Karl Nolle, MdL
Die Zeit , Nr. 49, 01.12.2008
Die CDU und die Blockflöten: Eine historische Notlüge
Die CDU beschäftigt sich auf dem heute beginnenden Parteitag auch mit der DDR-Vergangenheit. Aber sie verweigert ein Bekenntnis zum eigenen, ungeklärten Ost-Erbe
Der Feind trägt rote Socken. So oder ähnlich lässt sich das Geschichtsbild der CDU auch im Jahr 2008, achtzehn Jahre nach der deutschen Einheit, auf einen Nenner bringen. Der Hauptgegner ist und bliebt die Linkspartei als SED-Erbin, und die SPD, die mit ihr vermeintlich zusammenarbeiten will. Ein Antrag für den Parteitag, der sich mit der DDR-Vergangenheit befasst, richtet sich deshalb auch ausschließlich gegen die Linke und Rot-Rot-Grün. Eine kritische Rückschau auf das schwierige Erbe der Ost-CDU fehlt hingegen nach wie vor. Dabei gibt es dafür durchaus auch aktuellen Anlass, wie der Fall des sächsischen Ministerpräsidenten Tillich zeigt, der dieser Tage einräumen musste, zu DDR-Zeiten ein Nachwuchskader des SED-Apparats gewesen zu sein.
Zwar gibt es einsame Mahner, wie den Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Böhmer, der seine Partei auffordert, die Bevölkerung nicht für dumm zu verkaufen. Doch solche Selbstkritik verhallt ungehört.
Es ist für den schnell gewordenen politischen Betrieb inzwischen Lichtjahre her, dass die heutige CDU-Vorsitzende Merkel selbst einmal fulminant an dieser Vergangenheit scheiterte. Es war 1991, als die Uckermärkerin in ihrem CDU-Heimatverband Brandenburg den Vorsitz übernehmen wollte. Altkader – also der CDU-Politiker, die schon zu DDR-Zeiten Mitglied der staatstragenden Blockpartei waren – verhinderten sie und hoben stattdessen Ulf Fink, einen West-Import, ins Amt.
Die frühere brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt hat sich Jahre später geweigert, mit „diesen Arschlöchern von der CDU“ zu koalieren. Es war ihr politisches Ende, weil sie es gewagt hatte, darauf hinzuweisen, dass in der ersten CDU-Landtagsfraktion nach der Einheit 24 der 27 Abgeordneten Altmitglieder und -funktionäre waren – einer bereits seit 1952, also sowohl vor als auch nach der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953.
Merkel hat daraus gelernt. Es sollte ihre letzte Schlappe gegen die gewendeten Ost-CDUler gewesen sein. Sie, die aus dem Demokratischen Aufbruch kam, also unbelastet war, hatte die Macht der alten Seilschaften deutlich unterschätzt und sich zu früh auf die Seite der Neuerer geschlagen, die sich von den „Blockflöten“ absetzen wollten. (Obwohl sie sich selbst 1990 von Günter Krauses Gnaden – einer der schillerndsten Figuren der alten Ost-CDU – einen sicheren Listenplatz in Mecklenburg-Vorpommern versorgen ließ.)
Drei Jahre später, als die Tage des Verkehrsministers Krause gezählt waren, stand ihre Mehrheit in Mecklenburg-Vorpommern, und so wurde sie - mit kräftiger Unterstützung verdienter CDU-Genossen - Landesvorsitzende. Bis heute ist der Landesverband, in dem noch immer viele Altkader sitzen, ihre sichere Wagenburg.
Kein Wunder, dass Merkel wenig Antrieb verspürt, den DDR-Ballast der CDU ans Tageslicht zu zerren. Zumal die CDU im Osten Deutschlands ohne diese alten Seilschaften personell und organisatorisch auf SPD-Niveau schrumpfen würde.
Doch nicht nur an der Basis, auch an der Spitze der ostdeutschen CDU stößt ein Erinnern an die CDU-Vergangenheit Ost auf wenig Gegenliebe. Schließlich sind mit Stanislaw Tillich und Dieter Althaus zwei der drei ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten bereits vor 1989 Mitglieder der DDR-CDU gewesen, die immer fest an der Seite der SED stand. Ein Befund, der im Übrigen noch immer auf rund 40 Prozent der sächsischen CDU-Fraktion zutrifft. In der sächsischen Regierung sitzen gar nur Altkader oder West-Importe.
Es erscheint wenig verständlich, dass selbst die prominenten Bürgerrechtler, die später zur CDU kamen, die problematische Vergangenheit nicht thematisieren. Weder der letzte Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs Rainer Eppelmann noch Vera Lengsfeld oder der DDR-Oppositionelle Erhart Neubert, die 1996 aus Protest gegen rot-grün-rote Annäherungsversuche die Bündnisgrünen in Richtung CDU verließen, erheben vernehmlich ihre Stimme gegen christdemokratische Geschichtsklitterung.
Dies mag auch damit zusammenhängen, dass Helmut Kohl es vermochte, bereits Mitte der 90er Jahre Frieden mit prominenten Bürgerrechtlern wie Neubert und Bärbel Bohley zu schließen. Aber auch damit, dass man sich mit dem Abladen der moralischen Alleinschuld bei der SED-Nachfolgerin eindeutig festgelegt hat und hinter diesen unehrlichen Konsens nicht mehr zurückweichen kann, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Vielleicht aber glaubt die CDU diese historische Notlüge inzwischen selbst, nachdem man sich seit Jahren innerhalb der Partei gegenseitig die unbefleckte Empfängnis zugesichert hat.
Parallel dazu war es der CDU seinerzeit gelungen, die SPD in einen moralischen Zwiespalt zu treiben. Indem die CDU die SPD für den Fall, dass sie unbelastete SED-Reformer in ihre Reihen aufgenommen hätten, mit der PDS nahezu gleichsetzte – was in Anbetracht der realen historischen Hintergründe ein Teufelsstück war –, legte sie zugleich das Fundament für die bis heute andauernde Bedeutungslosigkeit der SPD in Ostdeutschland.
Doch nach dem Abgang der Patriarchen Biedenkopf und Vogel herrscht Katerstimmung in der ostdeutschen CDU. Deshalb versucht die Führung nun etwas, was die Merkel-CDU immer vermied: den Osten für sich zu entdecken. Jetzt eine eigene Vergangenheitsdebatte anzustoßen, wäre deshalb äußerst kontraproduktiv – würde es DDR -Nostalgiker wohl ebenso abstoßen wie unbedarfte CDU-Anhänger
In Anbetracht der anstehenden Deutungsdebatten im kommenden 20. Jahr der 89er Revolution, in dem viele Wahlen auch im Osten anstehen, wird die CDU jedoch an dieser schmerzhaften Rückschau nicht vorbeikommen. Auch dann nicht, wenn sie die Linkspartei nach wie vor in Alleinhaftung für die DDR nimmt.
von Michael Lühmann