Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 04.12.2008
CDU und ihre DDR-Vergangenheit
"Es ist längst nicht alles gesagt"
Nun hat sie es also getan. Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag zu ihrer DDR-Vergangenheit bekannt. In dem am Dienstag in Stuttgart verabschiedeten Antrag zur Zukunft Ostdeutschlands heißt es, die Blockpartei CDU habe "in der DDR im totalitären System der SED-Diktatur mitgewirkt".
Dafür, dass es zu dieser etwas gequälten Selbstkritik kam, hatte die CDU selbst gesorgt. Denn ursprünglich wollte sie einen Ost-Antrag beschließen, der zum anstehenden Superwahljahr 2009 für eine scharfe Abgrenzung gegenüber der Linken und der SPD sorgen sollte. Dies erzeugte einige Aufregung, denn in dem Antragsentwurf wurden die Linken als "politische Erben der totalitären SED" bezeichnet, es fand sich darin aber kein Wort zur Rolle der Ost-CDU in der DDR. Gleichzeitig kam es in den Medien zu einer Debatte um Sachsens CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich. Der war eine "Blockflöte" gewesen und hatte später seinen DDR-Lebenslauf geschönt.
Der heutige sächsische Regierungschef war im Alter von 27 Jahren 1987 in die Blockpartei CDU eingetreten und dann zum Funktionär aufgerückt. Nach seiner Kandidatur im Mai 1989 auf der Liste der Nationalen Front, dem Bündnis der SED-nahen DDR-Parteien, wurde er Vize-Chef des Rates des Kreises Kamenz für Handel und Versorgung. Bekannt wurde durch die Debatte auch, dass Tillich seinen Wehrdienst bei den Grenztruppen absolvierte.
Wie ist Tillichs DDR-Karriere zu bewerten? Die Frankfurter Rundschau hat dazu drei Blockpartei-Experten befragt – den Historiker und Autoren Christian von Ditfurth, den Politologen und Publizisten Peter Joachim Lapp sowie den Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat an der FU Berlin, Klaus Schroeder.
"Tillich hat sich damals zum Sozialismus bekannt, das ist kein Verbrechen", sagt Ditfurth. "Doch konnte man auch eine Karriere auf vergleichsweise niedriger Ebene nur machen, wenn man von der SED als politisch treu eingeschätzt wurde. Ohne Zustimmung der SED keine Karriere." Ein "großer Fehler" seien allerdings Tillichs spätere Auslassungen im Lebenslauf gewesen. Laut Ditfurth ist es nur folgerichtig, dass die CDU nun mit dem Tillich-Skandal von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. "Wer die Vergangenheit als politisches Instrument benutzt und dabei die eigene außen vor lässt, so wie die CDU, der muss sich nicht wundern, wenn man auch bei ihm selbst mal nachschaut."
Joachim Lapp sieht es so: "Ich finde nicht verwerflich, was Tillich gemacht hat. Der Mann ist 1987 in die Ost-CDU eingetreten, als man davon ausgehen musste, dass die DDR auch noch ihren 50. Jahrestag erleben würde. Er hat eine kleinere bis mittlere Funktionärskarriere begonnen, das ist unbestritten." Der Block-CDU habe damals ein festes Kontingent an Positionen zur Verfügung gestanden und die CDU sei die Partei gewesen, die von der SED am stärksten hofiert worden sei. Allerdings sei es bis auf sehr vereinzelte Ausnahmen lediglich um Stellvertreter-Posten gegangen. Tillichs Fehler sei gewesen, dass er sich später nur als Angestellter der Kreisverwaltung Kamenz beschrieben habe – und nicht Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Kreises. "Auch der Wehrdienst bei den Grenztruppen hätte in den Lebenslauf gehört", sagt Lapp. Er findet, "dass alle in der CDU, die eine Vergangenheit in der Blockpartei haben, von sich aus offensiv damit umgehen sollten". Denn sonst riskierten sie, "dass sie vom politischen Gegner oder aber auch von missliebigen Parteifreunden geoutet werden". Lapp meint, "dass die jetzige Debatte indirekt auch eine Antwort auf die diversen Rote-Socken-Kampagnen der Union sein mag".
Auch Klaus Schroeder von der FU Berlin sieht die Tillich-Debatte vor dem Hintergrund der aufziehenden Wahlkämpfe: "Die Linke als SED-Nachfolger hat Interesse, dass das Thema vom Tisch kommt. Es ist eine Art Waffenstillstandsangebot. Lasst ihr unsere Leute in Ruhe, lassen wir eure Leute in Ruhe. Die Linke will eine Diskussion auf Augenhöhe: Wir sind alle belastet und verstrickt." Bloß würden damit die Unterschiede zwischen Blockparteien und SED verwischt. "Die CDU war eine subalterne Partei, alles wurde durch die SED entschieden", sagt Schroeder. "Wer in die CDU reinging, der wollte sicher Karriere machen - aber eben nur bis zu einem gewissem Grad. Dies war jedem klar." Nach 1990 hätten die Blockparteien "vieles im Grauen gelassen". Daher seien auch Leute wie Tillich und der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dieter Althaus unter Druck gekommen, nicht alles auf den Tisch zu legen.
Alle drei Experten finden, dass die CDU noch mehr zur Aufarbeitung ihrer DDR-Vergangenheit tun müsse. "Es gab zwar ein paar Ansätze, das muss man anerkennen - doch die Auseinandersetzung bestand überwiegend in Schaufenster-Debatten", sagt Ditfurth. "Es mögen ja mal ein paar in die CDU übergewechselte Ex-Bürgerrechtler aufgemuckt haben. Doch an vielen Stellen sind die Blockflöten unter sich geblieben – und da hat sich dann nichts bewegt. Wer sagt schon gern, dass er Dreck am Stecken hat? Im dauernden Konkurrenzkampf der Parteien sind Zugeständnisse Schwächen."
Lapp weist darauf hin, dass der Sonderparteitag der DDR-CDU Mitte Dezember 1989 schon "aufgeräumt" habe. "Da gab es politische Schuldbekenntnisse und die führenden Leute sind in die zweite Reihe getreten." Die ganze Parteispitze, bis zur Bezirksebene, sei nach 1990 abgesägt worden. "Zudem sind mehr als die Hälfte der 140.000 Mitglieder der Block-CDU sicher nicht mehr in der Union heute." Dennoch gebe es Lücken bei der Aufarbeitung der Vergangenheit, es fehle eine Gesamtgeschichte der DDR-CDU. "Da wäre noch einiges aufzuarbeiten, insbesondere aus den 1970er und 1980er Jahren. Es dürfte noch die eine oder andere dunkle Stelle ans Licht kommen."
Laut Schroeder haben sich die Blockparteien zwar mit der Vergangenheit beschäftigt – aber nicht genügend. "Es ist ja längst nicht alles gesagt. Ich rate, eine Brücke zu bauen, indem man aufarbeitet und die Systemverstrickung offenlegt. Man sollte sagen: Wir gehen damit offensiv und wahrhaftig, aber auch in einem Klima damit um, in dem der Einzelne nichts fürchten muss."
VON HANS-HERMANN KOTTE UND STEFFEN REICHERT