Karl Nolle, MdL

Junge Welt (jw), 29.12.2008

Vertuscher unter Druck

2008 im Rückblick: Politiker und Juristen setzen sich in Sachsen für die restlose Aufklärung ­mafiöser Aktivitäten ein. Regierungskoalition behindert Untersuchungsausschuß
 
Auch das Jahr 2008 war in Sachsen geprägt von den stets massiver werden politischen Auseinandersetzungen um die Machenschaften im Freistaat aktiver mafiöser Netzwerke, die unter dem Stichwort »Sachsensumpf« bekannt wurden.

Bereits im Juli 2007 hatte sich ein Untersuchungsausschuß des sächsischen Landtages konstituiert, der Licht in das Dunkel der erhobenen Vorwürfe bringen sollte, die maßgeblich auf Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz beruhen und auf etwa 16 000 Seiten zusammengefaßt sind. Demnach sollen Politiker aus SPD und CDU sowie hochrangige Bedienstete aus Polizei und Justiz Teil eines im Freistaat aktiven kriminellen Netzwerkes seien, denen unter anderem die Verstrickung in Mordanschläge und Kinderprostitution, der Verrat von Dienstgeheimnissen, Korruption und die Beteiligung an dubiosen Immobi­liengeschäften vorgeworfen werden.

Während sich vor allem die sächsische Linksfraktion um ihren rechtspolitischen Sprecher Klaus Bartl, der zugleich Vorsitzender des Untersuchungsausschusses ist, und der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle mit vollem Einsatz für die Aufklärung der erhobenen Vorwürfe stark machen, behinderte die aus CDU und SPD bestehende Regierungskoalition die Arbeit des Untersuchungsausschusses, indem sie diesem über Monate hinweg die Herausgabe des vorhandenen Aktenmaterials verweigerte und erst vom sächsischen Verfassungsgericht gestoppt wurde. Ganz den Vorgaben der Staatsregierung folgend, bemühten sich auch eine nicht geringe Anzahl von Journalisten, die erhobenen Vorwürfe ins Reich der Märchen und Legenden zu verbannen und eröffneten ein politisches Dauerfeuer auf diejenigen Politiker und Medien, die sich zum Ziel gesetzt haben, den »Sachsensumpf« auszutrocknen.

Aktuell ist vor allem der Leipziger Kriminalkommissar Georg Wehling Ziel von Einschüchterungen und Ermittlungsverfahren. Wehling wurde bisher als entscheidende Quelle für das Aktenmaterial des sächsischen Verfassungsschutzes angesehen, bestritt dies jedoch erst kürzlich vor dem Untersuchungsausschuß.

Daraufhin leitete die Dresdner Staatsanwaltschaft – noch vor Beendigung der Vernehmung – ein Ermittlungsverfahren gegen den engagierten Polizeibeamten wegen uneidlicher Falschaussage ein, der bis zur dubiosen Auflösung seines Referates als Ermittler in Sachen Organisierte Kriminalität tätig war. Zwar stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nunmehr bis zur Beendigung der Aussage Wehlings vorläufig ein, dessen Rechtsanwalt Steffen Soult konterte jedoch mit einer Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verfolgung Unschuldiger, Geheimnisverrat und Nötigung. Ebenso der SPD-Landtagsabgeordnete und Obmann im Untersuchungsausschuß, Karl Nolle.

Zusätzlich zu seiner bereits erstatteten Strafanzeige gegen Unbekannt – unter anderem wegen Verfolgung Unschuldiger und der Behinderung eines Verfassungsorgans vom 19. Dezember – reichte Nolle nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein und forderte den sächsischen Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann auf, ihm die Rechtsgrundlagen der vom Sprecher der Dresdner Staatsanwaltschaft erklärten »nur vorläufigen« Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Georg Wehling zu erläutern.

»Wie mir inzwischen bekannt geworden ist – dies muß ich allerdings mit der gebotenen Zurückhaltung erklären – soll es sich bei dem ›Unbekannt‹ um Herrn Leitenden Oberstaatsanwalt Schwürzer und Herrn Staatsanwalt Kohle handeln, weil diese das besagte Ermittlungsverfahren eingeleitet und wenn man dem Pressesprecher der STA Dresden glauben darf, ›nur vorläufig‹ eingestellt haben«, so Nolle in seinem an Fleischmann gerichteten Schreiben, in dem er Dienstaufsichtsbeschwerde »gegen die vorgenannten Herren« erhebt, »da ihr Verhalten nicht nur strafrechtlich relevant sein dürfte, sondern auch einen gravierenden Verstoß gegen Dienstpflichten zum Gegenstand« habe. Nolle wirft den beiden Staatsanwälten unter anderem die Behinderung eines Verfassungsorgans – nämlich des Untersuchungsausschusses – vor und kündigt an, sie gegebenenfalls als Zeugen vor den Auschuß zu laden.

»Der Vorgang des rechtswidrig begonnenen und dann auf öffentlichen Druck hin wieder, allerdings ›nur vorläufig‹, eingestellten Ermittlungsverfahrens gegen Herrn Wehling vor dem Untersuchungsausschuß ›Sachsensumpf‹ entwickelt sich zu einem Stück aus dem rechtsfreien Tollhaus«, konstatierte der SPD-Abgeordnete gegenüber jW. Klaus Bartl hat bereits angekündigt, in der nächsten Legislaturperiode einen neuerlichen Untersuchungsausschuß zum »Sachsensumpf« zu beantragen.
Von Markus Bernhardt