Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 03.01.2009

Auch die Portugiesen bangen um Qimonda

Beobachtungen im Küstenort Vila do Conde im Norden von Porto, der durch sein Speicherchipwerk schicksalhaft mit Dresden verbunden ist.
 
Die Luftschleuse bietet zwei Personen Platz – und ist nur 1,90 Meter hoch. „Die ist nicht für Deutsche gebaut, nur für kleine Portugiesen“, scherzt Malisa Ramos. Ihr Gast aus Dresden, verpackt in einem sterilen Schutzanzug, muss den Kopf einziehen. Das Gebläse in der Schleuse wirbelt die Luft auf, nach 30 Sekunden gibt die Automatiktür den Weg frei ins Heiligtum der portugiesischen Mikroelektronik: 17.000 Quadratmeter Reinräume im Werk des Speicherchipherstellers Qimonda.

Der Weg führt fünf Meter geradeaus, dann drei Meter nach rechts. „Dort liegen die Wafer von Qimonda aus Dresden“, sagt Werkssprecherin Ramos und zeigt auf die verpackten Siliziumscheiben im Lastenaufzug. Sie kommen mit dem Flugzeug, im Schnitt sind es 625 am Tag. Lastwagen der Logistikfirma Schenker transportieren die Wafer vom Flughafen von Porto ins Werk bei Vila do Conde. Dort testen die 2.049 Mitarbeiter – darunter 300 Ingenieure – die Dresdner Wafer, bearbeiten die darauf implementierten Chips, schneiden sie aus, verschweißen sie einzeln in Folien und spulen sie zum Abtransport auf eine Art Filmrolle. Qimonda in Portugal steht am Ende des Fertigungs-Prozesses („Back-end“), Dresden am Anfang („Front-end“).

Lusitanisch-germanischer Pakt

Jorge Silva leitet die Abteilung im „Burn in“. Seine Mitarbeiter testen die Chips unter hoher Belastung, fehlerhafte Bauteile brennen durch. „Wir arbeiten ganz anders als die Dresdner“, sagt er. „Aber wenn die den Bach runtergehen, folgen wir.“

Genau das soll das kurz vor Weihnachten geschnürte Rettungspaket verhindern: 150 Millionen Euro Kredit kommen aus Sachsen, 75 Millionen Euro von der Qimonda-Mutter Infineon, 100 Millionen Euro gibt eine portugiesische Bank. Portugals Zeitungen schreiben vom „lusitanisch-germanischen Pakt“. Beide Volksstämme bekämpften einst die Römer, nun sollen sie gegen Qimonda-Rivalen antreten: gegen den südkoreanischen Hynix-Konzern zum Beispiel, der 500 Millionen Euro von staatlichen Banken bekommt oder gegen Elpida in Japan, das mit drei subventionierten Speicherchipherstellern in Taiwan fusionieren will.

An eine Qimonda-Pleite will Mario Almeida gar nicht erst denken. Wer mit dem tadellos im blauen Anzug gekleideten, glatzköpfigen Bürgermeister der 24.500 Einwohner von Vila do Conde sprechen will, erhält vorher eine Besuchernummer: „A 0004“ steht auf dem Zettel. Almeida ist Sozialist. Er steht seit 1981 an der Verwaltungsspitze, die Lokalpresse bezeichnet ihn als „politischen Dinosaurier“. In diesem Jahr steht seine Wiederwahl an. Der 64-Jährige schließt die Augen, rückt seine Brille zurecht und sagt nur: „Ohne Qimonda fallen wir wieder in die Bedeutungslosigkeit zurück.“ Die Firma sei nicht nur größter Steuerzahler, „sie bringe auch Modernität und Geschäftsleute hierher“.

Qimonda arbeite mit Universitäten in Lissabon, Porto, Aveiro und Minho zusammen, rüste Schulen mit Computern auf. „Vorher hatten wir nur ein paar kleine Werften, etwas Fischfang, ein bisschen Tourismus, Schuhhersteller und Textilfabriken.“ Der Chiphersteller habe neben seinen direkten noch gut 2.000 weitere Jobs geschaffen – „bei Reinigungsfirmen bis hin zu hochspezialisierten Zulieferern“. Dennoch sei in Vila do Conde noch immer jeder Vierte arbeitslos.

Wenn Almeida aus dem Fenster seines Büros schaut, sieht er die Stadtkirche „Matriz“ aus dem 16.Jahrhundert und einen Teil des markanten, fast sieben Kilometer langen Viadukts von 1714, der einst das wuchtige, über der Stadt thronende Santa-Clara-Kloster mit Wasser versorgte. „Ich habe den Niedergang einer großen Textilfirma erlebt. Das hat uns um Jahre zurückgeworfen“, sagt der vierfache Familienvater. Plötzlich klatscht er in die Hände. „Qimonda liefert tolle Resultate. Es wird schon alles gut gehen.“ Nun erwarte er den nächsten Besucher. „A 0005“ steht schon vor der Tür.

Draußen weht ein Hauch von Frühling. Es ist fast 20 Grad warm, die Sonne spiegelt sich im geschliffenen Granitpflaster auf dem Rathausplatz. Entlang der Avenida Dr. Joao Canavarro kämpfen blinkende Lichterbäume und Lichtersterne mit dem Tageslicht. Lautsprecher berieseln Passanten mit Weihnachts- und Folkloremusik. Die unentwegt laufenden Fernseher in den Kneipen unterhalten sich selbst. Ob im Café „Buondi“ oder im Café „Nacional“ – unter den wenigen Gästen ist Qimonda kein Thema. Nur in der Kneipe „Santa Clara“ sagt ein von den Niederungen des Lebens gezeichneter Mann: „Von mir aus können die morgen dicht machen.“ Die würden immer Geld bekommen. Ihm hingegen zahle der Staat nichts.

700 Millionen Euro flossen seit 1998 in die Fabrik. Für Qimonda-Abteilungsleiter Silva ist diese Summe ein Beleg, dass es mit der Firma weitergeht. Er habe keine Angst vor der Zukunft. Die Portugiesen seien trotz ihrer mitunter melancholischen Neigung im Grunde optimistisch. „Mein größtes Problem ist die Grippe-Welle. Es sind derzeit verdammt viele Leute krank.“

Anders als in Dresden, wo Qimonda die „Back-end-Fertigung“ aufgibt und 950 Stellen streicht, kommt das portugiesische Werk bislang ohne Personalabbau davon. Sprecherin Ramos hofft, dass dies so bleibt. Sie setzt auf die in Dresden entwickelte Fertigungstechnologie „Buried Wordline“ (BWL). Die sei das effizienteste, was die Speicherchip-Produktion weltweit zu bieten habe. BWL mache zwar in Vila do Conde einige Umrüstungen notwendig, „stärkt aber den Standort“. Ramos glaubt an die vom Qimonda-Management proklamierte „Achse Dresden – Porto“.

Diesen Glauben teilen nicht alle. An der Rückseite des Werks liegt die Bahn-Haltestelle „Espaco de Natureza“, was in etwa „Erholungsgebiet“ bedeutet. Die Strände am Atlantik sind nicht einmal zwei Kilometer entfernt. An dieser Haltestelle treffen sich zum Schichtwechsel Qimonda-Mitarbeiter. Kaum einer will was sagen. Nur eine füllige, Nickelbrille tragende Frau flüstert, die Produktion sei um 20 Prozent eingebrochen. Wenn sie den Chef nach den Gründen frage, bekomme sie keine Antwort. „Ich arbeite schon ein paar Jahre hier, so etwas habe ich noch nicht erlebt.“

Pilgern nach Santiago

Daniel Sampaio, Chef der Elektroindustrie-Gewerkschaft in Nordportugal, bestätigt das. Er hofft, dass den Qimonda-Mitarbeitern „keine weiteren Opfer“ abverlangt werden. „Der Großteil arbeitet schon seit 2006 zwölf Stunden pro Schicht – für rund 1800 Euro brutto.“ Rund 100 Arbeiter, die dies damals nicht akzeptieren wollten, seien „entlassen worden“. Mit Qimonda macht Sampaio ähnliche Erfahrungen wie seine Kollegen von der IG Metall in Deutschland. „Wir haben bei denen nur wenige Mitglieder. Da können wir nicht viel ausrichten.“ Dabei hat Qimonda in Portugal eine für Gewerkschaften optimale Adresse: Die Fabrik liegt an der „Avenida 1. Mai“.

Der Zufall will es, dass an dieser Avenida auch der portugiesische Pilgerweg nach Santiago de Compostella entlang führt. Nach der Querung des Flusses Ave machen viele Pilger Station in der Kirche „Matriz“. In der Abendandacht vor Silvester beten dort meist ältere Frauen den Rosenkranz. „Die wissen gar nicht, wer oder was Qimonda ist“, erzählt Küster Manuel Reis. „Aber ich bilde mir ein, dass die Messen derzeit besser besucht werden, von Jüngeren und vor allem sonntags.“ In Krisenzeiten gehe es der Kirche immer gut, sagt der 67-Jährige.

Das Firmencredo des Qimonda-Werks in Portugal lautet: „Kreativ, leidenschaftlich, schnell.“ Zumindest fürs Pilgern ist das schon bewiesen. Sprecherin Ramos zufolge ist im vorigen Sommer eine 20-köpfige Pilger-Gruppe nach Santiago geradelt – „in nur drei Tagen und mit dem Segen der Werksleitung“.
Von Ulrich Wolf