Karl Nolle, MdL
Junge Welt ( jw), Berlin, 22.12.2008
Vertuscherkartell
Sächsische Landtagsabgeordnete werfen Dresdner Staatsanwaltschaft verfassungswidrige Behinderung des Parlaments vor.
Die Auseinandersetzungen um die unter dem Stichwort »Sachsensumpf« bekannt gewordenen Machenschaften krimineller Netzwerke in Sachsen nehmen an Schärfe zu. Aufgearbeitet werden sollen Vorwürfe, denen zufolge hochrangige Politiker aus SPD und CDU und Bedienstete aus Polizei und Justiz Teil eines im Freistaat aktiven kriminellen Netzwerkes seien. Ihnen werden unter anderem die Verstrickung in Mordanschläge und Kinderprostitution, der Verrat von Dienstgeheimnissen, Korruption und die Beteiligung an dubiosen Immobiliengeschäften vorgeworfen.
Obwohl selbst Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) in der Vergangenheit davor warnte, daß Aufklärer der mafiösen Strukturen »verwundet werden« könnten, hat sich bei den etablierten Parteien mittlerweile die Ansicht durchgesetzt, daß es sich bei der Angelegenheit lediglich um »heiße Luft« handelt. Das Bemerkenswerte daran: Immerhin stützen sich die Vorwürfe auf fast 16 000 Seiten umfassende Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Gegen die Einstufung als Nichtigkeit spricht zudem die hohe Intensität, mit der die von CDU und SPD gebildete Landesregierung jegliche Aufklärung zu behindern versucht. Das betrifft sichtbar vor allem die Arbeit des im Juli 2007 gebildeten Untersuchungsausschusses des Landtages.
Einzige Ausnahme auf Regierungsseite ist der SPD Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der sich wiederholt gegen die Vertuschungspraxis gewandt hat. Der Behinderung von Ermittlungen hat sich aktuell offenbar auch die Dresdner Staatsanwaltschaft verschrieben, die am vergangenen Donnerstag in einer von Oberstaatsanwalt Christian Avenarius gezeichneten Pressemitteilung ankündigte, ein Ermittlungsverfahren gegen den Kriminalhauptkommissar Georg Wehling einzuleiten. Es gebe den Anfangsverdacht der falschen uneidlichen Aussage.
Wehling hatte am Mittwoch als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuß ausgesagt und dabei betont, nicht – wie vielfach behauptet – die Hauptquelle des sächsischen Verfassungsschutzes für dessen Angaben zum kriminellen Netzwerk zu sein. Seine Anhörung wurde am Mittwoch abend unterbrochen und soll zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden.
Zwar kündigte die Staatsanwaltschaft mittlerweile an, das Verfahren gegen Wehling vorläufig einzustellen, bis seineVernehmung vor dem Ausschuß beendet sei. Dies ändert jedoch nichts an der Empörung, die das ungewöhnliche Vorgehen auslöste. So erstattete Karl Nolle bereits am Freitag Anzeige wegen Verfolgung Unschuldiger und Behinderung eines Verfassungsorgans. Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der sächsischen Linksfraktion und Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, bezeichnete die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Wehling als »Ungeheuerlichkeit«. Es habe den »bösen Anschein, daß die Dresdner Staatsanwaltschaft bewußt kalkuliert, daß potentielle Zeugen des Untersuchungsausschusses aus Furcht, von der Behörde mit Strafanzeigen überzogen zu werden, nicht mehr aussagen«, so Bartl am Sonntag gegenüber jW.
Wie er erklärte, werde er seiner Frak tion die Beantragung einer Landtagssondersitzung vorschlagen, da die gesetzlich verbriefte Gewaltenteilung in Sachsen offenbar gestört sei. Der Linksparteipolitiker sprach sich zudem für die neuerliche Einrichtung eines Untersuchungsauschusses zum Thema »Sachsensumpf« in der nächsten Legislaturperiode aus, da die Arbeit des aktuell tätigen Auschusses aufgrund gesetzlicher Bestimmungen mit dem Ablauf der jetzigen Legislaturperiode enden muß. In Sachsen wird am 30. August ein neuer Landtag gewählt.
Von Markus Bernhardt
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DOKUMENTIERT
Sächsische Linksfraktion zum »Sachsensumpf«
Nach der Befragung des Polizeibeamten Georg Wehling im Untersuchungsausschuß des sächsischen Landtages zum »Sachsensumpf« am Mittwoch erklärte die Obfrau der Linksfraktion im Ausschuß, Caren Lay:
Die Legende der Staatsregierung, der »Sachsensumpf« sei die Erfindung eines verschwörungstheoriehörigen Polizisten, hat sich als heiße Luft erwiesen: Bevor Herr Wehling sechs Tage vor Ablauf der Zuständigkeit des Verfassungsschutzes für die Beobachtung Organisierter Kriminalität zu diesem Thema erstmals befragt wurde, hatten die Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz bereits vier Jahre lang rund vierzig Gespräche mit Wehlings Kollegen geführt. Hinter dem Decknamen »Gemag« verbirgt sich ganz offensichtlich nicht Herr Wehling, sondern eine Reihe anderer Polizeiquellen. Die These, alle Aussagen beruhten auf Georg Wehling, erweist sich als Legende.
Es bleibt das Geheimnis des Innenministers, warum nicht die anderen Polizisten und Beamten, die dem Landesamt für Verfassungsschutz als Auskunftspersonen zur Verfügung gestanden haben, ebenfalls öffentlich an den Pranger gestellt und des Dienstes enthoben worden sind.
Mit der öffentlichen Bloßstellung und Demontage Wehlings rächte sich die Staatsregierung an einem Kritiker des Umgangs der sächsischen Innen- und Sicherheitspolitik mit organisierter Kriminalität. Tatsache ist: All die Vorwürfe, mit denen Herr Wehling jahrelang überzogen wurde, haben sich als substanzlos erwiesen. Ebenso substanzlos wie die regierungsamtliche Interpretation der Verfassungsschutzakten über kriminelle und korruptive Netzwerke. (...)