Karl Nolle, MdL
DIE WELT, 13.12.2008
Sächsischer Stasi-Spitzel darf im Landtag bleiben
Verfassungsgericht weist Klage gegen Linken-Abgeordneten Külow ab — ,Ich hin nicht nachtragend"
BERLIN - Es ist ein Artikel, der die sächsische Verfassung in Deutschland einzigartig macht. Er besagt, dass einem Landtagsabgeordneten das Mandat aberkannt werden kann, wenn er einst für den DDR Geheimdienst tätig war. Der Artikel 118 der im Jahr 1992 verkündeten Verfassung atmet noch den Geist der friedlichen Revolution. Der Wille der Verfassungsväter, Stasi-Schergen von demokratischen Entscheidungsprozessen auszuschließen, wurde allerdings bislang kein einziges Mal in die Tat umgesetzt. Verantwortlich dafür ist ausgerechnet der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen.
Jüngstes Beispiel ist der Fall des Leipziger Kulturpolitikers Volker Kiilow von der Linksfraktion. Der Ex-SED-Mann hatte bis in den Herbst 1989 hinein als IM „Ostap" der Staatssicherheit gedient. Die Mehrheit des Dresdner Parlaments fand seine Verstrickung derart gravierend, dass sie auf den Tag genau vor einemJahr mit 86 Ja- und 32 Gegenstimmen für eine sogenannte Abgeordneten-Anklage votierte. Die Linke hat 31 Sitze.
Nachdem die Mühlen der Justiz lange gemahlen haben, ist jetzt die Entscheidung gefallen: Aus forma- len Gründen hat das Gericht die
Klage zurückgewiesen, der 48-jährige Külow darf damit Abgeordne- ter bleiben. Eine Überraschung stellt das nicht dar. Denn immer wieder hat der Landtag seit seinem Bestehen Anläufe unternommen, um die Zuträger der Stasi aus ihren
Volker Külow: einst Stasi-Spitzel, heute für die Linke im Dresdner Parlament
Reihen zu bannen. Stets vergeblich. So gesehen ist der Artikel 118 kaum mehr als eine historische Reminiszenz ohne praktischen Wert.
Weil sich das nun wieder abgezeichnet hatte, war allein die Begründung von Interesse. Die Verfassungsrichter erteilten der Klage gegen Külow vor allem deshalb ei- ne Abfuhr, weil sie den gewählten Volksvertretern unterstellen, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein. In der Pressemitteilung des Gerichts liest sich das so: „Die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit des Angeklagten relevanten Sachverhaltselemente seien im Plenum nicht oder nur unzureichend bekannt gegeben worden."
Mitunter klaffen zwischen juristischer Logik und erlebter Realität Welten. So auch hier. Über Külows Doppelleben als IM „Ostap" sind nicht nur die Abgeordneten, sondern auch aufmerksame Bürger in. Sachsen und darüber hinaus bestens im Bilde. Das Ausmaß der Karriere des „Spitzelbuben", wie die Kanzlerin solche Personen zu nennen pflegt, kam Stück für Stück ans Tageslicht. Und jedes Mal berichteten die Medien ausführlich.
Zugegeben hatte Külow zunächst nur seine Agententätigkeit für die Auslandsspionage ab 1988. Hinge- gen verschwieg er der Öffentlichkeit, also auch seinen Wählern, dass er an der Leipziger Universität, wo er zum Lehrer für Marxismus/Leninismus ausgebildet wurde und einen Doktortitel erhielt, kritische Studenten und Professoren verriet. Unter sozialistischem Internationalismus verstand Külow laut Akte unter anderem, einen afghanischen Studenten zu denunzieren.
Als solche Spitzelberichte im Februar 2007 in der Birthler-Behörde entdeckt wurden, schäumte Külows Partei. Mit derartig gestreuten Dokumentenfunden, wetterte der zwischenzeitlich zum Fraktionschef aufgestiegene Andre Hahn, solle doch nur „von den tatsächlichen Problemen der Gegenwart" abgelenkt werden. Külow räumte zerknirscht ein, „die vom menschlichen Anstand gebotenen Grenzen klar überschritten" zu haben.
Seine Reue war offenbar aber von kurzer Dauer. Gut zwei Monate nach der Bloßstellung lud Külow in. Dresden zu dem Spektakel „Die Akte. Das Leben. Die Wahrheit", einer eigenartigen Geschichtsstunde in eigener Sache. Bei Wurst, Käse und Eiersalat beklagte der Mann mit rotem Vollbart, dass er im vereinten Deutschland keine Chance erhalten habe, sich offen und ehrlich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sein ehemaliger Führungsoffizier assistierte ihm. Ort des Geschehens war ausgerechnet Saal A 400 des Landtags, eingeladen waren Abgeordnete anderer Fraktionen. Deshalb mutet es merkwürdig an, wenn die Verfassungsrichter den Parlamentariern unterstellen, „relevante Sachverhaltselemente" der Stasi-Biografie nicht zu kennen. Zumindest das Rechtsempfinden von Külow hat nicht gelitten. „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist mit diesem Urteilgestärkt worden", sagt er. Und vergibt zugleich den Kollegen, die es wagten, Artikel 118 zu bemühen. Er werde „nicht nach- tragend sein" und sei „guter Dinge, dass wir nun alle die Schützengräben des Kalten Krieges verlassen".
Von Dirk Banse und Uwe Müller
Anmerkung von Karl Nolle:
Die Verteidigung unseres Rechtstaats und der freiheitlich demokratischen Grundordnung kann selber nur nach den strengen Regeln von Verfassung und Recht erfolgen.
Ich habe michdaher, als als einer von drei Landtagsabgeordneten, aus grundsätzlichen Gründen am 13. Dezember 2007 bei der Abstimmung über die Abgeordnetenklage zu Volker Külow enthalten und dazu eine persönliche Erklärung abgegeben, da ich den Sachverhalt nicht selber, an Hand von schriftlichen Dokumenten und Belegen, prüfen konnte. Die Vorwürfe waren somit für alle Abgeordneten, bis auf wenige Ausnahmen, Vorhaltungen vom Hörensagen.
Genau das ist der Grund, warum der Sächsische Verfassungsgerichtshof die Klage mit der Begründung abgewiesen hat: „Die zur Beurteilung der MfS-Tätigkeit des Angeklagten relevanten Sachverhaltselemente wurden im Plenum nicht oder nur unzureichend bekannt gegeben."
Das Ergebnis ist eine juristische und politische Blamage, da die Betreiber dieser nun gescheiterten Klage bei ihren hohen moralischen Beweggründen dieser keine rechtlich saubere Form geben konnten. Sie haben damit ihrer Sache zum widerholten Male einen Bärendienst erwiesen.