Karl Nolle, MdL

DNN, 26.11.2008

„Ich stehe zu meinem Leben“

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich über Mitläufer, Stasi und die Diktatur des Proletariats
 
Dresden/Leipzig. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bekennt sich zu seiner Vergangenheit und plädiert dafür, Ex-DDR-Bürger nicht unter Generalverdacht zu stellen.

Frage: Wie viele Stunden haben Sie in den beiden vergangenen Nächten geschlafen?

Tillich: Ich habe relativ kurz geschlafen, aber nicht kürzer als sonst. Aufgrund der vielen Termine und Aufgaben schlafe ich im Schnitt zwischen fünf und sechs Stunden.

Zwischen Opposition und SED gab es in der DDR viele Stufen des Mitläufertums. Wo sehen Sie sich?

Ich war und bin ein pragmatisch orientierter Menschen, der vor Ort, in der Heimat etwas verändern wollte und dabei nicht ideologisch geprägt war. Wenn man DDR-Bürger als Mitläufer bezeichnet, nur weil sie in der DDR gelebt haben, ist das nicht korrekt. Darauf lege ich besonderen Wert.

Ab wann hat man sich in der DDR schuldig gemacht?

Das kann man nicht pauschal beantworten, zumal das moralische, juristische und sonstige Dimensionen haben kann. Grundsätzlich aber gilt, in dem Moment, wo man anderen geschadet und das bewusst getan hat – insbesondere zur Erreichung von politischen Zielen, muss man sich die Frage gefallen lassen.

Können Sie verstehen, dass ein DDR-Bürgerrechtler enttäuscht ist, dass andere im SED-Staat Karriere machen konnten?

Selbstverständlich kann ich das verstehen.

Sie haben angegeben, dass Sie sich an zwei Stasi-Kontakte erinnern können. Heißt das, dass es eventuell noch mehr gegeben haben könnte?

Ich habe deutlich gemacht, dass es zwei Kontakte gab, bei denen sich die Stasi vorgestellt hat. In beiden Fällen bekam ich Besuch in meinem Büro. In einem Fall ermittelten MfS-Mitarbeiter wegen einer beschädigten Versiegelung an einer Tür des Computerraums in meinem früheren Betrieb, in einem anderen Fall sollte ich Versorgungsengpässe erklären. Aber es ist auch bekannt, wie es in der DDR war: Wenn man in einer Runde mit sieben Leuten gesessen hat, wusste man nicht, ob da vielleicht auch das MfS (Ministerium für Staatssicherheit – d. Red.) dabei war.

Wurden Sie jemals angesprochen, enger mit dem MfS zu kooperieren?

Nein.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie innerhalb der DDR-CDU Teil des staatstragenden Systems waren?

Das war doch immer klar. Der SED-Machtanspruch stand über allem, war sogar in der Verfassung geregelt. Die Spielräume waren begrenzt, aber sie waren vorhanden. Ich habe mich natürlich bemüht, da, wo es möglich war, die Versorgungssituation im Handel zu verbessern. Es wird immer Epochen geben, wo man zeitgeschichtlich zurückliegende Ereignisse unterschiedlich bewerten wird. Das ist ganz einfach so. Dem kann und will ich mich auch nicht entziehen.

Ist die jetzige Aufregung nicht auch ein wenig hausgemacht, weil die CDU im Streit mit der Linken Steine im Glashaus geworfen hat?

Wenn ich Automechaniker in Sachsen wäre, würde sich niemand für meinen Lebensweg interessiert. Es gibt einfach Leute, die behaupten, dass es ihnen um Aufarbeitung der DDR-Geschichte geht. In Wirklichkeit wollen sie meine Geschichte politisch instrumentalisieren.

Ist das Interesse angemessen oder überzogen?

Aus meiner Sicht ist es verständlich, dass das Interesse so groß ist. Es hängt mit meinem Amt zusammen.

Verläuft die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit korrekt oder ist es Zeit für einen Schlussstrich?

Die Aufarbeitung wird noch einige Generationen von Historikern beschäftigen. Sie ist wichtig und man muss sie behutsam vorantreiben. Ich verwahre mich dagegen, dass DDR-Bürger, die, wie ich, 30 Jahre lang hier aufgewachsen sind, unter einen Generalverdacht gestellt werden.

Wie ist das Echo der Wähler auf Ihre Erklärung? Gibt es eines?

Ja! Es ist geteilt. Es gibt sehr viele Leute auch außerhalb der CDU, die anrufen, mailen oder faxen und sagen: Endlich hat sich mal einer dazu so umfassend geäußert. Diese Menschen sagen, die Offenheit war gut. Ich denke, dass ich damit vielleicht auch einen bescheidenen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Ost-CDU geleistet habe. Ich will das nicht überbewertet wissen, aber ich konnte das so nicht stehen lassen. Es gibt aber auch Leute, die seinerzeit Repressalien ausgesetzt waren und sich jetzt kritisch zu meiner Erklärung äußern. Auch das verstehe ich.

Wie haben Sie die vergangenen Tage verändert? Werden Sie künftig anders gegenüber der Linken agieren?

Die CDU hat sich intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt und sie hat in Sachsen fast zwei Jahrzehnte bewiesen, dass sie für eine gute und zukunftsfähige Politik steht. Die Linke hat beides nicht geleistet.

Interview: Roland Herold/Olaf Majer
@Das komplette Interview im Internet unter www.lvz.online.de/download