Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 01.12.2008
Deutsche Karrieren
Die DDR-Vergangenheit des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich beschäftigt die Christdemokraten stärker als gedacht
Noch vor wenigen Tagen war Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich ganz auf Transparenz eingestellt: "Jeder, der Fragen zu meinem Lebenslauf stellt", bekannte der CDU-Politiker in einer persönlichen Erklärung, "bekommt sie offen und ehrlich beantwortet". Als Journalisten an diesem Wochenende jedoch Einzelheiten zu einem Fragebogen wissen wollten, den der Christdemokrat vor Jahren hatte ausfüllen müssen, war es mit der Offenheit schon wieder vorbei. Die Staatskanzlei verweigerte die Herausgabe des Papiers, in welchem es um Tillichs DDR-Vergangenheit geht, und erklärte auf Anfrage lediglich, dass der CDU-Politiker alles "vollständig und zutreffend beantwortet" habe.
Indes bleiben Fragen offen, und diese dürften auf dem heute beginnenden CDU-Parteitag eine wichtige Rolle spielen. In einem Leitantrag zu den Perspektiven in Ostdeutschland wollen sich die Christdemokraten mit den Parteien und ihren Mitgliedern in der einstigen DDR befassen, diskutiert wird unter dem Motto "wider das Vergessen und Verdrängen". Anfangs hatte man sich nur mit der Vergangenheit der anderen Parteien befassen wollen, etwa PDS und SPD. Inzwischen wurde ein Passus über die frühere Ost-CDU in den Antrag eingefügt.
Wie viele andere ostdeutsche Christdemokraten, so war auch Stanislaw Tillich einst Mitglied der DDR-Blockpartei CDU. Zugleich arbeitete er ab 1987 beim Rat der Kreises Kamenz, wo er zielgerichtet auf eine leitende Position als stellvertretender Vorsitzender im Rat des Kreises vorbereitet wurde. Gemeinsam mit den SED-Kandidaten kandidierte Tillich dann im Mai 1989 als Spitzenkandidat der "Nationalen Front" und erklomm kurz darauf die Stelle als leitender Kreisfunktionär. Doch geht es heute weniger um sein Wirken zu Zeiten der DDR, wichtiger ist sein späterer Umgang damit: So ist unklar, ob Tillich seine DDR-Vergangenheit im Nachhinein stets wahrheitsgemäß dargestellt hat.
In diesem Zusammenhang spielt der Fragebogen eine Rolle. 1999 war Tillich zum sächsischen Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten berufen worden. Wie Tausende von Beamten und Angestellten im Freistaat, so musste der CDU-Politiker vor seiner Einstellung in den sächsischen Staatsdienst ein Formular zu seiner persönlichen Vergangenheit ausfüllen. Gefragt wurde unter anderem, ob er eine leitende Stellung in der DDR-Verwaltung innehatte oder auf einer Parteischule war. Wer die Fragen nicht wahrheitsgemäß beantworte, hieß es in einer dazu gehörigen Belehrung, könne fristlos gekündigt werden.
Ende letzter Woche bat der Spiegel um Auskunft über Tillichs Fragebogen. Daraufhin lehnte eine Sprecherin die Herausgabe der Erklärung mit dem Hinweis ab, nach "Auskunft der zuständigen Verwaltungsstelle" sei sie ordnungsgemäß ausgefüllt worden. Mutmaßungen des Magazins, dass Tillich in dem Formular die Frage nach dem Besuch einer Parteischule wahrheitswidrig verneint haben könnte, dementierte die Sprecherin: Zwar sei nach einem 1987 abgeschlossenen "Ausbildungsprogramm" für Tillich als "Reservekader" des DDR-Regimes der Besuch der CDU-Parteischule vorgesehen gewesen, "jedoch hat Herr Tillich keine Parteischule besucht". Erst vor einigen Tagen hatte sich Tillich wieder an einen Marxismus-Leninismus-Kurs erinnert, den er 1989 auf der DDR-Kaderschmiede für Staats- und Rechtswissenschaften in Potsdam absolviert hatte. Dabei wies er auch auf "andere Lehrgänge" hin, die er mitgemacht habe. Fragt sich, welche Kurse er gemeint haben könnte - im "Ausbildungsprogramm" ist nur noch von der Parteischule die Rede.
Von Christiane Kohl