mit seinem Lebenslauf werde „ganz offen und transparent“ umgegangen.
Der Regierungschef trat 1987 in die DDR-CDU ein und rückte in mehreren Etappen in die Funktionärsebene auf. Nachdem er am 7.Mai 1989 als Kandidat auf der Liste der Nationalen Front – dem Bündnis der SED-hörigen DDR-Parteien – kandidiert hatte, wurde er zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Rates des Kreises Kamenz ernannt, zuständig für Handel und Versorgung.
In der von der Staatskanzlei im Internet veröffentlichten Biografie hieß es bis zur Kurzem lediglich, Tillich sei „in der Kreisverwaltung Kamenz tätig“ gewesen. Inzwischen sind die Angaben vervollständigt worden. „Wir haben das ergänzt und werden das auch fortsetzen“, sagte Tillichs Sprecher WELT ONLINE. Man werde sich der Debatte zur Rolle des Ministerpräsidenten in der DDR nicht verschließen. Am Wochenende hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) seine Partei aufgerufen, ihre eigene Vergangenheit in der DDR aufzuarbeiten. Jubiläen wie der 20.Jahrestag des Mauerfalls seien dafür ein guter Anlass. Tillichs Sprecher begrüßte dies: „Der 20.Jahrestag der friedlichen Revolution ist ein guter Anlass, die Diskussionen fortzusetzen.“ Die CDU will sich auf ihrem Stuttgarter Bundesparteitag in ein paar Tagen mit dem Thema beschäftigen. Ein entsprechender Antrag war auf Kritik gestoßen, weil die staatstragende Rolle der DDR-CDU zunächst ausgeblendet wurde. Die Fraktionschefin der Grünen im Sächsischen Landtag, Antje Hermenau, sagte, „Tillich sollte ‚reinen Tisch' machen. Tut er es nicht, muss er damit rechnen, dass die ehemaligen Kader von SED und Stasi ihre privaten Archive öffnen.“
Tillich hat über seinen Sprecher eingeräumt, dass er im Frühjahr 1989 ideologisch geschult wurde. An dem fast dreimonatigen „Lehrgang für bestätigte Reservekader für Wahlfunktionen“, bei dem ein DDR-Vizeminister von der SED als Referent auftrat, hat nach Informationen von WELT ONLINE auch eine FDJ-Aktivistin teilgenommen, die heute Abgeordnete der Linkspartei im Sächsischen Landtag ist. Zunächst hatte die Staatskanzlei erklärt, Tillich sei die Veranstaltung an einer Potsdamer Funktionärsschmiede „nicht mehr erinnerlich“. Nun heißt es, er habe den Lehrgang vorzeitig verlassen, dieser habe „keine erhebliche biografische Relevanz“ besessen. „Der Lehrgang diente der Qualifikation für die Stelle als Kreisrat für Handel und Versorgung.“
Nach eigenen Angaben ist Tillich der DDR-CDU beigetreten, „damit ich Ruhe vor der SED hatte“. Nun erklärte Tillichs Sprecher: „Die SED hat versucht, den Ministerpräsidenten zu werben. Es war eine bewusste Entscheidung, in die CDU einzutreten und damit bewusst nicht in die SED einzutreten.“ Ehemalige Vertraute erzählen eine andere Version. Danach habe Tillich zunächst gezögert, in der CDU Karriere zu machen, weil ihm ein konkurrierendes Angebot der SED vorgelegen haben soll. Der Chefredakteur der „Sorbischen Zeitung“, Benedikt Dyrlich, kennt den Ministerpräsidenten von Kindheit an. Er kritisiert: „Wenn Tillich heute Mitglieder der SPD und der Linken moralisch hart kritisiert, mutet das scheinheilig an.“
Der Journalist, den die Stasi systematisch überwachte, weist auf eine heikle Verbindung hin: „Als Nomenklaturkader hatte Tillich ganz sicher dienstlich unter anderem mit der Staatssicherheit zu tun gehabt.“ Auf Anfrage sagte Tillichs Sprecher, der Ministerpräsident erinnere „sich an genau zwei Kontakte mit dem MfS. In beiden Fällen erhielt er Besuch in seinem Büro. In einem Fall ermittelten MfS-Mitarbeiter wegen einer beschädigten Versieglung an einer Tür des Computerraums in seinem früheren Betrieb, in einem anderen Fall forderten Mitarbeiter des MfS Aufklärung über Versorgungsengpässe.“
Tillichs Vater war ein zentraler SED-Funktionär in Panschwitz-Kuckau und gehörte in der Heimatgemeinde der Familie der Ortsleitung der Staatspartei an. Zeitweilig war er Mitglied der Wahlkommission, die die Ordnungsmäßigkeit der DDR-Scheinwahlen bestätigte. Ferner bekleidete er als SED-Mann viele Jahre hohe Ämter im Dachverband der sorbischen Vereine und Vereinigungen mit Sitz in Bautzen.
Im Mai 1989 kandidierten Vater (für die SED) und Sohn (für die CDU) gemeinsam auf der Liste der Nationalen Front. Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle sagt, der Abstand zwischen ihnen habe auf dem Wahlzettel keine drei Zentimeter betragen. „So groß war auch der politische Abstand zwischen SED und CDU in der DDR.“
Von Uwe Müller