Karl Nolle, MdL
Neues Deutschland ND, 27.12.2008
Tauziehen am wankenden Leuchtturm
Sachsens Koalition zankt sich über Rettungspaket für den Dresdner Chip-Riesen Qimonda
Groteskes Fingerhakeln in Dresden: Nachdem der SPD-Wirtschaftsminister ein Rettungspaket für den Chiphersteller Qimonda geschnürt hat, wurde er von der CDU angegangen. Die Opposition erinnert indes daran, dass 3000 Jobs auf dem Spiel stehen.
Am vierten Advent meldete Thomas Jurk erleichtert Vollzug: Das kriselnde Dresdner Werk des Speicherchip-Herstellers Qimonda sei gerettet, vermeldete der sächsische SPD-Wirtschaftsminister. Um dem zuletzt hohe Verluste schreibenden Unternehmen die dringend benötigte Überbrückungshilfe zukommen zu lassen, greifen neben dem Freistaat und dem Mehrheitseigner Infineon auch eine portugiesische Bank in ihre Kassen. Sachsen soll ein Darlehen von 150 Millionen Euro gewähren, Infineon will 75 Millionen Euro zahlen, und aus Portugal, wo 2000 Beschäftigte einer Qimonda-Fabrik die in Dresden gefertigten Wafer weiterverarbeiten, kommen 100 Millionen.
Statt allgemeiner Erleichterung herrschte danach in Sachsens Regierung vergnatzter Unmut, der von nickeligen Seitenhieben flankiert wurde. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), der von Jurks Mitteilung am Rande einer Bergparade in Annaberg überrascht wurde, erklärte zwar, er sei »froh darüber«, dass die Portugiesen einspringen. Es handle sich aber nur um ein »Zwischenergebnis«. Bis zur tatsächlichen Rettung des Dresdner Betriebs mit seinen 3000 Arbeitsplätzen – von denen 950 im ersten Quartal 2009 gestrichen werden sollen – sei aber noch »viel Arbeit zu leisten«.
Wesentlich schärfer gehen indes CDU-Leute aus der zweiten Reihe mit Jurk ins Gericht. Der Ex-Innenminister Heinz Eggert nannte es »ausgesprochen auffällig«, dass Infineon – mit 77,5 Prozent noch immer Mehrheitseigentümer der einst aus dem Konzern ausgegliederten Speicherchiptochter – nicht einmal ein Drittel der Summe aufbringe, während an den sächsischen und portugiesischen Steuerzahlern nun das »millionenschwere Restrisiko« hängen bleibe. Er erwarte eine seriöse Einschätzung der Marktchancen von Qimonda, an die derzeit »in sehr auffälliger Weise« in der Industrie selbst nicht geglaubt werde. Infineon bemüht sich seit geraumer Zeit vergeblich um einen Käufer für seine Tochter und hatte sich vor zwei Wochen der Forderung des Freistaates verweigert, zur Qimonda-Rettung 150 Millionen aufzubringen und Bestandsgarantien abzugeben.
Die Kritik Eggerts, der von Tillich laut »Sächsischer Zeitung« sogar die Entlassung Jurks gefordert haben soll, konterte umgehend der SPD-Abgeordnete Karl Nolle. Eggerts Äußerungen seien »substanzlos und schäbig«, schimpfte der Unternehmer, der anmerkte, Jurk habe die »von der CDU gewollte und initiierte« wirtschaftliche Monostruktur in Dresden »nicht erfunden, sondern vorgefunden«. Die Ansiedlung von Mikroelektronikriesen wie Siemens, aus dem später Infineon hervorging, wurde von der damaligen CDU-Regierung in den 90er Jahren mit enormen Summen gefördert. Sie ging davon aus, dass derlei »Leuchttürme« für weitere Arbeitsplätze sorgen. Heute sind in dem »Silicon Saxony« genannten industriellen Kern tatsächlich rund 22 000 Menschen beschäftigt. Befürchtet wird aber, dass eine Qimonda-Pleite auch Tausende Stellen bei anderen Firmen und Forschungseinrichtungen kosten könnte.
Vor allem angesichts dieser Szenarien mahnte André Hahn, Fraktionschef der LINKEN im Landtag, die Querelen zu beenden. Die Rettung des Mikroelektronik-Standortes müsse ein »Schlüsselprojekt der Wirtschaftspolitik des Freistaates« sein, das nicht durch »persönliche Eitelkeiten und parteipolitische Interessen« gefährdet werden dürfe. Regierungschef und Wirtschaftsminister müssten, so Hahn, »in dieser strategischen Frage mit einer Stimme sprechen«.
Darum scheinen sich die Regierungsmitglieder in Dresden inzwischen immerhin zu bemühen. Nach der Sitzung des Kabinetts am Dienstag hieß es, das Thema solle bei einer außerordentlichen Zusammenkunft am 6. Januar erneut auf der Tagesordnung stehen. Ende des Monats soll auch der Landtag einbezogen werden.
Von Hendrik Lasch, Dresden